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David Guiney

Shipstern Bluff zählt neben Mavericks, Jaws, Teahupoo und Pipeline zweifelsohne zu den spektakulärsten Wellen der Erde. 2001 gelangen Sean Davey die ersten Fotos von einem 30-Fuss-Tag, die in den Surf-Redaktionen dieser Welt einschlugen wie eine Bombe. Kierren Perrow stürzte damals eine riesige Treppe aus Wasser hinab und verschwand wenig später in einer Schulbusgrossen Barrel. Seitdem ist der Name Shipstern jedem Surfer ein Begriff.

Doch was kaum jemandem ein Begriff ist, ist der Name David Guiney, der eigentlich in einem Atemzug mit der Welle genannt werden müsste. Vor über 20 Jahren surfte er hier zum ersten Mal und seitdem für ein Jahrzehnt ganz alleine. Wer ist dieser Mann und was geht einem durch den Kopf, eine der brutalsten Wellen der Welt sein Geheimnis zu nennen? Um das zu klären, trafen wir uns mit David zum Interview.

Die Suche nach dem Entdecker von Shipstern Bluff war schwieriger als vermutet. Googlet man seinen Namen, findet man nur sporadische Einträge. Die Leute aus den örtlichen Surf-Shops, die sonst immer ein Garant für beste Informationen sind, wussten auch nicht, wo ich David Guiney finden könnte. Selbst Sean Davey, einer der bekanntesten Surf-Fotografen der Welt, der sechs Monate im Jahr auf Tasmanien lebt und Shipstern zur Osterzeit 2001 durch ein Bild von Kierren Perrow weltberühmt machte, hatte keine Ahnung, wo David stecken könnte. Erst eine Mail von einem unbekannten Surfer brachte ein wenig Licht ins Dunkel: “Ich habe gehört, dass David Guiney ein Restaurant in Tasmaniens Hauptstadt Hobart leitet. Der Name ist ,The Nose Bag’. Schnell war die Adresse rausgesucht. Auf der Fahrt zum Restaurant rasten mir endlos viele Fragen durch den Kopf: Wen würde ich dort wohl antreffen? Wie ist man drauf, Shipstern Bluff zehn Jahre lang alleine gesurft zu haben? Wieso hält er sich so bedeckt? Hat er überhaupt Lust auf ein Interview? 20 Minuten später befand ich mich von frischem Kaffeegeruch umhüllt in einem kleinen, gemütlichen Restaurant in Hobarts Stadtteil Lower Sandy Bay. Hinter dem Tresen stand ein breit gebauter Anfang-50-Jähriger mit einem von Wind und Wetter gezeichnetem Gesicht und gräulichen Haaren. Ich wusste sofort: Ich habe David Guiney gefunden.

David, wann hast du das erste Mal Shipstern Bluff gesurft?
Das war im April 1986.

Warst du alleine draussen?
Nein, ich war dort das erste Mal mit einem Freund, aber er kam nach dieser Session nie wieder mit mir dorthin zurück. Er hatte genug. Ich war zu der Zeit 30 Jahre alt und er Anfang 20. Er war neben mir der Einzige, der von der Welle wusste.

Wie hast du Shipstern Bluff entdeckt?
Wenn du dich Shipstern vom Landweg her näherst, läufst du gute anderthalb Stunden durch dichten Busch. Einer Freundin von mir gehört dieses Stück Land. Sie ist übrigens Deutsche. Sie nahm früher Touristen mit hinunter zum Spot, um denen diese gewaltigen Wellen zu zeigen. Sie erzählte mir davon und ich erkannte sofort das Potenzial.

Wie lange hast du die Welle beobachtet, bevor du das erste Mal reingesprungen bist?
Wir haben nicht lange gezögert. Wir hatten zuvor schon oft grosse Wellen gesurft und Shipstern war nur eine davon. Ich meine, sie war wahrscheinlich die grösste und hässlichste, aber es war eine von vielen. Also sprang ich sofort ins Wasser, es war vielleicht etwas weniger als 20 Fuss. Das Gruselige am Anfang war, dass der Anker meines Boots nicht am Boden griff und es langsam hinaus in Richtung offener Ozean trieb. Nach jeder Welle wunderte ich mich, warum das Boot nicht an derselben Stelle blieb. Also musste ich wieder in Richtung Boot paddeln, es einfangen und wieder zum Spot fahren. Ich habe einen ganzen Tag dafür benötigt, um zu realisieren, dass es unmöglich ist, das Boot dort zu ankern.

