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Jamie O’Brien

Jamie O’Brien ist zwar noch nicht so weit, um Gerry Lopez den Titel als Mr. Pipeline streitig zu machen, doch keiner wird widersprechen, wenn man den 21-jährigen Hawaiianer „Pipe Boy“ nennt.

Pipe ist seine Welle, sein Vorgarten, sein Spielplatz und keiner surft dort zurzeit so radikal wie er. Für Jamie gibt es weder im Leben noch im Surfen halbe Sachen, halbherzige Manöver oder verpasste Gelegenheiten. Wie auch, wenn eine der härtesten Wellen der Welt dich grossgezogen hat? Solltest du also eines Tages am Strand von Pipeline stehen und ein Blondschopf pullt vor dir tief in die Barrel, setzt sich dabei auf sein Board, steht switch wieder auf, haut einen harten Cutback unter die Lippe und fliegt anschliessend hoch durch die Luft, dann surft vor dir Jamie O’Brien.

Grund genug, ihm ein paar Fragen zum Leben, zu seiner Contest-Karriere, seiner Liebe zur Heimat und seinem Ruf in der Szene zu stellen. Wir erwarten ehrliche Worte!

SURFERS: Dein neuer Film heisst „Freak Show“ und das Wort „Freak“ beschreibt den Streifen ziemlich gut: Ich erinnere mich an Szenen, in denen du ein Board ohne Finne in Pipeline surfst und du irgendwelche verrückten Rodeo Flips stehst. Ist Kreativität das wichtigste Element für dich und dein Surfen?
JAMIE O’Brien: Ja, ich glaube schon. Die Leute denken immer erst über Sachen nach, machen es am Ende aber meistens nicht. Als man noch ein Kind war, hat man sich nie so viele Gedanken gemacht, man hat das getan, was einem Spass machte, egal was es für Konsequenzen haben mochte. Und daran halte ich mich noch heute. So wie mit dem Board ohne Finne im Film. Unter meiner Veranda liegen all die alten Boards ohne Finnen. Eines Tages haben wir sie uns einfach geschnappt und sind mit den Dingern am Strand sandsliden gegangen. Als das langweilig wurde, dachte ich mir: „Warum nicht einfach mal damit rauspaddeln und versuchen, ein paar Wellen abzubekommen?“ Ein Jahr später holte ich die Bretter wieder raus und zog in den Wellen dicke Turns, 360’s und alles, wonach mir war. Die Leute am Strand waren davon begeistert. Wenn du dir heute Surf-Filme anschaust, sieht man immer mehr Leute, die ihre Kreativität ausleben und so das Surfen immer weiter vorantreiben. Und genau das will ich auch, immer wieder neue Sachen ausprobieren und andere Leute damit begeistern.

Wer ist in deinen Augen ähnlich kreativ wie du?
Dayne Reynolds auf jeden Fall. Ich habe ihn mal dabei gesehen, wie er sich mitten bei einem Air über seinem Board drehte und switch landete. Solche Sachen inspirieren mich.

Es ist kaum möglich, mit dir ein Interview zu führen und nicht über Pipeline zu reden. Da du dort lebst, hast du die schönen, aber sicher auch die unangenehmen Seiten dieses Platzes erleben dürfen. Hattest du jemals Ärger mit den anderen North-Shore-Surfern?
Nicht wirklich. Ich meine, als ich dort mit dem Surfen angefangen hatte, war eh gerade das Ende der damals viel heftigeren Pipe-Ära eingeläutet. Es gab sie zwar immer noch, die grossen Namen der damaligen Zeit wie Dane Kealoha und Marvin Foster und einige andere, aber sie wussten, dass die jungen Surfer den Spot übernehmen würden. Ausserdem kannte ich die ganzen harten Jungs durch meinen Vater. Er war Lifeguard und traf sich jeden Tag mit denen. Daher akzeptierten sie mich nach einiger Zeit. Es gab trotzdem auch Zeiten, in denen sie nicht wollten, dass ich eine gute Welle bekam. Dann droppten sie mir rein oder riefen: „Go, go, go!“, wobei sie wussten, dass es eine riesige Close-out war und ich richtig auf den Arsch kriegen würde.

