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Chuck Corbett

Chuck Corbett besitzt 17 Surfboards und kein einziges Paar Schuhe. Das war 1993, in dem Jahr, als der vielleicht ungewöhnlichste Surf-Auswanderer der Welt das erste Mal Besuch bekam und die Wellen seiner Heimat Kiribati endlich mit anderen teilen durfte. 16 Jahre später, im Jahr 2009, besitzt Corbett 26 Surfboards… aber immer noch keine Schuhe, Socken, Reef-Booties oder Sandalen. Er kann sich auch nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal was an seinen Füßen trug, und ist man ehrlich, braucht es auf diesen sandigen Eilanden auch nicht viel für die Füße. Surfbretter indes können sehr nützlich sein!

Letzten Februar machte ich mich von Honolulu aus auf die lange und entbehrungsreiche Reise nach Kiribati, um mit Corbett ein paar menschenleere Wellen zu scoren und später auf seiner frisch renovierten 18-Meter-Segelyacht „Tuaraoi“ über sein Leben als Aussteiger an einem selbst für reisende Surfer ungewöhnlichen Ort zu sprechen.

SURFERS: Hi Chuck! Du bist in Südkalifornien aufgewachsen – wie hat es dich schließlich nach Kiribati auf die isoliertesten Atolle der Welt verschlagen?

Chuck: Angefangen hat es 1973, als ich als 16-Jähriger nach Hawaii flog, um zur High School zu gehen. Ich merkte aber schnell, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, da ich nichts mit meinen Mitschülern anfangen konnte, außer sie waren auch Surfer. Ich war zu der Zeit wirklich ein „Surf-Nazi“.

Eigentlich war der Plan, nach einiger Zeit wieder zurück nach Kalifornien zu gehen, aber ich kam nicht zurück. Die nächsten vier Jahre blieb ich auf Oahu und schlug mich mit Aushilfsjobs auf Baustellen durch. Hawaii hing mir aber relativ schnell zum Halse raus: zu heftige Crowds und zu viel Gewalt auf der Insel. Schließlich traf ich jemanden, der mir Fotos von einem Lefthander auf Guam zeigte, der größten Insel des Marianen-Archipels, und durch einen riesigen Zufall bekam ich die Gelegenheit, dort eine Kirche mit aufzubauen.

Als ich dort war, lief drei lange Monate keine einzige Welle. Kurz bevor ich die Hoffnung aufgab, kamen sie dann: Es war ein reines Barrel-Fest! Ich verbrachte anderthalb Jahre dort und Ende 1978 überlegte ich, ob ich weiter nach Indonesien oder Tahiti gehen sollte. Kurz vor meiner Entscheidung traf ich eine Familie, die gerade mit ihrer Yacht auf Weltreise war, und sie erzählten von den Wellen auf Kiritimati, einem Atoll, das zu Kiribati gehört, mitten im Pazifik. Ich war neugierig und machte mich auf den Weg. Und plötzlich stand ich auf diesem Atoll, auf dem noch nie zuvor ein Mensch surfte – es war ein absoluter Traum!

Wie ging es dann weiter? Wellen zu entdecken und auf einsamen Inseln zu leben hört sich ja alles super an, aber von irgendetwas muss man doch auch leben!

Das stimmt. Mein Glück war, dass ich gleich am Anfang auf zwei Typen traf, die mir sehr geholfen haben. Der eine war Engländer und der District Officer der britischen Regierung. Er versuchte, einen Handel auf Kiribatis äußeren Inseln aufzubauen. Wir freundeten uns schnell an und schließlich überließ er mir einen kleinen Bananenhandel. Dafür musste ich nach Tarawa segeln, was mich Wochen kostete, weil Kiribatis verschiedene Atolle so weit auseinander liegen. Auf den nördlichen Inseln begann ich, Bananen zu kaufen. Mit einer 125-ccm-Honda mit Beiwagen fuhr ich dann beladen mit Bananen zu den Läden, zum Krankenhaus und zur Schule. Da Tarawa sehr fruchtbar ist und es dort recht viel regnet, konnte ich die davon Bauern überzeugen, neben Bananen auch Papayas und Kürbisse anzupflanzen.

