Surfen ist in den letzten Jahren ein immer öffentlicherer Sport geworden. Kaum ein Spot, an dem nicht ein paar Zuschauer am Strand oder auf den Klippen sitzen. An dem es keine Webcam gibt oder von dem nicht früher oder später eine DVD erscheint.
Doch es gibt Surfer, die ihre aussergewöhnlichen Fähigkeiten an aussergewöhnlichen Plätzen ganz ohne Zuschauer, ja, ganz ohne andere Surfer entwickeln. Wayne Lynch zum Beispiel oder Jeff Clark. Von 1975 bis 1990 war Letzterer für 15 Jahre der einzige Surfer in einer der gefährlichsten Wellen der Welt. Ganz ohne Zuschauer. Allein in seiner geliebten lebensgefährlichen Welt. Allein in Mavericks.
Alleine
Es war im Jahr 1981. Ein Haufen Amerikaner hatte sich in ein kleines Cottage in Torquay/Victoria in Australien eingemietet. Wir waren schon über einen Monat lang in Oz, um an den dortigen Abstechern der Pro Contest Tour teilzunehmen. In dieser Gruppe fuhren wir ein wenig herum und surften vor der ländlichen Küste Victorias. Big Wave Rider Richard Schmidt aus Santa Cruz und ich fuhren an jenem Tag die zwei Stunden küstenabwärts nach Johanna. Als wir die grasbewachsene Hügelkuppe über dem Tasmanischen Meer erreichten, entdeckten wir sechs bis acht Fuss hohe Wellen mit ablandig ge-bürsteten Kämmen unter einem strahlend sonnigen Himmel. Zum Anfang unserer Session paddelten wir zu einem weiter draussen gelegenen Break, wobei wir den einzigen anderen Surfer im Wasser dabei beobachteten, wie er in ein riesiges, blau heranrollendes Monster von Welle droppte. Als wir ihn aus den Augen verloren, schauten wir uns an und zuckten nur mit den Schultern; wir dachten, dass er mächtig gewaschen würde. Sekunden später schoss Wayne Lynch durch das Ende einer geschlossenen Barrel, carvte durchs Weisswasser und war wieder verschwunden. Wir waren überwältigt. Uns dämmerte, dass wir gerade Augenzeugen dessen geworden waren, was Lynch eine Legende werden liess: sein offensichtlich unglaubliches Können – und das an einem entlegenen Spot in krassen Wellen komplett für sich alleine. Ich erinnere mich, wie ich den Eindruck hatte, dass Wayne Lynch ebenso in diese raue Landschaft Südaustraliens gehörte wie die Haie, die seit Urzeiten über die Sandbänke unter uns glitten.
Ich hatte die letzten Saisons über in den warmen Gewässern vor Hawaii ein paar Wellen von fast 20 Fuss gesurft. Die Geschichte, die mir Richard auf ruhige und “so war das halt”-mässige Art und Weise erzählte, nahm mich trotzdem ganz schön mit. Er erzählte von dem kalten, finsteren Wasser, starken Strömungen und riesigen Wellen, die wie nasser Zement aussehen und sich wohl auch so anfühlen, wenn sie einen niederschmettern. “Das ist krass, Richard”, antwortete ich leise, während sowohl die Gewaltigkeit seiner Story als auch das Bier eine beruhigende Wirkung auf mich ausübten. “Oh, das ist noch gar nichts”, antwortete er. “Es gibt da einen Typen, der surft die North Coast alleine. Das kommt dem, was Lynch hier unten macht, schon nahe, nur in noch heftigeren Bedingungen; und er macht das jetzt schon eine ganze Weile.” – “Der Typ muss ganz schön verrückt sein”, dachte ich im Stillen.
