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Andy Davis

Öffnet man die Schädeldecke des 35-jährigen Kaliforniers Andy Davis und schaut tief hinein, entdeckt man interessante Dinge. An der knochigen Innenwand hängen haufenweise bunte Gemälde, das Kleinhirn wurde ausgetauscht gegen ein Surf-Rack voll mit alten Single-Fin Longboards und Fishes und das Grosshirn ist ein unerschöpfliches Archiv voller wunderbarer Bilder, Visionen und Vorstellungen.

Andy Davis hat sein Leben dem Surfen gewidmet. Doch er ist kein Pro-Surfer oder Wasserfotograf. Nicht das Surfboard wurde das Instrument seines kreativen Ausdrucks, sondern der Pinsel. Andy ist einer der einflussreichsten Surfkünstler der heutigen Zeit.

Hoch in den Hügeln von Cardiff by the Sea liegt das bescheidene Zuhause von Andy Davis und seiner kleinen Familie. Das einstöckige Holzhaus glänzt mit einem Panoramablick über den ständig verstopften I-5 Freeway. Hier treffe ich Andy bei der Arbeit. „Hey, what’s up man?!“, grüsst er mit fröhlicher Stimme, als ich die altersschwache Holztür zur Garage nach oben stemme und in seine Welt eintauche. In Hausschuhen und einem bunten Mix ausgemusterter Klamotten liegt er neben einem Heizstrahler und einer frisch in Tiefblau angepinselten Leinwand auf dem Fussboden. Beim Aufstehen reicht er mir die Hand und sagt: „Komm bitte noch eine Minute mit ins Haus. Ich muss noch ein paar Sachen zusammenkramen und dann können wir surfen gehen.“

Ich steige vorsichtig über ein Feld aus frisch bemalten Leinwänden und Holztafeln, drücke mich am mit Pinseln, Stiften und Farbtöpfen voll gestellten Schreibtisch vorbei und folge Andy ins Haus. Seine Frau Ashley reicht mir eine warme Willkommenstasse Chai-Tee und der kleine Noah, ihr 17 Monate alter Sohn, hört mit dem Spielen auf, um den neuen Besucher mit offenem Mund zu mustern.

Ihr Zuhause hat Stil, eine minimalistische Einrichtung ohne die eigenen Kunstwerke. Nur ein paar Originalaufnahmen von Fotografen wie Bill Ogden, Thomas Campbell und Andrew Kidman sowie eine exklusive Auswahl an seltenen Prints von LeRoy Grannis, auf denen Surflegenden wie Buttons abgelichtet wurden, hängen geschickt verteilt an den sonst kargen Wänden. Im Kontrast zu den letzten, sehr ereignisreichen Monaten im Leben des Andy Davis gleicht sein Zuhause einer Oase der Ruhe. Denn noch wenige Tage vor meinem Besuch stand Andy im Mittelpunkt einer grossen Opening Party zu seiner neuen Galerie „Andoland“. Eine fast schon kindliche Freude überkommt ihn, als wir über die neue Ausstellung sprechen.

Den Grund, warum die Gallery bei der Eröffnungsparty so viel positives Feedback produzierte, beschreibt Andy wie folgt: „Die Bilder konfrontieren die Leute nicht mit irgendetwas Negativem. Sie bringen sie stattdessen einfach nur zum Lachen und geben ihnen ein gutes Gefühl. Und ich denke, dass genau dieser Punkt im Surfen seit langer Zeit verschwunden ist. Es ist alles so verdammt ernst geworden. Mit dieser Gallery will ich einen Ort schaffen, an dem diese negative Stimmung ausgeschlossen wird. Das ist unser Rückzugsgebiet aus dem Ernst der Surfwelt.“

„Ich bin in San Diego aufgewachsen und erst in der siebten Klasse zum Surfen gekommen“, erzählt Andy und balanciert dabei das Lenkrad in der linken und den heissen Becher Kaffee in der rechten Hand durch den dichten Verkehr. „Ich wohnte etwas entfernt von der Küste, daher war Surfen eher Wochenend- oder Ferienbeschäftigung. Über das Skateboarden bin ich schliesslich zum Surfen gekommen. Ein paar Freunde und ich haben immer die Surf-Moves, die wir in Surf-Mags gesehen haben, auf unseren Skateboards nachgemacht: Cutbacks, Noserides, all das Zeug. Um die ganzen Tricks für uns ein wenig zu verdeutlichen, haben wir sie aufgezeichnet. Das waren die allerersten Beginne meiner Kunst. Es wurde unser Ritual, jeden neuen Trick auf Papier zu bannen. Für eine lange Zeit war die Kunst so meine bedeutendste Verbindung zum Surfen.“

Doch während Andys Interesse zur Kunst immer weiter stieg, sanken die Schulnoten tief in den Keller. Er drohte sitzen zu bleiben, was seinem Vater, einem knallharten High-School-Sportlehrer aus Dana Hills, gar nicht passte. Er diagnostizierte den Konsum von zu viel Junkfood als Grund für die Konzentrationsschwäche seines Sohnes und griff zu drastischen Massnahmen.

