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Foto: Surf Snowdonia/Jonty Storey

Surfen in Dauerschleife im Wavegarden von Wales

Es passiert nicht oft, dass ein hawaiianischer Surfer einem europäischen Großstädter einfach so eine gute Welle überlässt. Kalani Robb, ehemaliger Profi von der North Shore, war zudem auch noch als nächster Kelly Slater einst in aller Munde. Aber die kleine Geste sollte nicht der einzige ungewöhnliche Zwischenfall dieses Tages bleiben.

Wir befinden uns in einem walisischen Tal mit beeindruckendem 360-Grad-Blick auf grüne Hügel. Dunkel bewaldete Hänge bedecken das eine Ende, grasbewachsene Flächen auf den anderen Flanken. Keine Strände weit und breit. Kein Meer. Keine Klippen. Nur ein Süßwasser-Reservoir, in dem ab heute gesurft wird. Nicht Wakeboarden, sondern tatsächlich surfen auf künstlich erzeugten Wellen – per Knopfdruck.

Kleine Wogen wie im Wellenbad des Freizeitbades um die Ecke sind damit natürlich nicht gemeint. Die ausgeklügelte Technologie wurde in Pionierarbeit von der Firma Wavegarden entwickelt – ein kleines Team von findigen Ingenieuren hatte bereits vor einigen Jahren im spanischen Baskenland einen Prototypen gebaut, der jedoch in der Testphase ausschließlich für ausgewählte Pro Surfer zugänglich war.

Man stelle sich einen Schneeplug vor, der auf einer Spur unter Wasser im Zentrum des Sees gezogen wird und durch die Verdrängung auf beiden Seiten perfekt geformte Wellen erzeugt.

Die Experten unter den Surfern orientieren sich im Wavegarden direkt instinktiv zum „Main Point“ der Welle, wo sie am größten bricht, während die Fortgeschrittenen eher in der Mitte ihren Spot finden und Anfänger im Weißwasser mehr in Ufernähe paddeln. Es gibt keine Vorschrift, wer wo zu surfen hat – Stichwort: natürliche Auslese.

Die Gruppe der britischen Pros umfasst Oli Adams, Alan Stokes, Jayce Robinson und Reubyn Ash. Der Gründer von GoPro, Nick Woodman, ist mit Kalani Robb standesgemäß im Privatjet angereist, um die Welle selbst zu checken. Dazu gesellen sich noch Redakteure nationaler Newsseiten, von globalen Surfmedien und natürlich good old BBC Breakfast TV.

Es scheint etwas merkwürdig, dass die vielleicht größte Neuerung in der Geschichte des Surfens seit der Shortboard Revolution in den 1970er Jahren auf einem Binnensee in Wales passiert. Nicht auf Hawaii, wo der Sport erfunden wurde oder in Kalifornien, wo der Sport richtig ins öffentliche Bewusstsein rückte. Aber vielleicht ist es nicht so überraschend, weil im Vereinigten Königreich viele Surfer leben, die regelmäßig qualitativ hochwertige Wellen viel dringender benötigen als die Jungs an den Breaks der North Shore oder Big Sur.

Es ist zwar noch zu früh für eine abschließende Einschätzung, aber es sieht tatsächlich so aus, als könne Surf Snowdonia eine echte Instanz auf der Insel werden.

Wie ein Uhrwerk sollen die Wellen alle zwei Minuten rollen, so dass eine beträchtliche Zahl in einer 50-minütigen Session zusammenkommt – weit mehr als man normalerweise im Meer in der Zeit abgreift. Abhängig von den individuellen Fähigkeiten kann zudem ein guter Surfer gleichzeitig mit einem Fortgeschrittenen und einem Anfänger an verschiedenen Stellen derselben Welle surfen.

Während die Surf Snowdonia Website  „2m barrelling waves“ verspricht, sehen wir (noch) keine Tubes, vielleicht aber auch, weil die Anlage momentan noch nicht ganz am Anschlag pumpt. Die Wellen am Testtag vor der offiziellen Eröffnung kann man aber getrost als clean und easy würdigen.

Drei Stunden mit dem Zug von London entfernt, plus Taxifahrt, liegt der See. Man könnte sogar nach der Arbeit in der Hauptstadt zum After-Work-Surf anreisen und unter Flutlicht garantiert noch seinen Wellenschnitt kassieren.

Die Lösung für eine künstliche Welle mit perfektem Shape glich im vergangenen Jahrzehnt der Suche von der Surfindustrie nach dem heiligen Gral, sogar Kelly Slater wollte sich sein Stück vom Kuchen fühzeitig sichern. Wavegarden hatte bereits den Testpool im Baskenland als erste Firma vollendet und wird im nächsten Jahr in Austin, Texas, den zweiten Pool in Betrieb nehmen.

Aber der Hype bedeutet nicht nur ein interessantes Geschäft in Gegenden von Surfern, die „landlocked“ sind oder mit oftmals schlechten Bedingungen im Meer zu kämpfen haben. Wir trafen vor Ort einen solventen Australier, der gleich zehn dieser Zentren Down Under in den nächsten Jahren umsetzen möchte, die meisten davon wohlgemerkt in Surfhochburgen.