Mein erster Besuch
Ich hatte das Bedürfnis verspürt, der städtischen Hektik, die ich mein Zuhause nenne, zu entfliehen, und war Richtung Norden unterwegs auf der Suche nach ein wenig Erholung. Je weiter ich nordwärts kam, desto besser fühlte ich mich. Aufgrund eines für die Saison untypischen West-Swells funktionierten hier relativ viele Spots. An einem warmen, etwas diesigen Augustnachmittag führte mich mein Trip den Coast Highway entlang in die kleine Hafenstadt Half Moon Bay. Ich brauchte nicht lange, um auf die andere Seite des Hafens zu gelangen und Pillar Point zu finden. Von der Steilküste aus konnte man bis nach San Francisco schauen. Direkt vor einem aber erhoben sich die Klippen, die als Wahrzeichen von Mavericks bekannt wurden, in dem sechs Fuss hohen Swell, der in einem 14-sekündigen Intervall anbrandete. Der warme Sommernachmittag warf ein sanftes Licht auf meine schon lange im Voraus gefasste Vorstellung von diesem Ort. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie die Launen eines in den Tiefen Alaskas geborenen Sturms und die harte Hand des Winters diesen Ort verwandeln könnten. Vor meinem inneren Auge türmten sich auf dem Meer 20 Fuss hohe Wellen auf, die über dem Riff brachen, wobei die Kämme durch die kalte Luft fauchten, um dann mit brachialer Gewalt auf den Grund des Ozeans niederzuhämmern. Diese Szenerie vor Augen machte mir bewusst, dass ich noch mal wiederkommen müsste.
Am nächsten Morgen luden wir unsere Boards ein, dann ging es schon los. Mit dem ersten Tageslicht waren wir an der Central Coast. Weiter ging es die Küste hoch. Unser nächster Stopp war Santa Cruz. Wir besorgten uns Kaffee und Benzin und dann veranlasste uns ein Blick auf die kleinen blauen Lines bei Steamers Lane schon mal, Kris anzurufen. Während ich also auf Steamers schaute, hörte ich Kris’ Stimme am Telefon sagen, dass es nicht ganz so gut aussah. “Ich habe gerade Jeff angerufen. Wir treffen ihn bei Grey Whale Cove. Bis dann.”
“Jeff?”, dachte ich, “meint er etwa Jeff Clark?”
Die Strasse Richtung Half Moon, wie sie sich so die inzwischen saftig grüne Küste hinaufschlängelte, sah im goldenen Licht der Morgensonne überwältigend aus. Eine Kurve nach der anderen offenbarte eine Postkartenansicht. Bald lugten Kris, Adam und ich über die Kante einer 100 Meter hohen Klippe. Tief unten krachten nach sechs Fuss aussehende, fast close-out brechende Wellen aus dem tiefen Blau auf ein felsiges Riff. “Das sieht ja nicht so super aus… Hey, da ist Jeff”, teilte uns Kris irgendwie teilnahmslos mit. Ein blass dunkelroter Van hielt in eine Staubwolke eingehüllt am Rand der Strasse hinter uns. Heraus kletterte ein massiv gebauter Typ mit einem dunklen Lockenkopf: Jeff Clar
Ich wusste nicht, was ich von Jeff halten sollte. Die Geschichten, die ich von Richard Schmidt gehört hatte, standen im krassen Gegensatz zu den Fotos, die ich aus Surf-Mags kannte, welche ihn bei Wipe-outs und mit einem merkwürdigen Stance zeigten. Ich hatte selber schon für Surf-Magazine gearbeitet. Folglich war ich bereit, Richards Bekundungen unter allen Umständen zu glauben. Jeff strahlte diese ruhige Zuversicht aus, wie ich sie von World Champions kannte. Aber er war kein World Champion. Und doch spürte ich, dass er besonders war. Nun war ich begierig herauszufinden, woher dies rührte.
Kris und Jeff erzählten uns, dass es da ein Riff nördlich von Pillar Point gebe, das wahrscheinlich “on fire” wäre. Adam, hormongesteuertes Surf-Monster, das er ist, hatte schon Schaum vorm Mund, so versessen war er darauf, ins Wasser zu kommen. Das ganze Vorbeigefahre an perfekten Wellen von vorhin hatte ihn förmlich in Ekstase versetzt. Innerhalb von zehn Minuten hatten wir unsere kleine Kolonne die sich nach unten windende Strasse hinabbewegt. Wir gelangten so an eine über einem weiter draussen liegenden Riff gelegene Klippe. Eine Meile weiter zeichnete sich der Radarturm von Pillar Point gegen den Himmel ab.
