In eurem Film „Havana Libre” sagst du: „Sport ist das Recht des Volkes, aber Surfen ist kein Sport.” Was hat das zu bedeuten? 

In Kuba gelten strenge Regeln für die offizielle Anerkennung von Sportarten. Die Regierung muss ihre Zustimmung geben und bestimmte Bedingungen müssen erfüllt sein, wie beispielsweise die Praxis in einem spezifischen Zentrum im Land. Das wird vom “INDEN” geregelt, dem  Sportministerium in Kuba. 

Obwohl Surfen nicht ausdrücklich verboten ist, kommt es oft zu Problemen. Dazu hat die Migration in Kuba geführt, als die Menschen massenhaft vor dem Regime von Fidel Castro geflohen sind. Früher wurden alle Boote und schwimmenden Objekte, die in die Vereinigten Staaten bringen konnten, beschlagnahmt. Wenn die Menschen bei einem Fluchtversuch erwischt wurden, wurden sie bestraft.

Surfer wurden in der Vergangenheit oft von der Polizei angegriffen, da ein Surfbrett ein schwimmendes Objekt ist, mit dem man potenziell in die USA fliehen kann. Manchmal landete man sogar im Gefängnis und das Surfbrett wurde konfisziert. Es gab Zeiten, in denen ich vor der Polizei fliehen musste, aber es war nicht immer ein ständiger Kampf. Manchmal ließen sie einen auch einfach in Ruhe.

Wie oft konntest du in dieser Situation surfen? Und konntest du wirklich abschalten, oder warst du ständig gestresst, weil du befürchtet hast, dass dich jemand entdecken könnte?

Ich habe so oft wie möglich gesurft. Natürlich gab es nicht jeden Tag Wellen in Havana, aber ich habe es immer versucht, wenn es irgendwie gehen konnte. Anfangs war ich immer etwas nervös im Wasser, aber im Laufe der Zeit wurde ich ruhiger und konnte mich im Wasser entspannen.

Gab es viele Leute, die um 2016 in Kuba gesurft sind? 

Um 2016 herum begannen die Dinge, besser zu werden. In den 90er Jahren und den frühen 2000er war es noch kompliziert. Es gab Zeiten, in denen das Lineup voll war, wenn die Wellen gut waren. Es waren nie mehr als 50 Leute gleichzeitig an einem Spot, davon waren etwa 10 Mädchen.

Wie kam es zur Idee, den Film „Havana Libre“ zu drehen?

Der Regisseur des Films kam eines Tages zu meiner Arbeit. Wir sprachen über das Surfen und ich zeigte ihm ein paar Bilder. Er bemerkte, dass ich ein talentierter Surfer bin und schlug vor, einen Film über meine Erfahrungen als kubanischer Surfer zu drehen. Er fragte mich, ob ich daran interessiert wäre und nach anfänglicher Unsicherheit stimmte ich schließlich zu.

Auch Yaya kommt im Film „Havana  Libre“ vor und kämpft für die Legalisierung des Surfens in Kuba. Kannst du uns Yaya vorstellen? 

Sie ist eine Surferin und Aktivistin aus Kuba, die in Havana am Meer lebt. Wir kennen uns seit vielen Jahren, da wir früher als Delphintrainer zusammengearbeitet haben. Gemeinsam haben wir uns für die Legalisierung des Surfens in Kuba eingesetzt. Unser Ziel mit dem Film war es, die Situation des Surfens in Kuba zu verbessern.

Hattet ihr keine Angst, dass die Regierung von euren Plänen erfährt und es Konsequenzen gibt?

Natürlich, denn die Regierung ist unberechenbar. Sie hätte den Film entweder gutheißen oder ablehnen können. Die Geschichte hätte also gut oder schlecht ausgehen können. Natürlich hatten wir Angst, wenn wir an die politischen Gefangenen in Kuba gedacht haben, die einfach verschwinden. Sie werden in Kerkern eingesperrt, hungern dort und werden nie wieder gesehen. Das ist wirklich schrecklich.

Warum habt ihr euren Film „Havana Libre“ dann trotzdem durchgezogen? 

Weil ich diesen inneren Drang verspürt habe, dass es wichtig ist, was wir vorhaben. Der Verstand hält dich zwar ein wenig auf, lässt dich über die Konsequenzen nachdenken, aber letztendlich überwiegt der innere Drang, der dich antreibt, und du tust es trotzdem.  

