Christian Beamish ist in seiner Heimat Kalifornien nicht nur dafür bekannt, mit seinen selbst geshapten Boards die dicksten Wellen in Mavericks anzupaddeln, er ist auch ein ziemlich eigener und willensstarker Charakter. Ist ihm einmal eine Idee ins Hirn geschossen, muss diese auch umgesetzt werden. Eine seiner Ideen führte ihn schliesslich auf eine ziemlich einzigartige Reise. Er baute sich ohne jegliche Vorkenntnisse ein kleines Boot und segelte damit die gesamte Baja California entlang. Dass dies nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen ist, beweist seine Story.
Anfang 2000 lebte ich für ein paar Jahre in einem alten Leuchtturm im Norden Kaliforniens. Ich shapte dort meine Bretter und ging in der Bucht vor meiner Haustür jeden Tag surfen, so gut ich konnte. Da unten, alleine im Wasser, fühlte ich mich wohl: keine Menschenseele, nur ich, das Meer und meine Fantasie. Durch meine Leidenschaft für diesen Leuchtturm stellte ich mir oft vor, wie es dort wohl in dessen aktiven Zeiten aussah, wie früher die hölzernen Handelsschiffe dort anlegten, um die Rinder aus der Umgebung aufzuladen.
Der Leuchtturm ist das Einzige, was aus diesen alten Tagen noch übrig geblieben ist – der Leuchtturm und ein paar verrostete Ringbolzen am Fuß der Klippen. Ich stellte mir die Szenerie faszinierend vor: wie die Boote mit den Tieren beladen wurden und die Männer mit den schweren Booten aus der kleinen Bucht Richtung Meer ruderten, dann die Segel setzten und zu ihren Bestimmungsorten aufbrachen.
Eines Tages fragte ich mich, wie es wohl wäre, selber solch ein Boot zu besitzen. Warum Geschichte Geschichte sein lassen? Man könnte die Historie dieses Ortes wieder aufleben lassen und somit nicht nur davon träumen. Die Idee ließ mich nicht mehr los und beschäftigte mich so sehr, dass ich es schließlich anpacken wollte. Doch was tun, wenn man solch ein historisches Boot aus den 19. Jahrhundert haben will? Man müsste es sich wohl oder übel selber bauen.
Also las ich alles, was ich nur irgendwie über die Konstruktionsweisen von kleinen historischen Booten finden konnte. Um diese neue Phase meiner Wassersport-Vita einen Schritt weiterzubringen, musste ich aus Platzgründen leider meinen schönen Leuchtturm und den geliebten Break aufgeben. Ich fand eine Studiowohnung in San Clemente mit einer Garage, die groß genug für mein Bauprojekt war – auch wenn ich noch kein genaues Bootsmodell im Kopf hatte.
Noch am selben Tag schickte ich Mr. Oughtred 150 Dollar für die Pläne des Boots und startete mein Projekt, für das ich schließlich ein Jahr und zehn Monate brauchen sollte. Ich nannte mein Boot nach den schnittigen Seevögeln „Cormorant“. Insgesamt kostete mich der Bau 1.500 Dollar, die Segel noch einmal 1.200 Dollar sowie der Anhänger für das Auto und all das andere Equipment noch einmal ein paar tausend Dollar.
Ich träumte davon, versteckte Orte zu besegeln, immer auf der Suche nach Wellen. Klar, ein offenes 18-Fuß-Segelboot ist nichts, womit man den Ozean überqueren sollte. Doch die gesamte amerikanische Westküste gab ein tolles Cruising-Gebiet ab, genau bei mir vor der Haustür. Damals gab es viele Zweifler in meinem Umfeld: „Zu gefährlich, nicht hochseetauglich, mit der Nussschale kommst du nicht weit!“ Doch schon der alte Saint Brendan überquerte im sechsten Jahrhundert den Atlantik in einem Boot aus Holz und Kuhhäuten. Letztlich sagte mir meine innere Stimme: „Ich werde das packen!“
Zugegeben, meine Segelerfahrungen waren lachhaft. Als Kind war ich im Sommer mal ein paar Stunden auf dem Wasser. Und selbst in den fünf Jahren bei der US Navy war ich nur ein einziges Mal auf hoher See. Ich musste mir also eingestehen, dass mein Wissen von Booten und Nautik nicht sonderlich fundiert war. Durch meinen Surf-Background kannte ich aber immerhin das Meer. Im ersten Jahr, in dem ich die „Cormorant“ im Wasser hatte, kam ich mit kleinen Schritten hinter das, was Segeln wohl bedeutet: Windrichtungen lesen, Abstände vom Boot zum Land aus einschätzen, halsen, kreuzen, navigieren, und, und, und… Ich machte erste kleinere Trips und umsegelte einige kalifornische Inseln. Mit jedem Trip lernte ich etwas Neues dazu. Mit einem Segeltuch überdachte ich die komplette Kabine und verwandelte die „Cormorant“ in einen echten Camper. Ohne Probleme konnte ich jetzt mehrere Tage unterwegs sein, mir drinnen mein Essen auf einem Campingkocher zubereiten, mich vor der Sonne verstecken und mich bei Nacht vor der Feuchtigkeit schützen. Im Spätsommer 2008 entschied ich mich schließlich, mit der vorherrschenden Nordwest-Brise den vorherbestimmten Weg gen Süden weiterzusegeln.