Aber mal im Ernst: Was, zum Teufel, bringt einen dort zum Surfen? Es sieht so brutal und unentspannt aus…
[lacht] Als ich Shippy das erste Mal surfte, war ich bereits 30 Jahre alt und hatte eine Menge Erfahrung in grossen Wellen. Für mich galt immer: je grösser, desto besser. Wenn man die Welle in Magazinen sieht, sieht sie sehr spektakulär aus, doch für mich war es im ersten Moment bloss irgendeine Welle. Ich konnte selbst nie einschätzen, wie gross sie wirklich ist, da es ja niemanden gab, der mir das hätte erzählen können. Erst als ich Jahre später die ersten Fotos gesehen habe, sah ich das ganze Ausmass.

Was geht in deinem Kopf vor, wenn du heute siehst, wie die Welle in den Medien ausgeschlachtet wird und junge Surfer wie Laurie Towner damit berühmt werden? Ärgert dich das?
Nein, das ist einfach der Lauf der Dinge. Es ist schliesslich der Ozean, der gehört nicht mir und ich hätte die Welle nie für immer geheim halten können. Gerade für Laurie freut es mich, denn er ist durch die Welle berühmt geworden, indem er sie angepaddelt hat. Das Einzige, was mich heute an der Entwicklung wirklich ärgert, ist der ganze Scheiss mit den Jetskis. Mit den Teilen ziehen sie sich raus – zip, zip, zip – und surfen so viele Wellen, wie sie wollen. Wenn man stürzt, sammeln sie dich sofort wieder aus dem Wasser. Es hat in meinen Augen nicht mehr viel mit Surfen zu tun. Wenn du paddelst, bekommst du an wirklich grossen Tagen vielleicht nur ein, zwei Wellen, aber die bleiben für immer in Erinnerung. Mit den Jetskis ist es keine Challange mehr.

Hast du Angst, dass es in Tasmanien jemals zu voll im Wasser werden könnte?
Nein, definitiv nicht. Zumindest nie so schlimm wie zum Beispiel an der Gold Coast. Das war damals auch der Grund, warum ich von Neuseeland hierher gezogen bin. Die Leute haben ein merkwürdiges Bild von Tassie vor Augen. Sie denken, es sei hier immer kalt und windig. Sean Davey ist der Einzige, der auch schöne Fotos von guten Wellen ausser Shippy geschossen und veröffentlicht hat, aber sonst liegt Tasmanien nicht gerade im Radar reisender Surfer. Dass es hier noch viele andere Weltklasse-Wellen hat, weiss aber kaum jemand. Die ganze Infrastruktur wie etwa ausgebaute Parkplätze vor Surf-Breaks gibt es hier ebenfalls nicht. Selbst das Schild, das den Bushwalk zu Shipstern Bluff anzeigt, ist nur sehr klein und versteckt. Der Weg dahin dauert zwei Stunden durch dichten Bush, das macht keiner mal eben, um den Surf zu checken. Ausserdem ist das Wasser für die meisten zu kalt. Oder auch für euch Deutsche: Es ist so weit von euch entfernt, dass sich hierhin wahrscheinlich nur die wenigsten verirren werden. Die Surf-Welt Australiens liegt in New South Wales: Dort wirst du als Pro fotografiert, dort sitzen die grossen Firmen und sind die Contests. Der ganze Surf-Journalismus findet dort statt. Die guten Surfer aus Tasmanien ziehen ebenfalls alle dorthin, denn wenn sie was im Surfen werden wollen, brauchen sie die Coverage. Und umgekehrt kommt keiner von den Festland-Surfern hier runter, denn hier gibt es keine grossen Partys, kein Strandleben, kein Sehen und Gesehenwerden. [lacht]

Bei der Recherche nach dem Entdecker von Shipstern ist oft der Name Andrew Campbell gefallen. Was hat es mit ihm auf sich?
Oh, Andrew kam erst viele Jahre später hinzu, es muss 1997 gewesen sein. Er wollte damals, dass ich ihn mitnehme. Ich sagte ihm aber, er müsse da schon alleine hin. Es ist ein ganz anderes Gefühl, diese Welle selbst zu entdecken, das muss jeder selbst erleben. Wenig später hörte ich, wie Andrew versuchte, den grossen Surf-Firmen diese Welle für einen Contest schmackhaft zu machen. Er erzählte ihnen, sie könnten mit den veröffentlichten Bildern eine Menge Kohle machen. Andrew war Feuer und Flamme, sich und die Welle zu vermarkten. Er dachte, er wäre der beste Surfer der Welt und stellte sich so in den Vordergrund. Er machte den Spot auf diese Art und Weise schliesslich bekannt und hielt sich nicht an die Regel der Verschwiegenheit.

