Dank Elise haben wir wieder einen Traum: die Vorstellung, sich aufzumachen, das alte Leben hinter sich zu lassen und den Rest am Strand zu verbringen. Und es kann funktionieren. Elise und ihre Mutter Claire sind das beste Beispiel. Auch ohne viel Geld und grosse Pläne. Zugegeben, mit einigen Hindernissen. Aber am Ende? Da wird natürlich alles gut! Und sie leben ihren Traum noch immer…
Vor acht Jahren war es noch kein Traum, eher ein Albtraum. Stell’ dir vor, du bist gerade mal zehn Jahre alt und landest dank deiner Mutter in einem Land, wo du niemanden kennst, wo keiner deine Sprache versteht und du zu allem Überfluss auch noch im Auto schlafen musst, weil das Geld nicht reicht. Okay, du bist in einer paradiesischen Umgebung, du bist auf Hawaii. Aber deine Freunde und Familie bleiben in Frankreich zurück. Abenteuer, ja. Aber auch ein recht einsames: Du gehst zur Schule, doch selbst diejenigen, die sich mal für dich interessiert haben, lassen dich irgendwann wieder fallen, weil du nicht richtig mit ihnen sprechen kannst. Später wirst du am Strand abgesetzt und bleibst dort, bis es dunkel wird, denn deine Mutter muss jobben, damit ihr durchkommt. Was bleibt dir also anderes übrig, als dir die Wellen zu Spielgefährten zu machen?
So wird das Surfen dein Weg, das Heimweh nach der alten Heimat Frankreich zu verdrängen und neue Freunde kennen zu lernen. Dein Traum ist aber noch so weit von deinem Leben entfernt wie das Paradies. Elise aber kämpft sich durch. Ihr Surfen wird immer besser. Irgendwann bemerkt das auch Matt Kinoshita, einer der besten Shaper der Insel. “Er nahm mich in sein Team auf, trainierte mit mir, shapte meine Boards und beeinflusste nicht nur meine Art zu surfen, sondern auch mein Leben”, erinnert sich Elise an ihren Mentor.
Fotograf Erik Aeder wiederum entdeckt Elises Potenzial als Model. Die langen blonden Haare, haselnussbraunen Rehaugen und die perfekte, sportliche Figur bringen ihr erste Jobs. Elise arbeitet sich hoch, surft Contests mit, bekommt kleine Artikel in Magazinen plus Sponsorships, jobbt als Model und wird schliesslich von Rip Curl unter Vertrag genommen. Ihre Situation verbessert sich – zugleich auch ihr Englisch. Endlich kann sie mit dem Rest der Welt kommunizieren. Sie ist nicht mehr “anders”. Mittlerweile entdeckt Rip Curl, dass die 19-jährige Französin nicht nur als Surferin gut ankommt, sondern ihr Look auch perfekt in die Firmenkampagne passt. Elise steigt ins internationale Team auf. Arbeiten bedeutet jetzt Photoshoots für Kataloge und Werbung in Australien, USA und Europa und, natürlich, zu surfen.
Elise hat es geschafft. Sie kann reisen, surfen und Spass haben – ihr Ziel ist erreicht. Vom Strand-Gipsy zum Glamour-Girl der Surf-Welt. “Was geschieht, ist Schicksal”, meint Elise. “Aber ich denke auch, dass manche Träume nur in Amerika Wirklichkeit werden.” Also: Nur wer wagt, der auch gewinnt. Oder wieder neuer Stoff für unsere Traüme…
Wenn du heute zurückdenkst und selbst hättest entscheiden können: Maui oder Frankreich?
Auf jeden Fall Maui! Ich liebe diesen Insel-Surf-Lifestyle. Jeden Morgen aufzuwachen und als Erstes surfen zu gehen… und zwar im Badeanzug! Ausserdem gibt es noch eine Menge anderer Dinge, die man hier machen kann. Allerdings muss ich sagen, dass ich es auch geniesse, Französin zu sein und jedes Jahr zu meiner Familie, den Freunden und zu meinen Wurzeln zurückzukehren.
Dein Vater surft auch – war er dein Vorbild?
Er ist ein guter Surfer und das ist sicherlich auch der Grund, wieso ich so scharf darauf bin.
Hast du denn überhaupt noch Zeit für Familie und Freunde?
Es stimmt, dass ich viel unterwegs bin. Rip Curl schickt mich mindestens einmal im Monat zu Photoshoots. Das kann dann fünf Tage oder drei Wochen dauern. Trotzdem verbringe ich noch genügend Zeit zu Hause bei meiner Mutter und Freunden. Da führe ich dann eher ein gesundes Leben mit einer Menge Zeit beim Surfen.
