Vor zwei Jahren befand sich Richie Lovett dem Tod näher als dem Leben. Er lag in einem kalifornischen Krankenhaus, als die Ärzte ihm erklärten, er würde seinen halben Oberschenkelknochen an Krebs verlieren. Ohne OP würde der Pro-Surfer bald sterben. Eine Diagnose, die sein Leben für immer verändern sollte. Doch Richie gab nicht auf und heute, nach acht Tagen vor den Mentawais, ist das Leben wieder zuckersüss.
Es ist zwei Jahre her, dass man bei Richie eine seltene Art des Knochenkrebses diagnostizierte, der nicht auf Chemo reagieren würde. Um dem schleichenden Tod, der langsam durch seinen Oberschenkel kroch, entgegenzuwirken, blieb nur eine rabiate Massnahme übrig: Ein grosser Teil des infizierten Knochen musste herausgesägt und durch eine Metallprothese ersetzt werden. Das sollte sein Leben retten, seine Surf-Pro-Karriere allerdings nicht. Eine traurige Geschichte, doch heute steht Rich, oder Rik, wie ihn seine Kumpels nennen, wieder voll im Leben.
Er sitzt auf dem Deck der „Asia“, einem schlichten indonesischen Charterboot. Noch vor einer Minute half er seinen Kumpels, die tiefblauen, kristallklaren Wellen des Indischen Ozeans in kleine, feine Wassertröpfchen zu zerhacken. Es ist der letzte Nachmittag des achttägigen Trips und der erste Surf-Trip für Rik, nachdem das grosse K sein Leben gewaltig umkrempelte. Er sitzt da, in einer Pfütze aus Salzwasser, grinst und dreht sich zu mir rüber: „Ich hätte niemals gedacht, dass ich so schnell wieder mit meinen Jungs surfen gehen könnte.“
Rik ist ein guter Freund von mir, und dass ich euch von diesem Trip erzählen kann, grenzt an ein Wunder. Richie ist durch die Hölle gegangen. Es dauerte mehr als ein Jahr, bevor er nach seiner OP zum ersten Mal wieder auf einem Surfboard stand. Ein Freund von Rik und mir drehte damals eine kleine Doku über seinen ersten Ride. Darauf sah man Rik, wie er auf einem Mini-Malibu in kleinen Wellen an seinem Homebreak vor Manly paddelte und die ersten Wellen auf dem Bauch abrutschte. Nach einer Weile paddelte er eine kleine Right an, kletterte auf seine Füsse und ritt das Ding bis zum Strand. Er machte keinen Turn, wurde nicht gebarrelt, aber er beendete die Welle mit einem breiten Grinsen. Es war ein sehr bewegender Clip. Ohne dass ich was dagegen hätte machen können, überzog damals eine Gänsehaut meinen Körper.
Vor dieser Welle war er kaum wieder zu erkennen. Von dem sonnengebräunten, gut gebauten Mann war nicht viel übrig geblieben. Er hatte die letzten zwei Jahre über hart an seiner Genesung gearbeitet und seinem Körper sah man diesen Kampf an. Er sah älter aus, ein bisschen aufgeschwemmt und sein Lächeln konnte lange Zeit seine Verzweiflung nicht überdecken.
Seit dieser ersten Welle vor einem Jahr surfte er mindestens zweimal täglich und war aufgeregt wie ein Grommet, der nach langer Zeit endlich wieder aufs Wasser durfte. Nach einigen Monaten wurden die Turns enger und seine Haut bekam ihre goldbraune Farbe zurück. Vor dem Krebs war das Markanteste an Riks Surfen sein smoother Style. Ich war in letzter Zeit recht viel mit ihm surfen und das Erste, was mir auffiel, war, dass er seinen Flow nicht verloren hatte.
Als die Offiziellen der ASP Anfang 2007 entschieden, den Tourstopp Fidschi zu canceln, nutzten Riks Tour-Buddys die Chance, um sich mit ihrem alten Kumpel wieder zu vereinen. Der perfekte Ort dafür war schnell gefunden. Rik war nicht sehr glücklick mit den Wellen an seinem Homebreak Manly: „Die Wellen vor Sydney sind recht kurz, punchy und unberechenbar. Ich bräuchte mal wieder etwas mit ein bisschen mehr Wall, um mich langsam, aber sicher wieder verbessern zu können“, hatte er erzählt. Daher buchten ihm seine Jungs einen Flug zu den perfekten Wellen der Mentawais.
