Heavy Conditions – Sebastian Steudtner im Interview
Sebastian Steudtner surft Nazaré wie kaum ein anderer. Ende November hat er wieder eine rekordverdächtige Welle in Nazaré gesurft, die es in die XXL Awards 2014 geschafft hat. Er hat Big-Wave-Surfen in Europa maßgeblich geprägt. Dennoch muss sich der Nürnberger immer wieder beweisen und mit starkem Gegenwind kämpfen. Trotz massiven Medieninteresses an seiner Person wird ihm nichts geschenkt.
Warum das so ist? Wir fragten nach!
Sebastian, zu unserer Hope & Fear Issue passt du eigentlich wie die Faust aufs Auge, wobei Hoffen und Angst bei dir keine Themen sind, wenn du an einem großen Tag rausgehst, korrekt? Wenn man dich kennt, weiß man, wie fokussiert du an die Arbeit gehst und dass Angst da keinen Platz hat…
Sebastian Steudtner:Ich hab Angst vor Spinnen und Schlangen, vor Höhe, dass es meiner Familie und Freunden nicht gut geht – ganz normale Ängste wie jeder andere Mensch auch, glaube ich. Im Wasser weiß ich, was ich mache, und hab meine Ängste im Griff – einer von vielen Gründen, warum ich so gerne im Wasser bin…[lacht]
Angst ist ja auch was ganz Natürliches und in vielen Situationen etwas Gutes. Es kommt nur drauf an, wie man damit umgeht und ob man sich seinen Ängsten stellt oder ob man die Angst einen kontrolliert lässt.
Das Big-Wave-Surfen ist in den letzten Jahren immer populärer geworden.
Was macht den Reiz für dich aus, gerade in Europa Big Waves zu surfen?
Sebastian Steudtner: Das Potenzial für große Wellen ist in Europa riesig. Ich kann mich daran erinnern, wie wir auf Hawaii saßen, die ersten Bilder von Irland sahen und uns gedacht haben: „Wow, die Wellen schauen krass aus!“ Für mich ist daraus ein großes Abenteuer geworden, das Potenzial Europas zu entdecken und den Winter auf dem alten Kontinent zu verbringen.
Warum ist Big-Wave-Surfen erst seit ein paar Jahren Thema vor Europas Küsten und nicht schon viel länger? Wellen wie vor Nazaré waren ja auch schon früher da.
Sebastian Steudtner: Es gab einfach keine Big-Wave-Surfer in Europa. Ein paar Jungs sind in Belharra gesurft und das war’s auch schon von dem, was man gehört hat. In Europa ist es außerdem extrem aufwändig, was die Planung und das Finden der Wellen angeht, nicht zu vergleichen mit Kalifornien, Südamerika oder Hawaii.
Zu Nazaré hat Ross-Clarke Jones mal in einem Surf-Mag gesagt, die Welle wäre unsurfbar – und weil er einer der verrücktesten Surfer da draußen ist,haben wir ihm alle geglaubt. So war es wirklich! Ich denke aber, dass es der Aufwand und die Erfahrung war, was die Europäer vom Big-Wave-Surfen abgehalten hat. Man darf nicht vergessen, dass das Big-Wave-Surfen eine sehr junge Sportart ist.
Ihr habt die Entwicklung im Big-Wave-Surfen in Europa in den letzten Jahren maßgeblich vorangetrieben. Kannst du uns beschreiben, was alles dazugehört, wenn man vor unseren Küsten in solchen Gewässern surfen will?
Sebastian Steudtner: Grundvoraussetzung, um wirklich Gas geben zu können, ist, dass man sich an eine Welle herantastet. Man muss sich an den Spot gewöhnen, die Strömungen, den Eingang und Ausgang genau kennen und die Welle lesen lernen.
