Thomas Lange ist seit vielen Jahren ein fester Begriff in der deutschen Wellenreitszene. Thomas brachte das Shortboarden massgeblich an die Nordsee, entwickelte mit seiner Firma Fatum Surfboards Bretter, die keine internationalen Vergleiche zu scheuen brauchen, und machte Schlagzeilen als einer der ersten Deutschen, die grosse Sponsorenverträge unterschrieben und internationale Erfolge feierten. Aber nicht nur seine Erfolge machten ihn für die Medien interessant. Schlägereien, Auto-Crashs und ein Leben auf der Überholspur brachten ihm neben seiner Professionalität einen anderen Ruf ein. Doch seit einiger Zeit ist es still geworden um den Exil-Deutschen. Deshalb besuchten wir Thomas in seiner heutigen Heimat Costa Rica.
SURFERS: Thomas, wir sind hier bei dir zu Hause in San José, Costa Rica. Warum mussten wir einmal um den halben Erdball fliegen, um dich zu treffen?
Thomas Lange: Warum ich in Costa Rica lebe? Das ist eine lange Geschichte. Ich fange mal ganz vorne an. Meine Familie besass damals, noch bevor ich geboren wurde, ein typisches Handelshaus in Bremen, das mein Grossvater führte. Wir importierten erst Honig, später exportierten wir Druckmaschinen. Um das Geschäft mit den Druckmaschinen anzukurbeln, wanderte mein Vater damals mit 19 Jahren nach Nicaragua aus und eröffnete dort sein erstes Büro. Von da an baute er nach und nach mehr Niederlassungen in Lateinamerika auf. Während der Zeit wurde ich in Costa Rica geboren.
Wie ging’s dann weiter?
Ich verbrachte nur die ersten Jahre in Costa Rica. Mein Vater war immer viel unterwegs, meine Mutter die meiste Zeit in Deutschland. Mit vier Jahren bin ich zurück nach Bremen und mit 13 von Bremen nach Venezuela.
War Surfen damals schon ein Thema für dich?
Nein, nur Skateboarden. Ich konnte damals kein Spanisch und daher war der Umzug dorthin echt hart für mich. Doch das Skateboarden half mir, schnell Anschluss zu finden, weil es dabei ja so wie beim Surfen ist: Egal ob du die Sprache sprichst oder nicht, du verstehst dich. Irgendwann fingen immer mehr Surfer an, auch zu skateboarden, und ich brachte es ihnen ein wenig bei. Im Gegenzug nahmen sie mich zum Surfen mit. Die ersten Jahre war ich nur selten auf dem Wasser, bis es bei mir mit 15 Jahren klick gemacht hat und ich schon fast fanatisch nach Surfen war. Von da an waren wir fast täglich auf dem Wasser und machten nichts anderes mehr. Wir sind einfach nur zum Strand und gingen surfen, that’s it! Schliesslich griff mein Vater ein, weil er meinte, ich würde zu sehr „tropikalisiert“, also zu viel surfen, zu viel Marihuana rauchen, zu viel Mist bauen, und schickte mich zurück nach Deutschland, um mein Abitur zu machen.
War es für dich nicht hart, in dem Alter wieder aus deinem Umfeld gerissen zu werden und vom tropischen Venezuela ins kalte Bremen geschmissen zu werden?
Ja, schon. Aber glücklicherweise ging in der Zeit gerade der erste Surf-Boom in Europa los, wo dicke Sponsorenverträge vergeben wurden und die Szene immer grösser wurde. 1996 wurde auch die Weltmeisterschaft in Europa ausgetragen, an der ich teilnahm. Ich kam relativ weit und Quiksilver wurde auf mich aufmerksam und sponserte mich. Ausserdem gab es noch eine andere Situation, die mir den Abschied von Venezuela etwas leichter machte. In meinen letzten Tagen ging ich mit meinen Jungs auf ein Konzert, als plötzlich ein Typ eifersüchtig wurde und mir eine zimmerte. Daraufhin schnappten sich ihn meine Jungs und steinigten ihn beinahe. Wenn so etwas passiert, kann man davon ausgehen, dass das Ganze noch ein Nachspiel hat, und in Venezuela war es zu der Zeit kein Problem, jemanden umbringen zu lassen. Daher war ich ganz froh, nach Bremen zu kommen. Aber vom Surfen her war es echt fatal.
Aber du hast dann die Nordsee für dich entdeckt, oder?
Richtig. Ich hatte gehört, dass es auch dort Wellen haben sollte, und ich dachte mir, schlimmer als in Venezuela wird es schon nicht sein.
Mit wem warst du auf Sylt immer unterwegs?
Meine erste Bezugsperson war Tino, der mich allerdings etwas rough empfing und meinte, ich könne mich gleich wieder in den Zug setzen und nach Hause fahren, da es auf Sylt keine Wellen gäbe. Er sagte das nur, um mich loszuwerden. Die anderen Jungs waren dann noch Ken Haake, André Möller und Angelo Schmitt.
Wie sah Surfen zu der Zeit auf Sylt auf?
