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Philippinen – The Typhoon’s Tail

„Gute Nachrichten, Jungs! Der Sturm soll sich zu einem Taifun entwickeln!“

Besser hätte uns Kapitän Scott Countryman gar nicht auf seinem beeindruckenden Trimaran „King of Sports“ empfangen können. „Normalerweise laufen sich diese Taifune aus, bevor sie zu uns kommen, und produzieren keine nennenswerten Swells. Dieser Sturm sieht aber perfekt aus. Er wird stärker, zieht weiter aufs Meer hinaus und bleibt dann genau dort!“ Er stösst dabei seinen Finger auf die Seekarte circa 500 Meilen östlich der Philippinen und fängt an, auf dem Papier den Sturm nachahmend Kreise zu ziehen, bis die Seekarte zerknittert.

Wir befinden uns auf einer von 7.017 Inseln, von denen die meisten noch nie einen Surfer gesehen haben, und wir haben vor, den Flecken auf der Seekarte zu folgen. Magisch angezogen von dem Zeigefinger-Sturm starren die Australier Andy King und Jay Thomson auf die Karte. Sie sind zum ersten Mal auf den Philippinen und der ankommende Swell sollte alle Vorurteile von wegen unzuverlässigen Swells auf den Philippinen beseitigen. Mit diesem Sturm soll sich unsere Mission erfüllen, nicht nur Wellen zu surfen, sondern auch zu finden. Scott wendet sich vom Wetterfax ab und der Seekarte zu, um uns zu zeigen, wo wir surfen würden. „Potenzieller Spot“ hat er auf 26 verschiedene Stellen der Karte gekritzelt. Es sieht viel versprechend aus: Unzählige Inseln, gross und klein, liegen im tiefen Blau des Äquators und sind gen Westpazifik gerichtet. Manche Inseln umgeben flache Riffe, die in manchen Fällen plötzlich 3.000 Meter in die Tiefe abfallen, was nach Scotts Meinung die Philippinen zu den „gefährlichsten Gewässern der Welt macht“.

Die meisten Einwohner verstecken sich vor Taifunen, doch Scott jagt hinter ihnen her. „Es gibt Mini-Taifune und Super-Taifune“, sagt Scott. „Ich habe mal einen gesehen, bei dem es bis zu 400 km/h Wind hatte! Autos rollten wie Spielzeug herum, Blechdächer wurden von den Häusern abgerissen und flogen wie Speere in die Palmen. Ich war auch schon mal in einem Taifun. Es war ein Super-Taifun und wir wurden niedergewalzt. Plötzlich waren wir im Auge des Sturms. Es war Nacht und wir konnten den Mond sehen. Alles wurde ganz still und dann, bang, hat uns der Ausläufer des Sturms böse erwischt.“

Nach einem netten ersten Nachmittags-Surf an einer Linkswelle zieht das Wetter andere Saiten auf. Nach zwei Stunden ist die Hälfte der Passagiere seekrank. Die „King of Sports“ steuert auf das offene Meer zu und hebt sich über 20 Fuss hohe Wellen, bevor es wieder in die dunkle Tiefe der Wellentäler abfällt. Der Taifun kommt. Das Ächzen und Stöhnen des Trimarans kündigt seine Ankunft an. Bei Sonnenaufgang hat sich das Wetter beruhigt. Nach dieser furchtbaren Nacht wachen alle an anderen Stellen auf, als sie eingeschlafen sind. Während die anderen noch erschöpft ausschlafen, fahren Scott und ich beim ersten Licht im kleinen Beiboot raus, um potenzielle Wellen-Spots zu erkunden und den Einheimischen unseren Respekt zu zollen. Wir parken das Boot in der Lagune und, umringt von 30 oder 40 Dörflern, klopfen wir an die Tür vom Dorfhäuptling. Scott stellt mich ihm vor, erklärt, was wir hier tun und dass vielleicht unsere Fotos andere dazu bewegen würden, diese wunderschönen Inseln zu besuchen. „Herzlich willkommen!“, antwortet der Häuptling in ziemlich fliessendem Englisch. „Vielleicht eine kleine Spende fürs Wasser…“ Manche Dinge ändern sich nie in Asien.

Während wir die Inselküste entlangschippern, erzählt mir Scott ein wenig über die Inseln. Es mag zwar nur eine von 7.017 sein, aber jede Insel scheint anders zu sein als die andere. Jeden Tag werden hier neue Tier- und Pflanzenarten entdeckt und ein Grossteil der Gewässer sind surf-technisch quasi noch jungfräulich. Mit jeder Bucht, die wir umrunden, sehen wir noch unbenannte und ungesurfte Wellen. Der Swell auf dem offenen Meer ist riesig und im Hintergrund türmen sich 600 Meter hohe Berge auf, schroff und gezackt wie zerbrochenes Glas. Es kommt mir vor wie das Land der Giganten.