Irgendwann fand ich heraus, dass es auch eine große Nachfrage nach Haifischflossen und Seegurken gab. Also begannen wir, Haifischflossen von den Fischern zu kaufen, die sie sonst eh nur ins Meer geschmissen hätten. Das Geschäft wuchs und gedieh und schließlich fuhr ich auf den Frachtern mit entlang der vielen Inseln und kaufte die Flossen und einige Jahre später auch Seegurken. Beide schickten wir nach Hongkong, wo die Nachfrage danach groß war. Ich war gerne mit dem Schiff unterwegs und hatte auch immer meine Surfbretter dabei.

Wenn wir in einen Hafen einliefen, erledigte ich meine Arbeit in der Regel in zwei, drei Stunden und die restliche Zeit verbrachte ich mit der Suche nach Wellen. So bin ich viel rumgekommen und habe viele, viele Wellen entjungfert.

Aber abseits des Business und des Surfens, wie bringt man auf den entlegensten Inseln der Erde die Tage über die Bühne, wenn man so gut wie alleine auf diesen Inseln lebt?

Zugegeben, es war teilweise wirklich schrecklich und wenig paradiesisch. Es gab nichts zu lesen und ich hatte anfangs auch nicht so weit gedacht, mir ordentlich Bücher mitzunehmen. Das Einzige, was ich hatte, waren ein paar Surf-Magazine und auf einigen Inseln standen alte, verlassene Gebäude. Sie dienten früher als Hotels für die ersten Transpazifik-Wasserflugzeuge, die hier Halt machten. Die ersten Transpazifik-Passagierflieger stoppten hier Jahre später zum Auftanken und irgendwann kamen die USA die hier eine riesige Installation für die NASA errichteten. Die erkundete ich, wenn mir langweilig wurde.

Ich lebte lange Zeit von Fisch und Reis und sonntags gönnte ich mir Corned Beef, das war das Highlight. Als Wasser gab es das Grundwasser, aber das schmeckte oft so mies, dass ich damit Tee oder Kaffee kochen musste. Wenn ich krank geworden wäre, wäre ich wahrscheinlich schnell dahingesiecht. Einmal hatte ich mehrere golfballgroße Beulen unter der Haut, die ich mir selbst wegschneiden musste. Es war nicht immer leicht.

Aber heute bist du glücklich mit einer Einheimischen verheiratet. Wie hast du deine Frau kennengelernt?

Das ist eine harte Geschichte: Irgendwann war ich längere Zeit auf einem Nachbar-Atoll zum Arbeiten. Vier Monate war ich dort und nur wenige Tage vor der Abreise lief ich eine Straße entlang und alles kam anders… Am Ende der Straße stand ein riesiger Typ, der gerade ein junges Mädchen mit einem Stock verprügelte. Als der durchbrach, griff er sie bei den Haaren und fing an sie zu treten. Instinktiv rannte ich rüber, um ihn davon abzuhalten. Als ich ihn ansprang, duckte er sich und ich hing plötzlich upside-down an seinem Rücken, meine Beine um seinen Hals geschlungen. Es muss zum Totlachen ausgesehen haben. Wir sind umgefallen und das Mädchen rannte weg, ich kurz darauf hinter ihr her.