Doch auch dem Contest-Surfen dürften einschneidende Veränderungen bevorstehen.

Casper Steinfath, Vizepräsident der International Surfing Association (ISA), dem globalen Dachverband des Sports, ist ebenfalls in Surf Snowdonia zu Gast anlässlich der Eröffnung. Ziel der ISA ist es, Surfen bei den Olympischen Spielen unterzubringen – auf die Shortlist für Tokyo 2020 haben sie es bereits geschafft. Wir fragen ihn, wie Surf Snowdonia dieses Vorhaben konkret beeinflusst.

„Wir haben seit zehn Jahren versucht, Surfen zu den Olympischen Spielen zu bringen, aber einige Länder, die Olympia ausrichten, sind Binnenländer ohne Meereszugang, außerdem kommen ständig ändernde Bedingungen im Ozean wettbewerbserschwerend hinzu. Die Wavegarden-Technologie hat den Traum jetzt aber realisierbar gemacht.“

Uns interessiert, was das Surfen den Olympischen Spielen im Gegenzug bringen würde? „Eine frische und neue Dynamik, die Verfechter einer neuen Ausrichtung der Olympischen Bewegung nur beglückwünschen würden. Man sollte vielleicht eine Parallele zum Snowboarden ziehen, als es damals ins Programm aufgenommen wurde…“

Was entgegnet er kritischen Stimmen auf die Frage nach dem Ausverkauf der Seele der Sportart? „Wir alle lieben das Surfen und ich glaube nicht, dass dieser neue Weg davon etwas abzweigt. Wenn überhaupt wird uns eine stärkere Stimme auf der internationalen Bühne zu Themen wie Umweltverschmutzung und Küstenentwicklung verleiht“, erklärt Steinfath optimistisch.

Wer unter den Surfern in Surf Snowdonia heraussticht – mal abgesehen von Kalani Robb – ist Jo Dennison, viermalige walisische Meisterin und ehemaliger britischer Champion der Frauen, die als Kopf der Surf Academy den Nachwuchs vertritt. Wir fragen nach ihrer Rolle: „Um Menschen nicht nur zu helfen, die Erfahrung des Surfens zu erleben, sondern auch einheimischen Kindern den gesunden Lebensstil, der bei uns dazugehört, positiv zu vermitteln.“

Heranwachsende Surfer aus Ländern mit konstanten Breaks wie Hawaii und Australien genießen den Vorteil gegenüber der britischen Jugend, bereits in jungen Jahren viel mehr anständige Wellen surfen zu können. Wird diese Art von Anlagen ein Game-Changer für britisches Surfing sein, wie es Snowdomes beim Snowboarden zum Teil bewiesen haben?

Wir wollen von Jo Dennison wissen, wie sie über einen Einfluss auf das Contest-Surfen denkt?

„Erstmals in der Geschichte hast du als landlocked Surfer permanent Zugriff auf vernünftige Surfbedingungen. Dadurch werden die Karten auf jeden Fall neu gemischt!“

Vor knapp zwei Jahren fragten wir die sechsmalige Weltmeisterin Stephanie Gilmore bereits nach Pool-Contests in absehbarer Zukunft, nachdem sie 2013 selbst den Test-Wavegarden in Spanien ausprobiert hatte.

„Ich denke, dass es einfach Teil des Fortschritts in der Sportart ist. Vielleicht bin ich auch etwas neidisch auf Tennisspieler und andere Sportstars, die feste Zeitpläne für ihre Veranstaltungen gewohnt sind. Sie kommen einfach auf den Platz und haben zu vorgegebenen Zeiten all diese Leute im Stadion, die ihnen zuschauen. Als zusätzlicher Contest der Weltserie würde das schon einen Reiz ausmachen.“

„Es gibt viele Orte auf der World Tour, die wie natürliche Amphitheater aussehen, aber es wird selten zuschauerfreundlich um 11 Uhr am Sonntag 4 Meter hohe Wellen geben – in den Pools auf Knopfdruck aber gerade in der Höhe ebenfalls nicht. Man wird andererseits auch nie in der Lage sein, neu zu erschaffen, was der Ozean liefert, aber warum nicht einfach mal im kleineren Rahmen mit dieser Technologie etwas ausprobieren?“

Wie fühlte es sich für uns an, die Welle zu surfen? Sonderbar, aber auch ziemlich beeindruckend, denn der Rausch, eine Welle zu reiten, war schon ähnlich wie im Meer. Sehr gewöhnungsbedürftig erscheint es, auf einem zunächst flachen See ohne Horizont auf die Wellen zu warten. Dann hört man die Maschine surren und weiß, dass gleich die Action abgeht – ein komischer Moment.

Die Wipeouts im Süßwasser wirken deutlich harmloser als im offenen Meer und man verliert keine Kraft, um die Position im Line-up zu halten, so dass wir am Ende der Session weniger Ermüdungserscheinungen merken. Insgesamt sehen wir die Erfahrung im Wavepool ziemlich positiv, vor allem angesichts der durchaus gelungenen, natürlichen Umgebung in Wales.

Und trotzdem wird kein Wavepool der Welt das Hochgefühl der eigenen besten Welle des Tages auf dem Ozean ersetzen können. Niemals.

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