Dazu muss die komplette Logistikkette stehen. Das fängt bei den richtigen Boards und Neoprenanzügen an, Flüge, Mietwagen und Hotels müssen rechtzeitig und meist sehr spontan gebucht werden, die Jetskis sowie Rettungsschlitten müssen parat stehen und die Kommunikation muss funktionieren. Das muss alles stehen, bevor man loslegen kann.
Das Aufwändige in Europa ist zusätzlich, dass man das Set-up überall stehen haben muss: in Irland, in Portugal, in Frankreich, in Spanien und so weiter. Dann brauchst du eine Crew, auf die du dich verlassen kannst. Wir sind auf dem Wasser und auch in der Vorbereitung aufeinander angewiesen und vertrauen uns gegenseitig blind.
Aus wem besteht deine Crew?
Sebastian Steudtner: Meine Surf-Partner sind Eric Rebière, damals der zweite Europäer, der je auf der ASP Tour gefahren ist. Er ist unglaublich gut in Wellen von zwei bis 60 Fuß. Dann Tom Butler, ein junger Brite, der ebenfalls aus dem Wettkampf-Surfen kommt und sechsfacher englischer Meister ist, sowie Dr. Axel Haber, ein deutscher Arzt und Marineoffizier, der selbst ein sehr guter Surfer ist.
Axel ist für die Sicherheit zuständig. Uns alle verbindet die Leidenschaft für die großen Wellen und ich bin sehr froh, dass wir uns alle gefunden haben!
Maya Gabeira hat mit ihrem Unfall in Nazaré für viele Negativschlagzeilen gesorgt. Ihr revolutioniert gerade den gesamten Sicherheitsaspekt im Big-Wave-Surfen, damit so etwas nicht wieder so schnell passieren bzw. damit schneller gehandelt werden kann. Was genau treibt ihr da?
Sebastian Steudtner: Einige fatale Unfälle im Big-Wave-Surfen wären mit einem besseren Rettungssystem anders ausgegangen. Dass da etwas fehlt, hat der Unfall von Maya gezeigt. Ich habe eine Verantwortung meiner Familie gegenüber, darum habe ich zusammen mit Axel ein System entwickelt, das die Sicherheit für mein Team, aber auch für alle Big-Wave-Surfer weltweit um ein Vielfaches verbessern wird. Es ist schade, dass meist erst so etwas passieren muss, um auch die Medien für das Thema Sicherheit zu sensibilisieren, damit sich etwas verändert. Sobald unsere Entwicklung fertig ist, werden wir sie vorstellen.
Man könnte meinen, Big-Wave-Surfer hockten das ganze Jahr über zu Hause rum, bis irgendwann ein Sturmtief wie „Herkules“ im Januar diesen Jahres kommt. Wie sieht ein Jahresplan bei dir aus? Wie lange bereitet man sich körperlich und mental auf solche Sessions vor?
Sebastian Steudtner: Ein normaler Big-Wave-Surfer surft so gut wie jeden Tag, hält sich fit mit Konditionstraining und anderen „Oceansports“-Aktivitäten. Generell ist das die Jahresplanung. Im Sommer sind alle viel unterwegs und im Winter wartet man auf die großen Wellen. Meine Jahresplanung schaut etwas anders aus. Ich bin, als ich noch auf Hawaii war, immer den Winter dort gewesen und habe im Sommer gearbeitet, teilweise bin ich dann bis zu sieben Monaten aus dem Wasser gewesen. Seit ich wieder in Europa bin, ist es ein Hin und Her zwischen Deutschland, Portugal und Irland. Allerdings habe ich es in meiner ganzen Laufbahn noch nicht geschafft, eine komplette Saison durchzusurfen.
Man könnte wiederum auch denken, wenn man Nazaré surfen will, schmeißt man einfach seinen Jetski an und fährt raus. Wie aufwändig ist es, beispielsweise in Nazaré überhaupt bei fettem Swell aufs Wasser zu kommen?