Der Mann sprang auf sein Motorrad und verfolgte uns. Es ging durch Büsche, um Kokospalmen und irgendwann standen wir wieder auf der Hauptstraße, wo wir in einen fahrenden Minibus sprangen. Doch der Mann stoppte den Bus, noch kurz bevor wir das nächste Dorf erreichten. Ich dachte, jetzt prügelt er die Scheiße aus mir raus. Doch er griff direkt an meinem Kopf vorbei, um wieder die Haare des Mädchens zu fassen. Ich griff mit beiden Händen an seinen riesigen Unterarm, doch er zog das Mädchen einfach über mich rüber. Plötzlich stand die Polizei vor dem Minibus und überall schrien die Menschen, ein riesiges Chaos.

Später erfuhr ich, dass das Mädchen gerade 18 wurde und somit frei war zu tun, was sie wollte. Der Mann war ihr Onkel. Die Polizei zog ihn sofort aus dem Bus. Das Ende der Geschichte ist: Wir verliebten uns und heirateten.

Und seitdem bist du offizieller Bewohner von Kiribati, richtig?

Yep. Im Dezember 1993 bin ich nach Fidschi geflogen, um meinen amerikanischen Pass abzugeben. Wenn ich heute ab und zu nach Hawaii fliege, stehe ich da immer auf der roten Liste und werde wie ein Al-Qaida-Mitglied behandelt, weil sie nicht verstehen können, warum jemand die amerikanische Staatsbürgerschaft abgegeben hat. Aber was macht man nicht alles der Wellen und der Liebe wegen…

Hast du jemals andere Surfer im Line-up getroffen?

Von 1993 bis 1999 kam immer wieder eine Yacht namens „Good Life“ vorbei, die Jungs waren Surfer. Aber bis dahin war wirklich niemand da draußen mit mir. Es gab nur mich, der ich entweder am Strand saß und auf die Wellen schaute oder sie surfte. Es gibt da draußen noch unendlich viele Wellen, die ich bis an mein Lebensende alleine surfen könnte. Daher sage ich immer: Jeder, der vorbeikommen will, um mit mir die Wellen zu teilen, ist herzlich willkommen, ich freue mich über neue Gesichter!

Wow, das ist mal ein positiver Localism! Warum, denkst du, sind die Inseln selbst in der heutigen Zeit noch nie wirklich auf der Weltkarte des Surfens aufgetaucht, wenn das Potenzial so groß ist?

Wenn du nicht auf einer privaten Yacht anreist, ist es schon verdammt schwer, überhaupt nach Kiribati zu gelangen, geschweige denn, die Spots zu finden. Es hat mich mein halbes Leben gekostet zu wissen, wo ich hier surfen kann. Die Schiffe, die zwischen den Inseln verkehren, sind unzuverlässig und fahren selten. Auch die Flugzeuge von Air Kiribati fliegen nur selten und sind gefährlich.

Ich habe einmal gesehen, dass einer der Piloten so betrunken war, dass er in den Flieger gesetzt werden musste. Auf dem Rückflug landete er nicht auf der Insel, auf der er hätte nachtanken müssen. Er schaffte es nur so gerade eben an sein Ziel, aber nicht mehr bis zum Terminal, da er ohne Sprit auf der Landebahn ausrollte! Aber ich denke, sollte sich der Tourismus mehr entwickeln, wird auch das Transportsystem in den nächsten Jahren besser werden.

Würdest du denn anderen Surfern empfehlen, eines Tages hierher zu kommen?

Wenn du des Surfen wegen kommen willst, solltest du schon mächtig viel Zeit mitbringen. Die Wellen werden aber für all den Aufwand entschädigen und du wirst eine großartige Zeit haben. Die Atolle sind wunderschön und die Menschen extrem herzlich. Sie teilen alles mit dir und freuen sich, einen zu sehen, da sie nicht oft Besucher haben.

Wenn du so viel Zeit hast, kannst du dich auch dem Friedenscorps anschließen und hier arbeiten, allerdings kannst du dir dann die Insel nicht aussuchen. Und ob diese Inseln für jeden ein Paradies sind, ist Einstellungssache: Paradies ist immer das, was du daraus machst, und das gilt genauso für das Surfen in Kiribati.

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