Anscheinend haben sie dich ziemlich oft in Close-outs geschickt, denn es sieht fast so aus, als würde es dir nichts ausmachen, ordentlich ins Riff gestampft zu werden. Ansonsten würde sicher niemand auf die Idee kommen, sich switch in die Barrel zu stellen…
Ja, stimmt, mir macht es tatsächlich nichts aus, gewaschen zu werden. Ich vermisse es sogar, wenn ich eine Zeit lang nicht das Riff berühre. Aber das hat nichts damit zu tun, dass ich sehr gerne switch fahre. Wenn du an einem Spot wie Pipeline aufwächst, wirst du ständig gebarrelt. Es ist echt seltsam, das zu sagen, aber ich wurde schon so oft getubet, dass es mich langweilt. Deshalb probiere ich immer wieder neue Sachen aus. Ich habe das Gefühl, ich bin der Einzige, der so denkt. Typen wie Kelly sind auf jeden Fall supergute Surfer, gar keine Frage, aber ich habe noch nie gesehen, dass sie während normaler Sessions mal switch fahren oder irgendetwas Neues ausprobieren.

Wie lange dauerte es, bis du dir deinen Platz im Line-up verdient hattest?
Ich war ungefähr 15 Jahre alt. Ich paddelte immer mit Tamayo Perry raus, er ist einer der wichtigen Jungs in Pipe, einem, dem man besser nicht reindroppt. Und wenn wir beide im Wasser waren, durfte Tamayo sich als Erster die Welle aussuchen, danach erst durfte ich die nächste nehmen. Wenn er nicht mit draussen war und keiner der anderen grossen Namen in der Nähe war, konnte ich mir ziemlich jede Welle nehmen, die ich wollte. Niemand paddelt mehr mit mir um eine Welle. Sie haben inzwischen Respekt vor mir und dadurch habe ich wiederum Respekt vor den anderen. Das bedeutet mir sehr viel, denn so einen Status zugesprochen zu bekommen, speziell für einen weissen Jungen in Pipe, ist sehr selten.

Warte mal eine Minute: Willst du mir wirklich gerade sagen, dass du in Pipe jede Welle haben kannst, die du willst?
Na ja, auf jeden Fall, wenn nur Tamayo und ich draussen sind und kein anderer Big Name. Dann haben wir freie Wahl und niemand stört uns. Wir teilen dann den Spot unter uns auf. Erst surft er, wird gebarrelt und wieder ausgespuckt und danach komme ich, werde gebarrelt und schiesse knapp vor ihm wieder raus. Wenn die anderen Jungs auch am Surfen sind, dann müssen wir uns arrangieren, damit jeder seine Welle bekommt. Aber wenn ich mal alleine im Line-up sitze und nur Nicht-Locals im Wasser sind, dann kann ich mir jede Welle nehmen, auf die ich Bock habe.

Hattest du jemals ein Problem mit deiner Hautfarbe auf Hawaii? Wurdest du oft als Haole beschimpft?
Nicht wirklich, da ich mich immer richtig verhalten habe und die Leute wissen, wer ich bin. Die Leute, die mich nicht kennen, schauen mich vielleicht manchmal an wie einen weissen Jungen, aber sie spüren dann schnell, dass ich ein Local bin. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Daher bekomme ich auch den gleichen Respekt wie jeder andere Local.

Und trotz des vielen Respekts, von dem jeder spricht, gibt es doch eine Menge Gewalt an der North Shore, oder?
Ja, auf jeden Fall. „The Wolf Pack“ sind dort die Chefs und haben auch das Recht dazu, den Platz zu kontrollieren. Sie sorgen dafür, dass uns nichts Schlimmes passiert. Und entweder du stehst auf deren Seite oder nicht, aber dann wirst du keinen Spass haben. Und ich bin auf ihrer Seite und unterstütze ihr Verhalten. Würden sie nicht die Regeln bestimmen, gäbe es zu viele Idioten in Pipe. Und das kann echt gefährlich sein.