Er beschloss, Andy durch ein straffes Sportprogramm Disziplin und Durchhaltevermögen einzuverleiben und so auch die Konzentrationsschwäche in den Griff zu bekommen. „Es gab somit kaum noch Zeit fürs Surfen. Dad liess mich das ganze Jahr über schwimmen und Wasserpolo spielen. Meine Konzentration und die Noten wurden dadurch allerdings auch nicht besser. Sozial gesehen war ich ein ganz normales Kind und auch kein Dummerchen. Ich war einfach nur ein wenig in meiner Traumwelt gefangen.“

Am Ende schloss er doch noch die High School ab, aber bis dahin war Surfen höchstens einmal die Woche der Ausweg aus seinem stressigen Sportprogramm. Surf-Magazine, Skateboarding und der ewige Wunsch, sein Leben dem Surfen zu widmen, verankerten sich in dieser Zeit tief in ihm. So zog er gleich nach dem High-School-Abschluss in das Surfer-Nest Cardiff by the Sea. „Von dem Tag an, an dem ich nach Cardiff zog, surfte ich fast zwei Jahre ununterbrochen“, erzählt er mit leuchtenden Augen, „und wenn ich nicht in Cardiff war, war ich auf Reisen. Ich konnte einfach nicht genug von diesem Freiheitsgefühl bekommen.“

Doch jeder Trip hat auch mal ein Ende und Andy war nach den zwei Jahren bereit, seinem Leben eine Richtung zu geben. Mit seinem starken Interesse an der Malerei und natürlichem Talent im Zeichnen kam die Idee, sich mithilfe eines Abschlusses an einer Kunsthochschule einen Job als Artdirector bei einer grossen Surf-Firma zu sichern. „Ich war genau einen Tag an der La-Jolla-Kunstakademie“, lacht er und hält im nächsten Moment auf einem kleinen Parkplatz in der Nähe seines Secret Spot an. „In der Schule haben sie nur mit Computern gearbeitet, ich arbeite aber lieber mit meinen Händen, Bleistiften und Pinseln. Ich bekam mein Geld zurück und vertrieb mir wieder für eine Weile die Zeit.“

Wir steigen aus dem Volvo aus, wachsen die Bretter und klettern in unsere kalten, feuchten Neos. Wir stolpern über einen kleinen Kojotenpfad durch dichtes Grün, um die letzten Meter einen vom Wetter gezeichneten Sandsteinfelsen hinabzusteigen.

Im Wasser angekommen erzählt Andy zwischen den Wellen weiter. „Im Alter von 23 Jahren beschloss ich, mit ein paar Freunden eine eigene Surf-Firma auf die Beine zu stellen. Der Name für die Firma war schnell gefunden: Free. Das nötige Startkapital bekamen wir durch meinen Grossvater. Und so wurde nicht lange gefackelt und 1994 der Grundstein in die Selbstständigkeit gelegt.“ Seine eigene Kunst wurde anfangs nur selten auf die T-Shirts gedruckt, aber er war „The Brain“ in der Kreativabteilung.

Nach einem Jahr Garagenverkauf gelang der jungen Firma der Clou: Sie akquirierten Pro-Surfer Brad Gerlach und den damaligen Shooting-Star Donavon Frankenreiter. Die Marke wurde plötzlich ernst genommen und begann, Profit abzuwerfen. Free entwickelte sich immer besser. Aber auch der Druck stieg mit dem überraschenden Erfolg und den Jungs wuchs die Arbeit über den Kopf. 1997 gaben sie schliesslich auf; ohne eine vernünftige kaufmännische Ausbildung wurden die Verantwortung und das Risiko zu gross.