Point Loma in San Diego lag ungefähr 150 Meilen hinter mir. Ich war, seit ich mich zu meinem größten Abenteuer entschlossen hatte, bereits zehn Tage unterwegs, als ich wie üblich den Pelikanen und Delfinen, die mich auf meiner Reise begleiteten, aus Walt Whitmans „Leaves of Grass“ vorlas. Doch die nächsten zwei Tage sollten anders werden als die zuvor. Am Nachmittag fuhr ich in einen großen Kelpteppich und blieb zwei Meilen vor der Küste mit meinem Ruder in den Schlingpflanzen stecken. Nachdem ich tonnenweise Seetang von meinem Ruder geschnitten hatte, stand bereits der Mond am Himmel. Am Horizont ging gerade die Sonne unter und färbte die Wüstenlandschaft der Baja California in wunderschönes Pink.
Trotz meiner schwierigen Situation im Sturm fiel mir auf, dass der Surf wirklich gut aussah. Von hinten hatten die Wellen gute sechs bis acht Fuß. In dem heftigen Offshore-Wind bauten sie sich wundervoll auf und der Spray wirbelte nur so im strahlenden Mondlicht. Doch leider war ich nicht für eine Solo-Nacht-Surf-Session hier draußen. Ich war mir sicher, das charakteristische Klippenprofil von Colonet vor mir zu haben, also ruderte ich direkt an das Ende dieser 300 Fuß hohen Abhänge, immer mit einem Auge auf die Brandung. Und schließlich schaffte ich es wir durch ein Wunder hinter die Brandungslinie und angenehm ruhige Bedingungen stellten sich ein.
Meine Füße steckten über knöcheltief im kalten Wasser und den Schiffsboden hatte ich schon lange nicht mehr durch das dunkle Wasser gesehen. Ich war fertig. Keine 200 Meter von mir entfernt wütete die See, ich jedoch dümpelte nun geschützt in einer kleinen Bucht und warf den Anker. Dann zog ich meine Schuhe aus, streifte meine Booties über die nassen Wollsocken und schlüpfte in meinen übel müffelnden Trockenanzug. Ich lehnte mich zurück, atmete durch und fiel sofort in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte ich bei ruhiger See und Sonnenschein. Sitzend schaute ich direkt auf einen Delfin und sein Baby, die an der Steuerbordseite faulenzten. Ich begann, langsam und gelassen das Wasser aus der „Cormorant“ zu schöpfen. Die Sonne schien und es war warm, die Welt hätte nicht schöner sein können.
Ich ruderte ungefähr eine Stunde die kurvige Küste von Colonet entlang, bis ich an einen Strand kam und ankerte. Mit einem Drybag auf der Schulter schwamm ich die letzten Meter bis zum Strand. Ich kletterte ein paar Felsen hoch und konnte von dort die Rücken von Blauwalen erkennen, die gerade an der Küste vorbeizogen. Dabei bemerkte ich, wie eine hübsche Welle genau in der Ecke der Bucht brach und mich an Trestles erinnerte.
Zurück auf meinem Boot setzte ich mich wieder an die Ruder. In der Sonne setzte sich eine Biene auf meinen Arm. Plötzlich brummte eine schwarze Wolke aus Bienen über mir und im nächsten Moment war jeder Platz auf der „Cormorant“ bedeckt mit den kleinen Honigproduzenten. Die Bienen schienen zum Glück nicht angriffslustig. Vorsichtig schubste ich sie beiseite, ließ den Anker zu Wasser, nahm mir erneut das Drybag und sprang über Bord. Vom Strand aus konnte ich sehen, wie sie mein Boot komplett umhüllten. Für eine ganze Weile würde ich es nicht mehr betreten können. Ich beobachtete sie weiter vom Strand, denn ich war auf dieser Party nicht eingeladen und hatte keine Lust, mir den Hintern zerstechen zu lassen.
Share