Aber ist Gewalt die einzige Möglichkeit, sie davon abzuhalten rauszupaddeln?
Na ja, Pipe ist eine „Do or die“-Welle. Leute sterben da draussen und andere werden ernsthaft verletzt. Wenn dich einer in Gefahr bringt, weil er nicht weiss, was er tut, dann muss er den Preis halt am Strand bezahlen.

Als du Bruce Irons beim Hansen’s Energy Pipeline Pro 2003 geschlagen hast, war das der grösste Erfolg in deiner Karriere?
Ja, das war das grösste! Ich hatte mir als Kind schon immer vorgestellt, wie es wohl wäre, einen grossen Contest zu gewinnen, aber als es dann so weit war und ich auch noch Bruce geschlagen hatte, war das unglaublich. Jeder Surfer will einen Pipe Contest in seiner Karriere gewinnen und es gibt nur zwei Chancen dafür im Jahr. Wenn ich gegen einen der bekannten WCT-Stars surfe, will ich sie einfach nur schlagen, komme, was wolle. Somit kann ich der Welt am besten zeigen, dass ich die Jungs besiegen kann.

Dieser Tag war wirklich ein grosser Tag für alle um dich herum, besonders für deinen Vater, der dich bei deiner Karriere begleitet, seit du mit dem Surfen angefangen hast. Es sieht so aus, als hättet ihr eine wirklich einzigartige Beziehung zueinander.
Ja, mein Vater ist einer meiner grössten Helden und meine Beziehung zu ihm ist wirklich cool. Er hat mich und mein Surfen immer unterstützt und dafür bin ich ihm für immer dankbar. Wir sind ein wirklich gutes Team. Wir sind wie die besten Freunde, hängen zusammen ab und reden über Mädels. Ausserdem sind wir auch Geschäftspartner: Er arbeitet als mein Agent und ich bezahle ihn dafür. Somit arbeitet er für mich und ich für ihn.

Aber stört das nicht die Vater-Sohn-Dynamik, wenn der Sohn den Vater für seine Arbeit bezahlt?
Es ist zwar ziemlich ungewöhnlich, das gebe ich zu, aber es ist eigentlich ziemlich cool. Dadurch bleibt das Geld in der Familie und ausserdem macht mein Vater einen sehr guten Job. Eines Tages kam eine Agentur auf uns zu, legte uns einige Zahlen vor und sie erzählten, sie könnten mich hervorragend managen. Doch mein Vater kam mit viel besseren Zahlen zu mir. Daher brauche ich niemanden anderes. Und wie gesagt, es ist super, das Business in der Familie zu behalten.

Wenn man dich so beobachtet, merkt man, dass du es liebst, im Spotlight zu stehen. Was bedeutet es für dich, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein?
Wenn ich vor meinem Haus am Surfen bin, muss ich immer etwas beweisen. Ich will da rausgehen und der Surfer des Tages sein. Ich will, dass die Leute über mich reden. Solange ich die Welle des Tages bekomme oder etwas wirklich Verrücktes stehe, bin ich stoked. Ich will, dass die Fotografen sagen: „Yeah, Jamie paddelt raus.“ Dieser Kram motiviert mich immer wieder.

Aber im Mittelpunkt des Interesses zu stehen bedeutet auch, kritisiert zu werden. Als du noch jünger warst, wurdest du zum Punk abgestempelt. Weisst du, warum das so war?
Die Medien versuchen, Sachen zu kreieren. Sie drücken allem einen Stempel auf und mich haben sie halt als Punk abgestempelt.

Ja, aber wo es raucht, da ist auch Feuer und die Medien erfinden nicht einfach Sachen. Glaubst du nicht, dass du manchen Menschen einen Grund gegeben hast zu denken, du wärst ein Punk?
Na ja, vielleicht stimmt es ein bisschen. [lacht] Vielleicht habe ich mir diesen Stempel selbst zu verdanken. Ich denke, das liegt an den Interviews, die ich früher gegeben habe. Ich war jung und hatte eine Menge zu erzählen. Und vielleicht habe ich dort auch manchmal etwas übertrieben.