Und jetzt kommen sogar schon deutsche Redakteure den ganzen Weg zu dir runter…
Das ist ja auch okay. [lacht] Ich habe überhaupt nichts gegen die Medien, hier geht es nicht um mich und auch nicht um Andrew, es geht hier um die Welle und die Welle ist wirklich etwas Besonderes. Ich hab’ schon eine Menge grosser Wellen vor Hawaii, Indo, Neuseeland, im Pazifik und im Indischen Ozean gesurft und keine Welle ist so wie Shipstern. Ich surfte Shipstern, bevor ich Pipeline surfte, und im Vergleich dazu ist Pipeline eine sehr einfache Welle. In Pipe ist es warm, es gibt keine riesigen Felsen im Wasser und Shippys isolierte Lage mürbt am Selbstbewusstsein. Shipstern ist wirklich eine physikalische Herausforderung. Alles scheint so gross, so rau, so kraftvoll. Trotzdem macht es eine Menge Spass, dort zu surfen. [lacht]

Spass oder ist es nur ein Kampf ums Überleben?
Wir hatten mal ein paar junge Pros mit zum Spot genommen, die schlotternd im Boot sitzen geblieben sind. Wenn du nicht an solche Bedingungen gewöhnt bist, flösst es dir Angst ein. Für mich ist es Spass beziehungsweise eine Herausforderung, die mir immer wieder Spass bereitet, sie anzugehen.

Also hattest du nie Angst vor grossen Wellen?
Nein, nicht wirklich. Ich glaub’, das liegt ganz einfach an der Erziehung durch meinen Vater. Ich erinnere mich noch an meine Teenager-Zeit. Mein Vater nahm mich damals mit hinunter zum Strand. Es war schon dunkel draussen, trotzdem schnallte er mein Board aufs Dach und fuhr mit mir los. Am Strand angekommen meinte er, ich sollte surfen gehen. Ich schaute ihn nur an und meinte: “Aber Papa, es ist doch stockdunkel!” Er meinte nur: “Na und, du hast doch den Mond!” Es war um die acht Fuss, saukalt und er bestand darauf, dass ich rauspaddelte. “Wenn du draussen verloren gehst, schalte ich einfach die Lichter des Autos an.” Er wollte, dass ich ein tougher Junge werde. Er sagte immer, Surfer wären im Vergleich zu Seglern faule Typen, die nur am Strand in der Sonne abhingen, Mädels hinterherpfiffen und nicht arbeiten wollten. Er wollte mich testen, wie ernst ich es mit dem Surfen meinte. Also paddelte ich hinaus.

Was passiert, wenn man in Shipstern Bluff stürzt?
Wenn du nicht ganz viel Pech hast, eigentlich nicht viel. Die Welle wird dir nicht wehtun. Ich habe mich dort nicht ein einziges Mal verletzt. Ich erinnere mich noch gut an meinen heftigsten Wipe-out: Die Welle hat mich über einen riesigen Felsen direkt in eine schmale Felsrinne gepresst. Eine Sekunde später fand ich mich aber schon wieder im weiten Ozean wieder. Ich habe dabei nicht einmal die Felsen berührt. Hier geschieht alles extrem schnell. Dort draussen ist so viel Energie, dass dich der Wasserdruck wie ein Schutzschild von den Felsen fern hält.

Ja, aber als du dann wieder vor den Felsen im Ozean lagst, warst du doch direkt in der Impact Zone. Was passiert denn dann?
Dadurch, dass so viel Wasser vor den Felsen in Bewegung ist, wirst du sofort raus in den Channel gerissen. Du musst noch nicht mal besonders lange die Luft anhalten, während du gewaschen wirst. Alles passiert dort so schnell und so intensiv, fast wie bei einem Autounfall. Natürlich möchte man dort nicht zu oft gewaschen werden, denn wirklich cool ist es nicht. [lacht]