„SURFEN IST ETWAS WUNDERBARES UND DAFÜR LOHNT ES SICH ZU KÄMPFEN.“

Gab es Probleme während des Filmdrehs? 

Ja, gelegentlich. Wir wurden einmal von der Polizei beobachtet. Sicherheitsleute kamen, aber sie haben uns nicht aus dem Wasser geholt oder die Bretter weggenommen. Sie haben uns einfach nur beobachtet und versucht, uns einzuschüchtern. 

Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert?

Die Dreharbeiten begannen im Jahr 2016 und wurden kürzlich abgeschlossen. Ich glaube, sie dauerten etwa vier Jahre bis 2021.

Reisen als Kubaner: Welche Herausforderungen gibt es?

Früher war es für Kubaner extrem schwierig zu reisen. Die vielen Voraussetzungen, angefangen bei den Botschaftsunterlagen, machten es nahezu unmöglich. Der Mindestlohn war beschämend und reichte nicht einmal für eine Woche. Wie sollten sie also reisen können?

Kubaner sollten in den Botschaften anderer Länder eine Vielzahl von Dokumenten vorlegen. Die Regierung musste eine Reisegenehmigung erteilen, was sehr lange dauerte – mindestens 45 Tage. Oft wurde die Genehmigung jedoch nicht erteilt. Und wenn man sie doch endlich bekam, war die Zeit für die Reise fast vorbei. Irgendwann wurde diese Genehmigung abgeschafft und es wurde etwas einfacher. Ein Problem weniger. Nun musste man den Botschaften nur noch nachweisen, dass man genug Geld für die Reise hatte und Eigentum besaß. Das war jedoch nur für wenige Menschen möglich. 

Entweder man erhält eine Einladung von außen, bei der alle Ausgaben und Verpflichtungen übernommen werden, oder man muss der Botschaft nachweisen, dass man über ausreichende Bankkonten verfügt. Das bedeutet viel Bürokratie und Papierkram.

Eigentlich wolltet ihr zu dritt nach Hawaii reisen, oder? Warum konnte euer Freund nicht mitkommen? 

Ich glaube, er wurde bei seinem Interview mit der US-Botschaft nervös, das kann ziemlich einschüchternd sein. Er wusste nicht, wie er auf die Fragen antworten sollte. Letztendlich wurde ihm das Visum verweigert, weil er nicht klar angeben konnte, wer ihn eingeladen hatte und wer für seine Ausgaben aufkommen würde. Es war eine schwierige Situation für ihn. 

In „Havana Libre“ sehen wir, dass du zu einem  internationalen Surf-Contest in Peru eingeladen wurdest, aber die kubanische Regierung dir die Teilnahme untersagt hat. Warum? 

Der INDER, das Sportministerium Kubas, hat es mitbekommen und mir mitgeteilt, dass ich nicht teilnehmen darf. Sie haben mir auch verboten, die kubanische Flagge und den Namen Kubas zu verwenden. Die Begründung war, dass sie angeblich nicht genug Zeit hatten, um meine Vertrauenswürdigkeit zu überprüfen. In Kuba hängt alles von der Politik ab. Du kannst der beste Sportler der Welt sein, aber wenn du ihre Politik nicht unterstützt oder nicht damit einverstanden bist, wirst du nicht als Vertreter Kubas ausgewählt. Stattdessen bevorzugen sie jemanden, der vielleicht nicht so gut ist wie du, aber politisch auf ihrer Seite steht. Dieser darf dann Kuba repräsentieren. So läuft es hier. Ich war hin und hergerissen, aber ich stehe nicht voll und ganz hinter Kuba. Ich habe am Contest in Peru teilgenommen, aber nie die Fahne gehisst, da dies fast als Verbrechen gelten könnte und sicherlich Konsequenzen hätte. Es war mein erster internationaler Surfwettbewerb.

Wie ist es dir bei diesem Wettbewerb ergangen?

Es lief nicht gut, ich war gestresst. Ich war alleine dort, während jedes andere Land ein Team von etwa 20 Leuten dabei hatte. Ich fühlte mich unwohl und gleichzeitig aufgeregt, weil ich als Kubaner auf einem internationalen Wettbewerb surfte und das bisher nur wenigen gelungen ist.

Du lebst jetzt seit einem halben Jahr in Spanien. Warum hast du dich dafür entschieden? War es schwierig, dorthin zu ziehen?

