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Koby Abberton

Blut ist dicker als Wasser und das Leben von Pro-Surfer Koby Abberton dramatischer als jede Hollywood-Inszenierung. Er wächst mit seinen Brüdern Sunny, Jai und Dakota eltern- und obdachlos in den Strassen Maroubras bei Sydney auf. So abgedroschen es auch klingt, nur das Surfen hält ihn aus dem Strudel der Kriminalität. Doch als sein Bruder Jai plötzlich wegen Mordes angeklagt wird, bricht auch für den Brother’s Keeper eine Welt zusammen.

Die Sonne glitzert auf dem blauen Meer und saubere drei Fuss hohe Wellen brechen am anderen Ende des Strandes. Als ich die dreckigen Stufen eines Reihenhauses hochsteige, begleitet vom Geruch muffiger Wäsche und dem Lärm einer Klimaanlage, kommen mir Zweifel. Worauf habe ich mich hier eigentlich eingelassen? Immerhin ist es noch nicht lange her, dass dieser Typ mächtigen Ärger mit der Polizei hatte und die Anklage auf Unterschlagung von Beweisen in einem Mordfall gegen ihn fallen gelassen wurde. Doch dann öffnet mir Koby Abberton die Tür mit einem freundlichen „How are ya mate?“. In seiner Wohnung sieht es sehr unordentlich aus, aber deutlich viel netter, als es das Treppenhaus vermuten liess. Vom dritten Stock aus hat man eine wunderschöne Aussicht über North Maroubra Bay. Helles Sonnenlicht durchströmt die Wohnung. Die Küche ist modern eingerichtet, es gibt sogar eine Fussbodenheizung. „Die zieht dir die Schuhe aus!“, meint Koby und lacht. Eine Leinwand steht mitten im Zimmer aufgespannt, darauf ist die eindrucksvolle Zeile gemalt: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück… denn ich bin der Brother’s Keeper“. Im ganzen Zimmer liegen unterschiedlichste Dinge verstreut: eine riesige Kiste voll mit Flip-Flops, die seiner Freundin Kara gehören, drei oder vier Rounded Pin Tow-Boards von Brett Warner, Berge von Klamotten, besagte Leinwand und ein halbes Dutzend weiterer, alle voll gekritzelt mit Gedichten, Songtexten, Momenten der Leidenschaft, Momenten der Besinnung.

Kobys Händedruck bei der Begrüssung war viel sanfter, als man erwarten würde. Seine Hände sind sehr dünn, fast zerbrechlich. Erst später zeigt er mir den tiefen Schnitt an seinem Daumen, den er sich bei einem harten Wipe-out in „Cyclops“ zugezogen hat, genäht mit 20 Stichen. Es war einer der vielen Versuche, gemeinsam mit seinem Kumpel Mark Matthews diese westaustralische Barrel zu bezwingen. „Endlich hab‘ ich’s raus. Endlich weiss ich, wie man da draussen getubed wird!“

Aus meinen geplanten sieben Tagen mit ihm werden schliesslich nur zwei. Koby ist momentan ein gefragter Mann und hat nur wenig Zeit. Neben vielen Surf-Trips schreibt er gerade an einem Buch und produziert einen Film. Derzeit reissen sich eine ganze Menge Leute um ihn. „So viele…“, druckst er. „Die sagen alle: ,Hey, lass uns einen Film drehen, du hast eine coole Story zu erzählen. Du bist in der grössten Gang in ganz Australien und surfst riesige Wellen.‘ Keine Ahnung, was die alle von mir wollen, die kennen mich überhaupt nicht.“

Momentan kann Koby nicht aufs Wasser. Neben seiner Schnittverletzung hindert ihn ein dreifacher Bänderriss im linken Knie daran, surfen zu gehen. Auch eine Erinnerung an „Cyclops“. Eine Zeit lang träumte er davon, WCT Pro zu werden, und surfte erfolgreich gegen die Besten der Welt. Er hatte ein paar vorzeigbare Resultate: 1998 gewann er den Gotcha Pro, als zwölf Fuss hohe Wellen Tahiti erschütterten und Teahupoo sein wahres Gesicht zeigte. 2001 hatte er genug davon, sich durch die Qualifikationsrunden der einzelnen Events zu kämpfen und die meist kleinen Wellen auf der Tour zu surfen. Er wollte seine Leidenschaft zum Beruf machen. Er wollte sein Geld mit Freesurfen verdienen, was in der Zwischenzeit auch perfekt geklappt hat. Er folgt inzwischen der Wetterkarte, um weltweit die besten und grössten Wellen zu surfen.