Doch durch den Schritt in die Selbstständigkeit hatten sich neue Türen aufgetan und Andy lernte das sommersprossengesichtige Longboard-Kid Joel Tudor kennen. „Mit Joel abzuhängen veränderte meine Sichtweise aufs Surfen. Joels alte Single-Fin-Bretter zu surfen, all diese seltenen 60er- und 70er-Jahre-Filme zu schauen, die er aus Australien anschleppte, und dann noch Leute aus seiner Welt kennenzulernen, das alles hatte einen grossen Einfluss auf mich.“ Inspiriert von dem, was heute als Retro-Trend um die Welt geht, und beeinflusst von weiteren Künstlern wie Thomas Campbell und Harry Daily, bekam Andys Kunst eine neue Richtung und Bedeutung.

Wind zieht schliesslich auf und Andy und ich brechen unsere Surf-Session ab. Wir verabreden uns für den folgenden Morgen. Am Nachmittag recherchiere ich weiter, wie sich Andy in den letzten Jahren zu einer so festen Instanz in der kalifornischen Kunst- und Surf-Szene etablieren konnte.

„Mit sehr wenigen Mitteln schafft er etwas sehr Grosses“, erklärt der ehemalige „Surfer“-Redakteur Matt Warshaw. „Andy war der perfekte Gegenpol zu all diesen Airbrush-Typen der 90er, die nur springende Delfine, sich drehende Galaxien und pornomässige Fantasiewellen schufen.“

„Andys Kunst erklärt den Surf-Stoke deutlicher als alles andere, was ich bisher an Surfkunst gesehen habe“, so Thomas Campbell. „Das ist auch der Grund, warum sich Leute so mit seinen Sachen identifizieren. Von einem Hügel auf einen Line-up hinabschauen und dabei beobachten, wie eine gesichtslose Figur in einer Barrel verschwindet, ist genau das, was die Leute sehen wollen. Darum geht es im Surfen und nicht um all diesen Contest-Bullshit.“

Niedergeschlagen hielt sich Andy mit einigen Ausstellungen über Wasser und erst nach einem sechsmonatigen Trip durch Australien und Neuseeland kam das Glück zurück. Er verliebte sich in die Surf-Globetrotterin Ashley Carney. Schnell wurden beide ein Paar, schlugen Wurzeln in Cardiff und gründeten eine kleine Familie. Und mit dem neuen Lebenswandel änderte sich auch die Verantwortung. Sein bescheidenes Einkommen als Künstler könnte die Kosten für ein Familienleben in Kalifornien alleine nicht stemmen. Doch wie es das Schicksal will, traf Andy kurz nach der Familiengründung auf Randy Hilde von Quiksilvers Frauenlinie Roxy. Sie hatte seine Arbeit in einer Surf Gallery in Laguna Beach begutachtet und Andy daraufhin kontaktiert. Das Angebot: Festeinstellung zum In-House Artist. „Sein Talent sprang mir sofort ins Auge“, erzählt Hilde. „Ich traf jede Menge Frauen, die von seinen Stücken sehr angetan waren. Seine Kunst passt daher perfekt zu uns. Aber was ich an seinen Arbeiten am besten finde, ist, wie perfekt sie den Surf-Spirit einfangen. Auch wenn man kein Surfer ist, wird man von den Bildern magisch angezogen.“

Am folgenden Morgen sitze ich wieder in Andys Studio und beobachte ihn bei seiner Arbeit. Er sitzt da und schwingt seinen mit Acrylfarbe voll gesogenen Pinsel über eine Leinwand auf dem Boden. Daneben liegen weitere Kunstwerke: Illustrationen, Installationen, mit Wasserfarben bemalte Papiere, Acryl auf Holz und Acryl auf Leinwand, gequiltete Boardbags und Siebdrucke auf Papier und Stoff. Er sammelt seine Werke zusammen und verpasst ihnen den letzten Feinschliff für eine neue Ausstellung im „Mullosk Surf Shop“ in San Francisco.

Er unterbricht seine Konzentrationsphase kurz, um eine neue Beck-CD einzulegen, verschwindet aber sofort wieder tief in seiner Traumwelt. Die gleiche Welt, in der er sich schon als Teenager befand, und genau die gleiche Welt, die ihn letztendlich zu dem gemacht hat, was er heute ist. Egal ob Andy jemals zum grossen Geld kommen wird, er berühmt wird oder nicht, er wird wohl immer genau das machen, was er an diesem Morgen auch getan hat: nämlich träumen und, was viel wichtiger ist, seine Träume umsetzen und realisieren.

Mehr Andy Davis: www.andydavisartstore.com

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