Deine Surf-Bilder und dein drittter Platz beim Billabong Pro vor Honolua Bay sind ja ziemlich beeindruckend. Hast du dir nie überlegt, in der WCT mitzusurfen?
Vor ein paar Jahren stellte Rip Curl mich vor die Entscheidung, mich entweder auf die Wettkampf- oder die Imageseite zu fokussieren. Ich entschied mich für die Surf-Modell-Geschichte, weil mir dieser Stil mehr liegt. Ich bin eben kein aggressiver Mensch und hatte deswegen von jeher Probleme im Wettkampf.
Aber in grossen Wellen sieht es nicht so aus, als ob du so etwas wie Angst überhaupt kennen würdest…
Hawaii ist ein guter Platz, um seine Ängste zu bekämpfen und bis ans Limit zu gehen. Es gibt hier einfach so viele gute Surfer und das ist meine Motivation, besser zu werden und grössere Wellen anzupaddeln. Angst ist beim Surfen immer im Spiel, gerade wenn es sich um unberechenbare Pazifikwellen geht. In grösseren Wellen spielst du mit deiner Angst, kennst deine Grenzen und weisst, wie du an sie rankommst.
Wie steht’s mit deinem Verhältnis zu den Jungs? Gibt es da Spannungen im Wasser?
Eigentlich sind die Jungs hier recht freundlich. Wenn sie sehen, dass ich surfen kann, respektieren sie mich. Einige sind auch begeistert, wenn ein Mädel surft. Da kommen dann sogar Komplimente. Natürlich gibt es auch immer einige, die schlechte Stimmung verbreiten. Ich bin zwar jemand, der auch gerne mal die guten Wellen bekommt, aber ich teile den Spot und werde nicht aggressiv oder gemein. Weil ich die anderen respektiere, versuchen auch die Jungs, freundlich zu mir zu sein.
Und wie fühlst du dich in der doch oft sehr künstlichen Model-Szene?
Es ist schon manchmal komisch, mit anderen Models zu arbeiten. Ich bin einfach anders. Eher ein einfaches, ruhiges, lockeres Surf Girl und nicht so “sophisticated” wie sie – ob im guten oder schlechten Sinne hängt davon ab, was man mag…
Wer oder was spielt ausserhalb des Surfens für dich noch eine Rolle?
Oh, da gibt es viele Sachen… ich entwerfe gerne Schmuck aus Muscheln, die ich am Strand finde, dekoriere damit Rahmen oder giesse Kerzen. Ausserdem bin ich ein Keramikfreak. Wenn ich reise, ziehen mich immer irgendwelche Gefässe an. Und Musik fasziniert mich. Ich selbst spiele Ukulele und meine CD-Sammlung hört nicht auf zu wachsen.
Was würdest du machen, wenn dir jemand 10.000 Dollar geben würde, um die innerhalb von drei Tagen auf den Kopf zu hauen?
Ich würde meiner Mutter einen neuen Truck kaufen, denn ihrer ist alt und sie braucht echt einen neuen. Mit dem Rest würde ich mir ein Round-the-World-Ticket für Bali oder andere Plätze mit perfekten Wellen kaufen, wo ich mir für ein paar Wochen oder Monate den Verstand wegsurfen und -feiern würde.
Der grösste Moment in deinem Leben?
Das war, als ich mit einem Freund um vier Uhr morgens auf die Spitze des Haleakala-Kraters raufstieg. Ausgerechnet in dieser Nacht war Vollmond. Also sahen wir den riesigen Sternenhimmel mit den vielen, vielen Sternschnuppen, den Mond, wie er mit einem unglaublichen Hof im Meer versank, und später dann den wahnsinng farbintensiven Sonnenaufgang. Das war so cool, dass ich heute noch Gänsehaut kriege, wenn ich daran denke. Wenn du willst, hab’ ich noch mehr von solchen Dingen auf Lager…
Zugegeben, die Frage kommt etwas früh, aber gibt es schon ein Leben in zehn Jahren, von dem du träumst?
Ich bin eigentlich jemand, der nicht weit im Voraus plant, und ganz bestimmt nicht so weit im Voraus. Ich nehme das Leben, wie es kommt, und geniesse, was ich habe. Aber eine Sache hätte ich doch ganz gerne: ein Grundstück irgendwo auf einer Insel im Pazifik mit einem Obst- und Gemüsegarten und einem kleinen Haus, das wäre ein Traum.
Text: Olivia Techoueyres
Interview: A. Hausstaetter
Photos: J. Houyvet
Share