Auch die Geschichte hat hier ihre Spuren hinterlassen. Die US-Armee hat hier einen Leuchtturm gebaut, um während des Zweiten Weltkriegs Ausschau nach der japanischen Flotte zu halten. Es ist die gleiche Insel, auf der Ferdinand Magellan 1521 bei seiner Weltumrundung landete. Er wurde später auf einer Insel in Cebu von Eingeborenen umgebracht. Obwohl die Amerikaner vor 60 Jahren abgezogen sind, ist immer noch eine Armee vor Ort. Die NPA (New People’s Army, das Militär der Kommunistenpartei) versteckt sich in den Bergen und führt einen Guerillakrieg gegen die Regierung.

Vor zwei Jahren erklärte eine Umweltorganisation in Brüssel, dass die Philippinen das gefährlichste Land der Erde seien. Taifune, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, Erdrutsche und Militäraufstände sind nur einige der aufgelisteten Gefahren. Und zu den Naturgewalten kommt noch die Rechtswelle, die wir surfen wollen.

Scott und ich sehen zu, wie ein 15-Footer auf dem Riff explodiert und wir wissen, dass wir etwas ganz Aussergewöhnliches gefunden haben. Schon bevor wir aufs Boot gehen, warnt uns unser Fotograf John Callahan davor, diese Rechte zu surfen: „Zu gefährlich! Ich will nicht, dass der Trip damit endet, dass alle Bretter zerschmettert sind und ihr ins Krankenhaus müsst.“ Die Warnung trifft auf taube Ohren und wir sind die Ersten, die die Welle surfen. Es ist viel grösser und fetter, als wir gedacht haben. Unser Mut wird auf die Probe gestellt. Die Rechte, so weit namenlos, befindet sich im Norden der Insel und zeigt unmittelbar aufs offene Meer hinaus. Von dem sechs Fuss tiefen Riff, wo die Welle bricht, sind es nur 30 Meter bis zur Kante, wo der Meererboden 3.000 Meter in die Tiefe stürzt. Scott und ich inspizieren das Ganze eine Viertelstunde. Es sieht unsurfbar aus. Wie ein gefährliches Naturschauspiel, um das man einen Zaun ziehen sollte, so dass es sich die Leute von der anderen Seite aus anschauen können. Ein 15-Fuss-Set kommt durch, das sich anhört wie eine Bombe und sich anfühlt wie ein Erdbeben. Von uns acht paddeln fünf hinaus, aber nur drei surfen ein paar Wellen. Kingy ist als Erster auf dem Brett. Er geniesst solche Situationen und sieht sich nach den grössten surfbaren Sets um. Jay Thomson, zu seinem Vorteil ein Regular Footer, bekommt dicke Barrels ab. Aber um ganz ehrlich zu sein, die grössten Wellen laufen ungeritten aufs Riff. Aber nicht, weil es keiner versucht hätte. Doch diese Welle ist ein wahrhaftiges Monster.

Der Taifun tobt immer noch an der gleichen Stelle und so machen wir uns am nächsten Morgen auf, andere jungfräuliche Line-ups auszukundschaften. Wir schippern durch grosse, saubere Dünungswwellen und alles sieht perfekt aus. Als wir jedoch die Meerenge zur Insel Dinagat durchqueren, sieht es so aus, als wäre dem Taifun die Luft ausgegangen. Wir surfen eine kleine Rechtswelle, die bei richtigem Swell unglaublich gut sein muss. Aber es ist leider zu klein. Wir haben gedacht, dass wir den Swell hinter uns gelassen hätten, doch es ist einfach nichts mehr von dem Swell übrig.

Während die anderen kleine Wellen surfen oder angeln, fahre ich mit dem Boot ans Ufer. Ich treffe auf einen alten Fischer. Er ist 65 Jahre und erinnert sich nur an einen einzigen Tag in seinem Leben, den er nicht bei der Arbeit beim Fischen verbrachte: die Hochzeit seiner Tochter. In jedem Dorf gibt es viele Fischer. Aber es gibt keine Fische mehr. Erwartet man nicht, dass es im Paradies Fische gibt? Aber hier gibt es keine.

Überfischt. Und gesetzlos. Zyanid oder Dynamit, egal mit welchen Mitteln, wenn sie Fische sehen, greifen sie zu allen Mitteln, um sie zu töten, essen oder zu verkaufen. Fische jeder Grösse, Krabben, Schnecken, Krustentiere. Die Hälfte der Leute haben ihre Hände dank falsch zündender Sprengstoffe verloren. Wenn sie raus zum Fischen gehen, paddeln sie in kleinen Kanus raus, bleiben zwei oder drei Tage draussen und suchen Tunfische. Wenn Taifune aufziehen, kommen manche Fischer nicht mehr nach Hause. Sie tauchen mit primitiven, selbst gebastelten Tauchermasken und tauchen minutenlang bis zu 60 Meter tief auf der Suche nach Fischen, die es an der Oberfläche nicht mehr gibt. Viele leiden darunter, dass sie nicht dekomprimieren. „Manche sind total kaputt“, sagt Scott. „Es ist furchtbar. Sie haben keine Dekompressionskammern und graben die Taucher dann bis zum Hals im Sand ein. Manche überleben es, andere sterben.“