Sebastian Steudtner: Es ist sehr aufwändig dadurch, dass man ein komplettes Team, mindestens zwei Jetskis und einiges mehr braucht, um überhaupt aufs Wasser zu kommen.
Garrett McNamara, der den Weltrekord dort aufgestellt hat, wird von der Stadt Nazaré, Mercedes und einigen anderen großen Marken unterstützt und hat damit einen finanziellen Vorteil. Aber es ist eine sehr schöne kleine Crew da unten und wir verstehen uns alle sehr gut. Ich kenne Garrett schon seit über zehn Jahren. Er hat mich 2005 am 9/11 Swell in meine ersten Mega- Barrels in
Teahupoo gebracht und war oft bei uns auf Maui. Jetzt haben wir unsere Garagen im Hafen von Nazaré 50 Meter voneinander entfernt – schon lustig, wie sich das alles entwickelt hat!
Wie über keinen anderen Actionsportler berichten „Stern“, „Spiegel“, Stefan Raab, „Sportschau“, „Bild“ & Co. über dich. Da hat dir nur Janni mit ihrem „Playboy“-Auftritt kurz mal die Show gestohlen.
Wie siehst du deine Medien-Coverage und wie gehst du mit dem Interesse um?
Sebastian Steudtner: Stimmt, selbst der „Playboy“ ist mit Janni zu mir gekommen, um ihr Cover zu bewerben! Dass das Medieninteresse bis jetzt so krass ist, wobei ich ja in den letzten Jahren so ziemlich alles im Verborgenen gemacht habe, ist gewaltig.
Für mich bedeutet es in erster Linie, unseren Sport der breiteren Masse nahe zu bringen, zu teilen, was ich erlebe, und Deutschland für das Surfen zu begeistern.
Es bedeutet aber auch viel Arbeit. Ich kann nicht mal die Hälfte der Anfragen annehmen, die ich bekomme, weil ich nicht mehr Zeit für die Medien aufbringen kann, und trotzdem habe ich in den letzten Jahren über 160 Millionen Medienkontakte generiert. Zum Vergleich: Die DTM bringt es auf 300 Millionen im Jahr, also eine gigantische Zahl für das Surfen und eine Einzelperson.
Was kannst du für dich aus all dem Medieninteresse ziehen?
Sebastian Steudtner: Dass das, was ich tue, interessant zu sein scheint. Ich habe eine Geschichte zu erzählen und ich verkörpere Werte, die wichtig sind in der Gesellschaft: Mut, Leidenschaft, für seine eigenen Ziele und Träume kämpfen, das Unmögliche
möglich machen. Es zeigt mir auch, dass es ein wahnsinnig großes Potenzial gibt, was die Vermarktung angeht. Stell dir mal vor, ich hätte eine PR-Agentur, die 100 Prozent der Anfragen bewerkstelligen könnte oder sogar noch auf die Medien zuginge! Ich wäre das ganze Jahr am Surfen…
Wenn man auf die Nose deines Surfboards schaut, sieht es recht clean und unbeklebt aus. Wie schwer ist es für dich trotz all der Coverage, von der selbst die meisten WCT-Surfer nur träumen können, Sponsoren zu finden?
Sebastian Steudtner: Das ist ein sehr komplexes Thema. Ein Aufkleber ist schnell mal auf das Board geklebt, wichtig ist der Deal hinter dem Aufkleber. Für das, was ich tue, ist viel Geld notwendig und ich brauche Partner, die an mich und an das Potenzial glauben, das der Sport und ich mitbringen. Dazu gehören Vertrauen und persönliches Interesse der Geldgeber. Ich hatte von Haus aus nicht die finanziellen Mittel und auch keine Lobby, Agentur, keinen Verband oder sonst jemanden, die sich um Unterstützung für mich gekümmert hätten, und hatte damit auch keine Beziehungen zu Leuten in den für mich wichtigen Kreisen. Im Sport läuft alles über Beziehungen und so musste ich mir erst mal eine Lobby aufbauen und in die Kreise kommen, die Beziehungen haben. Das ist ein langer Weg gewesen – aber ein Weg, der sich gelohnt hat.