Als 2005 während des Globe Pro der Swell des Jahrhunderts auf Fidschi traf, waren Koby und sein Freund Mark Matthews vor Ort. Die Bilder von der gemeinsamen Session mit Legenden wie Laird Hamilton und Shane Dorian gingen um die Welt. „Während ich dort war, hatte ich etwa eine Million Fragen an Laird. Ich kann mir einfach nicht erklären, wie dieser Typ diese unfassbaren Wellen surft, ohne zu stürzen. Laird könnte wahrscheinlich an einer Hand abzählen, wie oft er in den letzten fünf Jahren vom Brett geflogen ist, und dabei surft er die krassesten Wellen der Welt. Das Gleiche gilt für Dorian. Der stürzt nur deshalb öfter, weil er so viel riskiert.“ Und während er viel von Laird & Co. lernt, sieht Koby seine Aufgabe darin, diesen Pros im Gegenzug Australiens mörderische und ungezähmte Reef Breaks zu zeigen: „Cyclops“, „Shipstern Bluff“ und andere, die noch kaum jemand zu Gesicht bekommen hat, deren Namen kaum einer kennt. Auf die Frage, wie er sich aufs Big-Wave-Surfen vorbereitet, antwortet Koby: „Darüber hab‘ ich mir nie wirklich Gedanken gemacht. Ich glaube, ich hab‘ ein Gefühl dafür zu wissen, wie weit ich gehen kann. Wenn man sich zu viele Gedanken macht, geht’s nur schief.“

Neben dem Fernseher steht eine Blume. Koby deutet drauf und erzählt in nüchternem Ton: „Die ist vom Begräbnis meiner Grossmutter.“ Kobys Grossmutter Marvis hatte sich jahrelang um die Jungs gekümmert und übernahm die Aufgaben seiner Mutter. Als Marvis vor ein paar Jahren einen Schlaganfall erlitt, war es für Koby keine Frage, sich daraufhin um sie zu kümmern. Zwei Monate, nachdem Jai freigesprochen wurde, starb sie schliesslich. „Der Arzt meinte: ,Ihr müsst jetzt an euch selbst denken. Ich schätze, sie hat nur so lange durchgehalten, um Jai noch in Freiheit zu sehen.'“

Zu seiner Mutter hält Koby trotz allem noch Kontakt. Sie lebt inzwischen sogar in einem seiner Häuser am anderen Ende der Stadt. „Sie ist heroinabhängig; alles, was ihr wichtig ist, ist der Stoff. Ich habe ihr das Haus gegeben, damit sie wenigstens ein Dach über dem Kopf hat. Ich rede selten mit ihr, und wenn ich daran denke, wie sie uns damals behandelt hat, werde ich wütend und frag‘ mich manchmal, warum ich ihr überhaupt helfe. Trotzdem habe ich ihr das Haus gegeben – auch deshalb, damit sie hoffentlich ein bisschen auf meinen kleinen Bruder Dakota aufpasst.“ Dakota ist der Einzige, der seinen Vater kennt, einen verurteilten Bankräuber. Die anderen Väter der Brüder sind längst über alle Berge.