Diese erste Session des Trips fand in amtlichen Brechern vor Rifles statt, einer schnelle Rechts, die über das flache Riff feuerte. Tom Whitaker und Taj Burrow scorten die besten Wellen, aber die Augen der Jungs waren voll und ganz bei Rik. „Die erste Session werde ich nie vergessen“, erzählte Taj anschliessend. „Ich war so aufgeregt, ihn wieder im Wasser zu sehen, und gespannt, wie er sich schlagen würde. Als er seine erste Welle anpaddelte und sie surfte, erkannte ich sofort seinen alten Style wieder. Ich hab vor Freude so laut geschrien, wie ich konnte.“
Während der nächsten Tage schaltete der Ozean ein paar Gänge runter, was Rik sichtlich entgegenkam. Mit wachsendem Selbstvertrauen verbesserte sich sein Surfen von Stunde zu Stunde. Jarred beobachtete Riks Anstrengungen genauestens. „Am Ende des Trips surfte er 50 Prozent besser. Am Anfang surfte er ein dickes 6’6“und am Ende stand er schon auf einem 6’3“er, konnte auf den Wellen Speed machen und etwas Spray raushauen.“
Auch wenn Rik auf den Bildern sehen konnte, wie sehr er Fortschritte machte, fragte ich mich die ganze Zeit, ob die Bilder ihn nicht auch traurig machten. Schliesslich war er vor ein paar Jahren noch einer der besten Surfer der Welt. Am letzten Tag fasste ich allen Mut zusammen und fragte ihn, als er auf dem Deck neben mir sass. „Verdammt, ja, es frustriert mich tierisch!“, bekam ich als Antwort. „Während ich eine lange Wall entlangfuhr, fragte ich mich ständig, was ich jetzt wohl mit der Section angestellt hätte, wenn mir diese Scheisse nicht passiert wäre.“
Doch er weiss auch, dass er Glück im Unglück gehabt hat. „Wenn du im Krankenhaus nur noch von Krebskranken umgeben bist, macht dich das völlig fertig. Du triffst dort auf Menschen, deren Leben offensichtlich sehr bald ein Ende finden wird. Anfangs, in den ersten Wochen und Monaten nach der Diagnose, war ich ein echtes Häuflein Elend. Doch nachdem ich realisiert hatte, dass ich wohl wieder gesund werden würde, machte ich mir ständig Vorwürfe, den Kopf so hängen gelassen zu haben. Ich hielt wieder an der Hoffnung fest, dass eines Tages alles so sein wird wie früher. Dieser Glaube brachte mich durch die härteste Zeit, durch die ganzen Operationen und die schmerzhafte Reha. Als ich nach langer Zeit das erste Mal wieder surfen ging, bemerkte ich sehr schnell, dass ich nie wieder der sein würde, der ich mal war, und dass ich mich von meinem Traum verabschieden müsste. Der Krebs hat mir geraubt, womit ich mich zu 100 Prozent identifiziert habe, doch inzwischen habe ich mich damit abgefunden und bin dankbar, überhaupt noch mit den Jungs rauspaddeln zu können! Schon als Kind wollte ich nichts anderes als Pro-Surfer werden. Ich hatte dieses Ziel erreicht. Ich weiss, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich diesen Traum nie erfüllen können und gerne solch ein Leben geführt hätten, wie ich es gelebt habe. Heute bin ich glücklich darüber, mein Ziel erreicht zu haben, und kann nun mit meinem Leben weitermachen.“
Als ich Rik fragte, was es ihm bedeuten würde, auf solch einem Trip mit seinen Jungs zu sein, lachte er: „Meine Freunde sind die Besten! Wofür ich ihnen besonders dankbar bin, ist, dass sie mich nie mit Samthandschuhen angefasst haben. Sie haben noch immer die gleichen bescheuerten Witze über mich gemacht wie immer schon. Aber wenn es drauf ankommt, sind sie da. Und gerade Jake, mit dem ich mich damals ’95 für die ’CT qualifizierte und mit dem ich immer zusammen am Reisen war, war während der gesamten Geschichte stets an meiner Seite. Er war einer der Ersten, die mich nach der Diagnose anriefen und mir ihre Unterstützung anboten. Er half mir, wo er nur konnte, und rief mich fast jeden Tag an. Ich liebe diesen Mann! Ich bin sehr froh, einen Freund wie ihn zu haben!“
Wie bei vielen Menschen, denen solch ein einschneidendes Schicksal widerfahren ist, so haben sich auch bei Rik die Prioritäten im Leben verschoben. „Vor dem Krebs bedeutete Surfen alles für mich. Ich habe mich fast ausschliesslich auf mich und meine Resultate konzentriert und das Wesentliche dabei oft aus den Augen verloren. Heute haben die Familie, meine Frau und die Freunde Priorität, erst dann kommt das Surfen. Und das war gerade auch das Grossartige an diesem Trip: Ich habe mir keine Sorgen um meine Boards oder irgendwelche Contest-Ergebnisse machen müssen. Ich war nur hier, um mit meinen besten Freunden eine gute Zeit zu haben, Surfen war dabei bloss das Sahnehäubchen.“
Share