Glaubst du nicht, dass vielleicht auch dein Verhalten im Wasser etwas zu deinem Punk-Image beigetragen hat?
Oh, im Wasser bin ich aggressiv. Ich bin zwar äusserlich sehr ruhig, aber das ist bei mir eher wie bei einem Boxer. Im Boxring bin ich dann so konzentriert, dass ich mich nicht darum kümmere, was um mich herum passiert. Das passt vielleicht auch ganz gut zu dem Image. Aber wie gesagt, eigentlich bin ich ein ganz entspannter Typ.

Was allerdings nicht zu deinem Image passt, ist, dass du schon immer die Partyszene gemieden hast. Du trinkst nicht und nimmst keine Drogen. Wie schafft man das, gerade wenn man auf Hawaii aufwächst?
Ja, an der North Shore aufzuwachsen ist ziemlich heavy. Drogen sind dort richtig stark verbreitet. Ich habe mich aber schon immer komplett nur aufs Surfen konzentriert. Ich wusste immer, dass ich gut surfe, und ich wollte mich dabei immer weiter verbessern. Ich wollte mich nie mit etwas umgeben, was mich davon abhalten würde. Mein Vater erzählte mir immer: „Frauen halten dich zurück, Drogen halten dich zurück, dies hält dich zurück und das hält dich zurück“, und ich hielt mich so gut an seine Worte, wie ich konnte. Deshalb hielt ich mich, so oft ich konnte, von den Partys, dem Trinken und Rauchen entfernt. Ich bin echt stolz auf mich, dass ich es mit 21 Jahren geschafft habe, nicht zu saufen und zu rauchen und trotzdem meinen Spass zu haben. Manchmal fühl‘ ich mich fast wie ein Heiliger. Ausserdem trifft man viel mehr nette Menschen, wenn man nicht total zugedröhnt und besoffen umherrennt.

Viele der Jungs auf der Tour behaupten, dass du grosse Chancen auf der CT hättest, wenn du dich endlich dafür qualifizieren könntest. Was machst du, wenn du dich nicht in nächster Zeit dafür qualifizieren wirst? Hast du irgendwann keinen Bock mehr auf die QS?
Ich gebe mir auf jeden Fall noch Zeit, bis ich 25 Jahre alt bin. Wenn ich es bis dahin nicht geschafft habe, muss ich mal sehen, was ich mache. Wenn ich mir Jungs wie Brucie anschaue, die sich mit 24 qualifizieren, brauche ich mich jetzt auch noch nicht unter Druck setzten. Der Surf-Level wird von Jahr zu Jahr höher und so wird es auch schwerer, in die CT zu kommen. Manche schaffen es erst mit 27. Occy ist fast 40 Jahre alt und der Typ rippt immer noch so hart wie ein Grommet. Daher weiss ich, dass ich noch viel Zeit im Contest-Surfen vor mir habe.

Wenn du wolltest, könntest du dir ein entspanntes Leben ohne den Tourstress leisten. Warum verbringst du also so viel Zeit damit, der WCT hinterherzujagen?
Es macht halt Spass, Geld und Contests zu gewinnen. [lacht] Aber falls der ganze Contest-Trubel für mich mal aufhören sollte, vermisse ich es auch nicht weiter. Ich würde einfach surfen gehen und Spass haben. Ich möchte meine Karriere so gestalten, wie es Kelly und Taj Burrow gemacht haben. Besonders so wie Taj. Der macht grossartige Sachen wie Surf-Videos, Bücher und inspiriert damit viele Leute mit seinem Surfen. Das versuche ich auch alles unter einen Hut zu bekommen. Ich will mich qualifizieren, versuch‘, weiter richtig gute Fotos zu bekommen, habe mit „Freak Show“ mein eigenes Video und baue an meiner Website rum. Ich will einfach nicht nur auf der QS surfen, um dann vielleicht nach vier Jahren zu sagen, dass ich es nicht schaffe.

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