Ein weiterer sonniger Nachmittag in Maroubra. „Die Wellen werden grösser“, sagt Koby fast nicht hörbar in einem Nebensatz. „Ich hatte geplant, Jai heute mitzunehmen, aber ich schätze, er kommt eh nicht. Manchmal ist er so. Geht nicht ans Telefon und ist für Tage von der Bildfläche verschwunden.“


»Jeder andere hätte bei dem, was er durchgemacht hat, schon lange resigniert.«
»Jeder andere hätte bei dem, was er durchgemacht hat, schon lange resigniert.«

Doch das Grinsen vergeht schnell und Koby macht sich plötzlich Sorgen um Dakota. „Er ist genau wie sein Vater“, sagt er, „verspricht einem was und tut in Wirklichkeit was völlig anderes. Hin und wieder frag‘ ich in der Schule nach, ob er wirklich hingegangen ist. Bevor ich hingehe, frage ich ihn: ,Kota, warst du in der Schule? Lass mich dort bitte nicht wie einen Vollidioten dastehen!‘ Dann schaut er mir in die Augen und sagt: ,Klar war ich dort.‘ Dabei war er schon seit Tagen nicht mehr dort. Jai, Sunny und ich sind anders. Direkter. Ehrlicher. Wir stehen zu unserem Wort.“

„Komm mit, ich zeig‘ dir mein anderes Haus. Vielleicht ist Dakota ja dort.“ Wir fahren eine kurvige, kleine Strasse in Maroubra entlang und halten vor einem für diese Gegend typischen Bungalow. „Komm rein, wenn’s dir nichts ausmacht“. Er klopft an, geht rein, ich folge ihm in ein Zimmer. Zwei Frauen mittleren Alters sitzen vor einem riesigen Fernseher. Plötzlich wird mir klar, dass das Kobys Mom ist. Sie ist eine kleine Frau mit blasser Haut, krausig schwarzen Haaren und schwarzen Augen, die mich mustern. Es sind die gleichen Augen wie Kobys. Sie lächelt, schüttelt mir die Hand und stellt mich Annie, der anderen Frau vor. Koby geht in ein kleines Hinterzimmer, kommt wieder heraus. Auf dem Boden neben der Tür steht ein Pappkarton, den er aufreisst: ein paar Klamotten von Oakley. Er sucht sich eine Jacke aus, zieht sie an. „War Dakota in der Schule?“, fragt er, ohne ihr in die Augen zu schauen. – „Ja, heute. Die letzten zwei Tage hat er geschwänzt.“ Koby läuft einen Flur entlang, macht ein paar Türen auf und wieder zu. „Ich glaube, er ist abgehauen“, sagt er in bitterem Ton. – „Von wegen abgehauen!“, sagt seine Mutter. „Wo soll er schon hingehen? Er ist schlimmer als alle anderen!“ – „Ich werde ihn zu mir holen“, sagt Koby und schaut ihr dieses Mal direkt in die Augen. „Gute Idee“, sagt seine Mutter, „auf mich hört er eh nicht.“ Später im Auto meint Koby: „Ich hab’s dir ja gesagt. Sie kümmert sich einen Scheiss! So ist es nun mal. Diese Scheiss-Junkies können an nichts anderes denken als an ihren Stoff. Wenn die morgens ihr Heroin nicht bekommen, rasten sie aus.“

In den zwei Tagen mit Koby merkt man sofort seine starke Persönlichkeit. Jeder andere hätte bei dem, was er durchgemacht hat, schon lange resigniert. Erschreckend, sich vorzustellen, was das Gefängnis aus diesem Typen gemacht hätte, hätten sie ihn eingebuchtet. „Wenn du deine Geschichte schreibst, würde ich gerne ein paar Leuten danken“, bittet er mich und meint damit Bruce und Andy Irons, die beide jeweils drei Surfboards an eine Tombola für Jais Prozesskosten gespendet haben. „Ebenso würde ich gerne den Jungs aus Kauai danken: Kai Garcia, Kala Alexander und Eddie Rothman, der mich anrief, kurz nachdem er von der Sache erfahren hatte. Sie meinten nur: ,Hey, alles klar bei dir? Geht es dir gut? Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst!‘ Die wussten, dass ich hart im Nehmen bin.“


»Zwei Frauen mittleren Alters sitzen vor einem riesigen Fernseher. Plötzlich wird mir klar, dass das Kobys Mom ist.«
»Zwei Frauen mittleren Alters sitzen vor einem riesigen Fernseher. Plötzlich wird mir klar, dass das Kobys Mom ist.«

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