Mavericks alive
Am nächsten Morgen stand ich vor Tagesanbruch auf. Trotzdem war der Weg zum Ausguck am Pillar Point heute schon von Jeff und seinem Kumpel Grant Washburn beschritten worden. So sind sie wohl, diese nordkalifornischen Surfer: aus härterem Holz geschnitzt als unsereins. Die Umrisse der beiden hoben sich gegen das schwache Licht der Morgendämmerung ab, wie sie da so auf der Klippe über dem eine Meile entfernt liegenden Break standen. Ein Set mit drei Wellen türmte sich über dem Riff auf. Mavericks knallte richig. “Es bräuchte noch einen etwas niedrigeren Wasserstand. Wir treffen uns in einer Stunde an der Bootsanlegestelle”, sagte Jeff jetzt. Wie ich mich umdrehte und losging, standen die beiden noch immer regungslos da: Schatten im werdenden Zwielicht, deren Verstände auf Hochtouren liefen, um Berechnungen anzustellen, deren Variablen sich noch den ganzen Tag über kontinuierlich verändern würden. Zwei Big-Wave-Surfer, die Informationen verarbeiteten, welche sie durch jahrelange Erfahrung gewonnen hatten.
Ich sass in Jeffs winzig kleinem Schlauchboot im Channel neben Mavericks genau südlich des Breaks. “Kriegst du das hiermit hin?”, fragte er auf den Gashebel des kleinen Aussenbordmotors zeigend. “Ja, aber das lass lieber Adam machen, so dass ich filmen kann.” Genau in diesem Moment rollte ein Set heran. Ein Rudel Surfer bemühte sich um eine sichere Postition, als sich ein tiefblauer Berg von Welle wie verrückt über den äusseren flachen Punkt des Riffs warf. Der Farbton der Welle änderte sich ins Türkise, als sich eine perfekte durchsichtige Barrel formte und die Welle in Richtung der 100 Meter entfernt von uns liegenden Klippen raste. Da war sie: eine der schönsten, perfektesten Wellen, die ich in 30 Jahren Surfen je gesehen hatte.
Jeff und Grant sahen glücklich, ja, aufgekratzt aus. Innerhalb weniger Minuten war Jeff über Bord und paddelte zu den anderen Surfern hin. Er positionierte sich circa 50 Meter hinter den anderen. Die erste Lektion, die ich in Mavs lernte: Jeff kennt sich hier besser aus als jeder andere. Ich verfolgte mit Interesse, wie sich die anderen hinter Jeff aufzureihen begannen. Grant erklärte, dass die Takeoff-Zone ziemlich klein sei. Jeff orientierte sich deshalb an zwei an Land gelegenen Punkten. Die anderen richteten sich einfach nach Jeff.
Die nächste Welle kam direkt auf Jeff zu. Er richtete sich auf mit dem Gesicht zur 15 Fuss hohen Right. Eine weitere Besonderheit Jeffs ist es, dass er sowohl goofy als auch regular surfen kann. Wie wenn einer beidhändig veranlagt ist, nur dass hier das Leben und die Gesundheit auf dem Spiel stehen. Er schoss aus dem Wellental, drehte auf dem Kamm und ritt in die zweite Section. Genau in diesem Moment verkantete sein Board an einem Bump in der Welle. Mit Schrecken sahen wir, wie Jeff sich nach vorne warf, synchron mit der 20 Meter langen Sektion der sich auftürmenden blauen Betonwand, welche sich daran machte, ihn zu zerschmettern. “Das sieht übel aus”, stellte Grant ruhig fest. Angestrengt starrten wir auf das brodelnde Weisswasser, darauf wartend, dass Jeff wieder auftauchte. Wir machten uns gerade daran, zu der Stelle hinüberzufahren, wo wir ihn vermuteten. Und dann sah Adam, wie Jeff an der Lip weit inside wieder auftauchte. Jeff hatte gerade eine der krassesten Sachen gerissen, die ich je beim Surfen gesehen hatte, und er hatte es switchstance getan. Ich war überwältigt! Er war auf einem Bein über einen Bump gesprungen und dann durch die Barrel gesteuert, so dass er in der Inside des Breaks rauskam! Und dabei trug er einen fünf Millimeter dicken Wetsuit, Handschuhe und Booties. Wo war der seltsame Stance hin, den ich auf Magazinfotos von ihm gesehen hatte? Das haute mich glatt um.
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