Es war so ein bisschen wie in „Back to the Future“. Das war ganz geil. André und Kens Vorbilder waren Typen wir Christian Fletcher. Die wollten mehr so vom Skateboarden her in diese Punkrock-Richtung gehen. Angelo Schmitt und die anderen Sylter waren eher Longboard-Style und Old School. Sie dachten bis zu dem Zeitpunkt, glaub ich, dass man in den Wellen gar nicht richtig shortboarden könnte. Das war zumindest die vorherrschende Mentalität bei den Älteren. Erst Jungs wie Melf Lange kamen dann irgendwann mit 5’5” Fish Shapes an und zeigten, dass es auch damit wunderbar funktionierte.
Für viele Leute ist Surfen eher ein Ding, um Spass zu haben, mit ein paar Freunden im Wasser zu sein und einen schönen Urlaub zu haben. Wenn man sich mit dir unterhält, merkt man, dass du mit einer ganz anderen Intensität an die Sache herangehst und viel konzentrierter bist. Kommt das vielleicht dadurch, dass du das Surfen und Skateboarden als eine Art Flucht siehst, um die ganzen Umzüge etc. zu kompensieren?
Das ist interessant, dass du das so siehst. Meine Mutter hat das mal gesagt, weil ich als Kind die Dinge auch immer zu 100 Prozent durchgezogen habe wie Angeln beispielsweise. Und beim Skateboarden das Gleiche. Aber ob das durch die Umzüge kam? Keine Ahnung…
Hast du die Einstellung denn auch auf das Geschäftsleben übernommen?
Hm, ich denke, schon. Als ich vier, fünf Jahre alt war, habe ich bereits mein Spielzeug verkauft, um Geld zu verdienen. Es hat mir schon immer Spass gemacht, die geschäftliche Seite von allem zu sehen – ob das mit Fatum Surfbards so war oder mit meinen Sponsorenverträgen.
Dann war es für dich ein natürlicher Prozess, aus dem Freizeitspass Surfen einen Job zu machen?
Na ja, wenn eine Firma wie Quiksilver auf dich zukommt und sagt: „Hier hast du 2.000 Euro bzw. DM im Monat“, dann bin ich nicht der Typ, der sagt: „Vielen Dank – und jetzt lehne ich mich zurück!“ Ich arbeite für das Geld, was auch immer meine Argumentation war, wenn ich von anderen europäischen Surfern vorgeworfen bekam, dass ich zu viel Geld verdienen würde. Die haben nie gesehen, wie viel ich dafür gemacht habe. Ich habe selbst andere Surfer interviewt, war pünktlich bei meinen eigenen Interviews und Photoshootings, ich habe mich um alles gekümmert. Mein Teammanager hatte echt keinen grossen Aufwand, mich zu vermarkten, das habe ich alles selber gemacht. Und in meinen Augen muss das jeder professioneller Surfer machen.
Zu deinem jetzigen Beruf: Wie sieht dein Alltag aus?
Ich steh um Viertel vor sechs auf, mach mir einen Kaffee, frühstücke, geh mit meinem Hund raus, schau mir die Nachrichten an, fahr ins Büro, telefonier erst mal mit Deutschland und mach meinen Job als Vertreter für Heidelberg Druckmaschinen. Abends komm ich nach Hause und mach in der Regel erst mal Sport. Ich boxe seit vier Jahren und mach viel Yoga, um mich so fit fürs Surfen zu halten. Ich bin jetzt 33 Jahre alt und will definitiv noch bis mindestens 60 auf dem Wasser sein. Gerade ich als Wochenend-Surfer muss mich so fit halten.
Stört es dich nicht, dass du hier im Landesinneren von Costa Rica lebst und nur am Wochenende an den Strand kommst?
Nee, eigentlich nicht. So wie es ist, ist es eine gute Mischung. Würde ich nur am Strand leben und nichts anderes machen, wäre es mir zu monoton. Genau das hatte ich für die zwei Jahre als Quik-Fahrer und es nimmt dir durch den Contest-Druck und die Routine automatisch etwas den Spass. Daher finde ich meinen Job jetzt auch so gut, denn er bringt mich mit Menschen zusammen, die überhaupt nichts mit Surfen anfangen können. Das erweitert den Horizont ungemein. Ausserdem ist Surfen ja nicht alles im Leben, auch wenn ich es über alles liebe. Ich verurteile Leute inzwischen ein wenig, die auf einen Surf-Trip gehen und nichts anderes machen, als nach Wellen Ausschau zu halten. Viele interessieren sich gar nicht für das Land, die Menschen und die Kultur, was ich echt schlimm finde. Am Ende fahren sie nach Hause und haben relativ wenig über das Land gelernt.
So weise hast du nicht immer gedacht, oder?
Nein, früher war ich ja genauso und habe mich nur aufs Surfen konzentriert und es gelebt. Aber mit den Jahren und durch die Arbeit habe ich mich weiterentwickelt. Ich sehe das immer an den Skateboardern: Die brechen sich für ihren Vertrag alle Knochen, um am Ende ein paar neue Schuhe zu bekommen. Da denke ich auch: Sind die denn bescheuert? Aber das muss jeder selbst für sich entscheiden.
