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Ozzie

Warriewood Headland, Sydney Northern Beaches, Australien. 16. August 2003, 18:02 Uhr – Unter ihm brechen Achtfusswellen gegen das Kliff und schleudern pyrotechnische Regenbogen zwölf Meter hoch gegen die untergehende Sonne. Er kann sie regelrecht auf der Zunge schmecken. Für ihn lebt das Ganze. Er sieht wieder hinab. Es sind nicht die Wellen, die er fürchtet. Es ist der freie Fall. Ein blaues Loch, zwölf Meter unter ihm, ein kochender Hexenkessel. Er muss dieses Loch genau treffen. Er fragt sich ausserdem, was passieren würde, wenn er das Loch nicht träfe. Einfach zu springen und auf der anderen Seite anzukommen. Die Antwort ein für alle mal zu finden. Für immer zu fallen.

Adam, ein Freund aus Kindertagen, stellt sich neben ihn ans Kliff. Er ist nervös und lacht, wartet auf das Signal, aber Oscar Billy Pippin Wright kann ihn nicht hören. Oscar wartet. Nicht aus Angst, sondern aus Neugier. Er wartet auf das Wunder. Er wartet nicht auf den Moment, in dem er springen muss, sondern in dem er springen will. Und dieser Moment des Fallens ist, was er mehr fürchtet als alles andere auf dieser Welt.

Ohne zu erklären, warum, nennt er sein Haus sein „erstes Raumschiff“. Und er erzählt die Geschichte, wie er das Haus gekauft hat, kurz nachdem er den lukrativen Vertrag mit Volcom unterschrieben hatte. Er fuhr eines Nachts an dem Haus vorbei, sah das „For Sale“-Schild und kaufte es unbesehen am nächsten Tag. Er wusste, dass dieses Haus sein Zuhause war. Es war seine Festung.

Geht man durchs Haupttor, liegen auseinander genommene Schaufensterpuppen auf dem Rasen herum, Cartoon-Skulpturen liegen wie alte Ruinen im Schlamm unter der Hecke und Surfbretter – viele davon sehen aus, als ob es Fische seien, die achtlos aus dem Ködereimer ausgekippt wurden. Und man denkt: „Oh ja, so sahen früher die Kommunen aus.“

Man bahnt sich seinen Weg durch all das Zeug und kommt an der Haustür an. Sie hat keinen Türriegel, sondern wird von einem Rasta-Beanie-Bommel durch das Loch, in dem eigentlich ein Schloss sein sollte, zugehalten. Unglaublich, Oscar lebt erst seit vier Tagen hier und schon sieht es hier aus wie in seinem Kopf… Innen erwartet einen ein graffiti-besprühtes Foyer, offene Räume ohne Türen. Polaroid-Fotos an der Wand zeugen von Londoner Kunstvernissagen, Wellen in Bali und schwedischen Untergrundszenen. Gekritzelte Notizen und Gedichte und halbfertige Kurzgeschichten liegen auf dem Boden, den Sofas und dem Futon herum.

Man trifft auf Adam, gross, mit einem permanenten Lächeln auf den Lippen. Auch er umarmt einen, bis die Rippen krachen. Dann nickt dir Tim kurz zu. Tim ist Musiker mit dunklen Augenbrauen, ein Drei-Saiten-Genie, das mit geschlossenen Augen eine dunkle Melodie spielt. Ryan, der Skate-Rampenbauer, spielt Lead und hat ein Mikrofon mit Klebeband vor die Lippen gebunden. Mylle ist Ryans Mädel, sie hat eine Stimme wie ein Engel.

Es ist Winter in Australien, kalt und sie haben alle verschlissene Hippie-Klamotten an. Makramee-Gürtel, Wollmützen, zerrissene Hosen, die gerade mal den Hintern bedecken, mottenzerfressene Sweater und überall Haare, Haare, Haare. Und dann ist dort Oscar, das Alphamännchen. Viereckiges Kinn, eine tiefe Stimme, muskulöser als vor drei Jahren, als ich ihn das erste Mal surfen sah. Grösser, mit mehr Selbstvertrauen. Aber immer noch Oscar: fusselige lange Haare, Zähne wie Klaviertasten – da sitzt er auf der Couch, nickt zum Rhythmus der Musik, lächelt dich an und lächelt alles um ihn herum an, lächelt über das, was er sich geschaffen hat.

In der anderen Ecke stehen Instrumente, elektrische, akustische, Verstärker, Drähte, Trommeln. Dashanka kommt von der Küche und serviert Oscar den Porridge, nimmt eine Handtrommel und setzt sich im Schneidersitz dazu. Hört sich sehr nach Nouveaux Woodstock an, aber es ist anders. Kein Joint, kein Bong, keine Pfeife ist weder zu sehen noch zu riechen – und das die gesamte Dauer meines Aufenthalts über.

Überall hängt Oscars Kunst. Spielerisch sexy, absichtlich provokativ, Comic-Nackte, eine Statue der Jungfrau Maria verwandelt in ein Bunny Girl. Eine komplette Wand zeigt vier Südamerikaner, die nichts weiter als weisse Unterhosen anhaben – bis auf einen, der komplett nackt ist – und teilnahmslos in die Kamera schauen.

Oben: wieder viele offene Räume, luftig, eine Doppelbettmatratze am Boden. Die Laken sind total durcheinander, haben den Gerade-Liebe-gemacht-Look. Gegen jede Wand lehnen unfertige Kunstwerke – mehr sexy Bilder, mehr Angst. Dann ist da Dashankas Volkskunst: zerknickte Bilder in knalligen Farben und fantastischen Kreaturen in Schwebeposen, die an Chagall erinnernn, lila, blau und pink. Eine riesengrosse Projektionswand dominiert den Raum, der Projektor ist über dem Bett angebracht. Jede Nacht ist Filmnacht bei Oscar. Egal was gespielt wird, ausgeliehen oder selbst gemacht, alles ist willkommen. Man sieht schnell, dass das kein konventionelles Schlafzimmer ist, sondern der ganzen „Familie“ gehört. Sie alle umgeben das Bett mit Oscar und seiner Muse – Schuhe und Pullis dienen als Kopfkissen – und schlafen selig ein, bevor der Abspann läuft.

Geht man wieder runter, durch die Musik und raus aufs offene Deck, hört man das Meer donnern, den Sand knirschen und die östliche Brise flüstern. Der Swell wird grösser. Und die Musik wird lauter.

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