Ähnliches passiert an Land: Früher war der Dschungel voller Mahagonibäume. Aber die Bäume ereilte das gleiche Schicksal wie die Fische, sie sind verschwunden. Kaum war das ganze Hartholz verkauft, investierten die Locals in die schneller wachsenden Kokospalmen. Von Tag zu Tag zu überleben ist für dieses Volk wichtiger als abstrakte Umweltbedenken. Man kann es ihnen noch nicht einmal verübeln. Die Filipinos haben sich nach vier Jahrhunderten Fremdbestimmung an Aussergewöhnliches gewöhnt. Im Jahre 1521 machte Spanien ohne viel Blutvergiessen die Philippinen zur Kolonie – diese Ära dauerte 333 Jahre an. Langsam, aber sicher bluteten die Spanier die einheimische Kultur aus und der heutige Mix ähnelt einer – wenn auch inzwischen geschiedenen – Ehe zwischen philippinischer, spanischer und amerikanischer Kultur. Der US-spanische Krieg beendete die spanische Herrschaft und brachte den Philippinen 1898 die Unabhängigkeit. So begann die Amerikanisierung der Philippinen. Überall gibt es Einkaufszentren und die Leute tragen Shirts mit der Aufschrift „Team America“. Es ist einfach eine komische Kombination von Kulturen. Mädels rennen nackt herum, verkaufen ihre Körper. Aber anstatt „Shak’n that ass“ zu singen, singen sie als gute Katholiken dann doch eher „Shak’n that thing“.

Unser Fotograf John Callahan kennt das alles nur zu gut. Er lebt in Manila und war bei der „Entdeckung“ von philippinischen Wellen 1992 dabei. Aber er war nicht der Erste. Es gehört schon eine ordentlich Portion Exzentrik dazu, auf Entdeckungsreise zu gehen, was bei Mike Boyum deutlich wird. Boyum entdeckte Grajagan und war auf Siargao von Januar bis April 1988, bis er dort den Hungertod starb. Er wollte 47 Tage lang fasten. Ein Priester sollte ihn am 47sten Tag Essen bringen, doch Boyum starb ein paar Tage früher. John erzählt uns die Geschichte auf dem Weg zu einer anderen Insel. Und das ist nur eine von vielen Stories.

Die nächste handelt von einem verrückten Christensekten-Führer, einem Amerikaner, der einen Kilometer von unserer Ankerstelle gewohnt hat. Eine Million Filipinos glauben, dass Ruben Ecleo, 47, die Reinkarnation von Jesus Christus sei. Er wurde von der Polizei gesucht, als seine Frau in einer Mülltüte an einem Kliff in Cebu tot aufgefunden wurde. Als er der Tat verdächtigt wurde, floh Ecleo von Cebu, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern lebte, versteckte sich im Hauptquartier der Sekte in Dinagat und tausende von Sektenmitgliedern formten eine menschliche Barrikade, um die Polizei abzublocken. Nach einem sechsmonatigen „stand-off“ stürmte die Polizei das Anwesen der Sekte und Ecleos Anhänger eröffneten das Feuer. 17 Sektenmitglieder und ein Polizist starben in der Auseinandersetzung. Ecleo gab auf, wurde verhaftet und wartet nun im Gefängnis auf die Verhandlung.

Inzwischen vergeht der Taifun so schnell, wie er gekommen ist. Wir sehen uns ein Dutzend Stellen an, die Scott als potenzielle Spots auf seiner Seekarte markiert hat. Da das Meer aber nicht mehr mitmacht, bleiben sie leider genau das: potenzielle Spots. Wir gehen schnorcheln oder mit Flasche tauchen. Wir sehen ziemlich verrückte Sachen, Manta Shrimps sind die abgefahrensten. „Fass das bloss nicht an!“, schreit Scott, als Kingy versucht, einen Manta Shrimp anzufassen. Sie können wahnsinnig schnell werden, bis zu 200 Meter pro Sekunde, und können einen durchbohren. „Fast Food halt“, meint Kingy lapidar. Einer muss es ja aussprechen…

Das GPS und ein paar Delfine führen uns wieder zurück in den Hafen von Cebu. Wie in Indonesien vor 20 Jahren, so gibt es noch viel in den Philippinen zu entdecken. Ich sehe zu den Sternen auf. Die letzten Wochen leuchteten sie hell über dem Bug der „King of Sports“. Doch nun verblasst ihr Glanz immer mehr im Schein der nahenden Lichter von Cebu.

Mehr Infos über einen Boots-Trip in den Philippinen bekommt ihr über info@sur.ph oder auf www.sur.ph

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