Dass du ein guter Geschäftsmann geworden bist, haben wir nicht nur durch deine Position bei den Heidelberger Druckmaschinen gesehen. Du betreibst nun auch deine eigene Surf-Travel-Company Fatum Travel. Aber mal ganz ehrlich: Hätte ein Thomas Lange noch vor fünf Jahren freiwillig Leute an seinen Home-Spot geführt?
Ha, ich wusste, dass die Frage noch kommt! Ich finde diese ganze Diskussion immer etwas lächerlich. Denn würde ich es nicht machen, würde es jemand anderes machen. Und hier in Costa Rica stört man wirklich niemanden mit einer Surfschule, da hier noch so viel Platz ist. Ausserdem unterstützen wir so auch die Leute vor Ort. Wir achten darauf, dass wir nicht mit grossen Hotelketten zusammenarbeiten, sondern mit den kleinen privaten Unternehmen. Das soll jetzt nicht heissen, dass wir die grossen Samariter sein wollten, aber das war tatsächlich auch ein Gedanke hinter Fatum Travel. Das Thema Surfschule ist aber tatsächlich nicht ganz einfach. Ich habe schon eine Morddrohung von einem Typen aus Pavones erhalten, der meinte: „Wenn du deine Leute hierher bringst, bringen wir dich um.“ Aber hier in der Gegend haben wir schon so ein gutes Standing, dass es kein Problem ist, ganz im Gegenteil.
Du bist dafür bekannt, immer viel Scheiss zu bauen: kaputte Autos beim Soulwave, Freunde, die im Knast verschwinden… Woher kommt das?
Was soll ich sagen? Ich habe immer die Philosophie gelebt „alles oder nichts“. Das war die Zeit damals, heute würde ich viele Dinge nicht mehr tun. Aber ich bereue nichts.
Was war das Härteste, was ihr gemacht habt?
Das Soulwave-Auto war nur besoffen gegen einen Baum geknallt, das war bloss teuer. Aber das Härteste? Hmm… Es gab einige Situationen, in denen wir einfach nur Glück hatten, nicht ums Leben gekommen zu sein. Zum Beispiel, als mein Kumpel Tino auf der Fahrt nach Frankreich am Steuer eingeschlafen ist und wir um ein Haar an einer Betonmauer geendet hätten. Oder dass wir bei Schlägereien auf Fuerteventura nicht als arrogante Deutsche gelyncht worden sind. Die witzigste Geschichte war sicherlich mit Tino im „Rock Food“ in Hossegor. Im „Rock Food“ gibt es ja das eine Klo hinter dem Billardtisch. Ich bin da also nach ein paar Bier mal rein. Ich hatte schon gesehen, dass ein paar französische Jugendliche an der Klotür rumstanden und Scheisse bauten. Ich war schliesslich am Pinkeln, als die Jungs von aussen das Licht abgestellt hatten. Ich bin dann wieder raus und sagte: „Yo, Jungs, macht das bitte wieder an!“ Die Jungs meinten natürlich: „Klar, kein Problem.“ Ich also wieder aufs Klo und du kannst dir denken, was zehn Sekunden später passierte: Ich stand wieder im Dunkeln. Na ja, ich beendete also meinen Toilettenbesuch im Dunkeln und ging wieder Billard spielen. Irgendwann ging Tino dann aufs Klo und ich sah, dass die Franzosen da immer noch standen. Tino war früher Türsteher auf dem Hamburger Kiez. Als Tino die Klotür hinter sich schloss, knipste ich schliesslich den Lichtschalter um. Tino kam wütend herausgestürmt und ich zeigte sofort mit ausgestrecktem Finger auf die Jungs. Die alle: „Nö, nö, wir waren das nicht“, und Tino ging wieder zurück aufs Klo und meinte nur: „Noch einmal und es setzt was!“ Man konnte den Jungs schon die Angst ansehen, als ich wieder hin bin und das Licht erneut ausknipste. Tino kam schliesslich rausgerannt, schnappte sich einen der Jungs am Nacken und am Gürtel und schmiss ihn einmal über den Billardtisch, ohne dass der den Tisch berührt hätte! Ich hab so gelacht… Aber na ja, von solchen Geschichten gibt es halt ein paar mehr und ich bereue davon keine Minute.
Zum Schluss: Wie wichtig ist dir finanzieller Erfolg?
Um Geld geht’s mir gar nicht. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Vater und er hat das damals alles aufgebaut. Daher sehe ich mich in der Pflicht, sein Geschäft ordentlich und erfolgreich weiterzuführen. Mir macht die Arbeit wirklich Spass, und würde ich morgen sagen, ich mache nicht mehr weiter, stünde gleich die Zukunft von 150 Familien auf dem Spiel. Um Geld geht’s dabei wirklich nicht. Mit Fatum unterstützen wir hier auch einige Kiddies, wobei finanziell überhaupt nichts rumkommt. Und auch mit Fatum selbst würde ich nicht reich werden, sondern es geht mir um den Spass an der Sache.
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