Kannst du die Welle kurz beschreiben? Wie funktioniert sie – und wie entstehen diese Treppen im Face?
Die Welle bricht direkt auf eine ebene Plattform, die aussieht wie die Ecke einer Tischplatte. Vor dieser Felsplatte fällt die Küste erst 20 Meter und davor auf etwa 40 Meter Tiefe ab. Der Unterschied zwischen Shipstern und allen anderen Wellen ist, dass du nicht sehen kannst, wie gross die Welle wirklich wird. Das siehst du erst, wenn du ein Foto von dir und der Welle siehst. Du hast nicht mal ein Gefühl dafür, wenn du sie surfst, denn während die Welle auf die Ecke der Felsplatte trifft, springst du schon aufs Board. Und während du sie surfst, baut sie sich hinter dir immer weiter auf. Es gibt nichts vor Shipstern, was den Swell abbremsen würde. Der Ozean trifft diese Riffformation mit voller Wucht. Der Swell trifft erst auf die 40 Meter tiefe Kante und der Meeresspiegel schiesst plötzlich nach oben. Der ganze Ozean hebt sich dadurch an dieser Stelle an. Das Meer erhebt sich dann so schnell, dass die eigentliche Welle keine Chance hat, nach vornüber zu brechen. Die Erdanziehung versucht, die Lippe der Welle nach unten zu ziehen, aber das Meer drückt so viel Wasser hinterher, dass die Welle keine Chance hat zu brechen. Erst wenn der Meeresspiegel sich nicht weiter erhöht, bricht das ganze Ding in sich zusammen und bildet diese riesige Tube. Dabei ist die Lippe der Welle das Besondere: Ich kenne keine andere Welle, in der so viel Wasser in der Lippe mit zu Boden stürzt. Dadurch, dass das Meer vor der Küste so tief ist, geschieht auch alles extrem schnell: Der Swell trifft erst auf 40 Meter tiefe Kante, eine Sekunde später auf 20 Meter und dann auf die ein Fuss tiefe Platte. Du hast dabei das Gefühl, als würdest du dich in einem Fahrstuhl nach oben befinden. Innerhalb von fünf, sechs Sekunden ist der ganze Spuk aber auch schon wieder vorbei. Das ist wie in Pipeline: Auf Fotos sieht die Welle perfekt aus, doch erst wenn du sie surfst, merkst du, wie kurz sie eigentlich nur bricht.

Kannst du beschreiben, wie man diese Welle surfen muss?
Ja. Es gibt einen ganz bestimmten Punkt, an dem du deinen Takeoff machen musst. Dort bilden sich immer Blasen unter Wasser. Wenn du die unter dir hochkommen siehst, weisst du, dass du richtig sitzt. Als Nächstes musst du dich auf den Takeoff konzentrieren, der sehr steil wird. Du musst dich in grossen Wellen wohl fühlen. Und selbst dann ist Shipstern noch eine Herausforderung. Mich hat die Welle immer gereizt, da sie mich immer wieder vom Brett geschmissen hat. Ich hasse es, wenn ich die Welle nicht kontrollieren kann. Nur wenn du schnell genug auf deinen Füssen bist, mental stark bist und hart genug paddelst, kannst du die Welle meistern. Doch dann kommen noch diese Treppenstufen hinzu. Denn du weisst nie, wann sie auftauchen. Ich erinnere mich noch an eine Welle, als ich beim Takeoff schon auf der ersten Stufe stand. Das hat noch Spass gemacht. Dann fahre ich das Face hinunter und eine zweite Stufe erscheint vor mir. Ich habe es gerade noch geschafft, darüber zu kommen. Bei der dritten spitzelte mein Board ein und es hat mich geschmissen. Aber genau das macht wiederum Shipstern aus, denn hier stimmt die Erkenntnis, dass jede Welle anders ist, noch am ehesten.

Wann ist die beste Zeit für Shipstern?
Das ist inzwischen schwierig vorherzusagen. Früher war es immer im Februar und März. Heute ist das anders, die Klimaerwärmung beeinflusst die Wellen hier unten stark. Es schneit nicht mehr so wie früher und der Swell ist auch nicht mehr so gross und regelmässig. In diesem Februar zum Beispiel hatten wir überhaupt keine surfbaren Wellen.

Noch eine letzte Frage: Würde der Entdecker von Shipstern Bluff lieber in sechs Fuss perfekten Mentawai-Wellen surfen gehen oder in 30 Fuss Mavericks?
[lacht] Definitiv Mentawai! Für einen Trip nach Mavericks würde ich keinen Cent ausgeben: viel zu kalt, viel zu voll, viel zu böse. Keine zehn Pferde würden mich da reinbekommen. Das ist absolut nicht mein Ding!

Mmh… aber Shipstern ist doch ebenfalls kalt und mindestens genauso böse!
[überlegt kurz] Na ja, hast Recht. Wenn du mir einen Trip nach Mavericks zahlen würdest und ich dann im Line-up sitzen würde, würde ich mit Sicherheit auch ein zwei Wellen nehmen. [lacht] Aber hätte ich die Wahl, würde ich dennoch lieber die Mentawis surfen.

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