Wie finanzierst du dich ohne Sponsoren bzw. brauchst du denn am Ende wirklich welche?
Sebastian Steudtner: Ich finanziere meinen Sport, die Entwicklung der Sicherheit und alles andere komplett selbst. Vor einigen Jahren habe ich angefangen, Vorträge zu halten zum Thema Risikomanagement, Leidenschaft, Motivation, Team etc., und sie sind sehr gut angekommen. Mittlerweile halte ich vor großen Unternehmen wie der Post, McKinsey, KPMG, VW, SAP und sonstigen Unternehmen Vorträge und bin gut gebucht. Was da zusammenkommt, ist ein gutes Einkommen, ein sehr gutes sogar. Allerdings geht das Meiste wieder für die Boards,
Jetskis, Flüge, Hotels, Entwicklungskosten, Produktionen, Autos und die sonstigen Dinge drauf, die aus meiner privaten Tasche gezahlt werden.
Du bist optisch wie vom Typ her nicht der klassische Sonnyboy-Surfer, sondern einer der fokussiertesten und konzentriertesten Typen, die wir kennen. Hat die zähe Suche nach Sponsoren vielleicht auch was mit deinem Image zu tun?
Sebastian Steudtner: Da muss ich ein bisschen ausholen. Das, was ich gemacht habe, als Deutscher die größte Welle der Welt zu surfen, hat es vor mir noch nicht gegeben. Ich bin ein absoluter Exot in den USA und auch in Deutschland/Europa. In den USA ist ein deutscher Surfer in deren Surf-Industrie schwer zu vermarkten, vor allem da ich keinerlei Wettkampfhintergrund habe und für etwas anderes als
die Surf-Kultur stehe. Als Deutscher verkörperst du andere Werte als ein Kalifornier. In Deutschland wiederum ist der Sport komplett exotisch. Als Sportler passe ich super rein, aber der Sport hat Zeit gebraucht, um verstanden zu werden. Und am Ende des Tages ist es eben die Beziehung, die man entweder hat oder nicht, die einem einen guten Sponsorenvertrag ermöglicht.
Ich werde immer wieder gefragt: „Wie ist denn dieser Steudtner?“ Die Leute können dich irgendwie schwer in eine Schublade schieben.
Sebastian Steudtner: Ist ja auch verständlich: Jeder Surfer wird mit einer so genannten Imagekampagne vorgestellt und dadurch in eine Schublade gesteckt, die sorgfältig aufgebaut wurde. Für mich gibt’s keine Schublade, ich bin ein Unikat, wenn man es so sagen will. Dass ich als zu fokussiert, arrogant oder sonst was bezeichnet wurde, kann ich verstehen, finde ich aber sehr schade. Als mich die Leute in Deutschland kennengelernt haben, musste ich gerade extrem kämpfen, um überhaupt irgendwie meinen Sport finanziell weitermachen zu können.
Das waren schwere Zeiten. Ich bin mit nichts in den Händen ins Rampenlicht geworfen worden und musste einen auf gut drauf und „alles cool!“ und erfolgreich machen – oder zumindest habe ich das gedacht.
Ich hab dich immer als sehr freundlichen und positiven Typen erlebt.
Sebastian Steudtner: Das bin ich ja auch! [lacht] Im Ernst, ich bin ein ganz entspannter, ruhiger Typ. Das waren damals mein Umfeld und die Situation, in der ich war, durch die ich nach außen hin sehr verbissen gewirkt habe.
Kannst du denn richtig surfen?
Sebastian Steudtner: Wie meinst du das?
Die ZDF Doku findet Ihr HIER und mehr Infos zu Sebastians #wirmachenwelle gibt es auf der facebook Seite: www.facebook.com/hashtag/wirmachenwelle