Ich konnte nach Spanien ziehen, weil meine Großeltern Spanier waren und ein Gesetz erlassen wurde, das es Enkeln und Urenkeln ermöglichte, die spanische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Ich habe dieses Gesetz genutzt und bin nun spanischer und europäischer Staatsbürger. Jetzt kann ich ohne Visum oder ähnliche Anträge reisen. Das ist wirklich praktisch. Ich und meine Familie haben Kuba aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage verlassen.

Wie sieht die aktuelle Situation in Kuba aus?

Die wirtschaftliche Lage in Kuba ist äußerst schwierig. Es ist schwer zu beschreiben, wie schlimm die Situation wirklich ist. Vor den Geschäften stehen viele Menschen und die Lage hat sich weiter verschlimmert. Es gibt keinen Zugang zu Medizin, Medikamenten und Nahrungsmitteln in den Krankenhäusern. Es fehlen Geräte, Handschuhe, Skalpelle und Nähzeug. Es gibt kein Serum, keine Spritzen, einfach nichts. Es ist absolut chaotisch. Man kann sich kaum vorstellen, wie schlimm es ist.

Zwischen 2016 und 2019 führte Kuba eine Währungsumstellung durch, bei der den Menschen 70 Prozent ihres Geldes genommen wurde. Dadurch hat sich die Situation weiter verschlechtert. Die Märkte waren so leer, dass es nichts mehr gab. Die Menschen hatten nichts zu essen. Stell dir das mal vor, und es gab keine Hilfe. Als ob das nicht schon genug wäre, brach dann auch noch die Pandemie aus und alles geriet durcheinander. Es war eine regelrechte Apokalypse.

Wann wird sich die Situation in Kuba verbessern und wie kann dies erreicht werden? 

Meiner Meinung nach ist ein Regierungswechsel der wichtigste Schritt zur Verbesserung. Es ist anzunehmen, dass dies irgendwann geschehen wird, jedoch gestaltet sich das als schwierig. Die Kubaner haben ihren eigenen Kopf und Verstand, der bereits in einer bestimmten Denkweise verankert ist und nicht einfach verändert werden kann. Selbst wenn die Regierung ausgetauscht wird, wissen die Kubaner, wie sie in einer Diktatur überleben können. Es scheint, als gäbe es kein Ende in Sicht. Gelegentlich kommt es zu Massenfluchten, wie es momentan der Fall ist. 90% der Menschen, die einen positiven Einfluss haben könnten, verlassen das Land. Es handelt sich um Menschen mit Interessen und Geschäftssinn. Kuba bleibt dann mit einer großen Anzahl von Menschen zurück, die resigniert sind. Dieses Phänomen hat sich seit der Revolution im Jahr 1959 bereits viermal wiederholt, jedoch hat sich nichts geändert. Hoffentlich wird sich dies eines Tages ändern. 

Wie läuft dein Leben in Spanien gerade?

Ich bin nach Spanien gekommen, um hier einen Neuanfang zu wagen. Ich habe noch keine konkreten Pläne, da ich noch keinen passenden Job gefunden habe. Im Moment arbeite ich nur Teilzeit als Tischtennis-Lehrer. In Spanien gibt es dafür viele Möglichkeiten.

Meine Frau hat gerade ihre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und fängt nun an zu arbeiten. Wir haben eine lange Zeit mit nur einem halben Gehalt über die Runden kommen müssen und unsere Ersparnisse sind aufgebraucht. Unsere Tochter ist jetzt sieben Jahre alt. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn wir in unserer alten Situation in Kuba geblieben wären. Hier am Mittelmeer, wo ich lebe, gibt es nicht viele Wellen zum Surfen. Es ist frustrierend, wenn ich surfen möchte, aber die Bedingungen nicht stimmen. Außerdem habe ich im Moment kein eigenes Transportmittel. Im Moment liegt unsere Priorität darauf, erstmal die Familie voranzubringen.

Vermisst du Kuba manchmal? 

Ehrlich gesagt nicht. Die wirtschaftliche Lage lässt zu wünschen übrig. Aber meine Freunde und das Surfen vermisse ich. Irgendwann werde ich zurückkehren, wenn sich die Dinge verbessern, und mir mein Traumleben dort verwirklichen.

Wie steht es um das Surfen in Kuba im Jahr 2024? Surfen ist nun bereits zum zweiten Mal olympisch, ändert das was an der Anerkennung der Sportart? 

Man könnte meinen, dass in Kuba olympische Disziplinen einen hohen Stellenwert haben. Trotzdem hat das Sportministerium das Surfen noch immer nicht als Sportart anerkannt. Es bleibt ein Glücksspiel, ob dir die Polizei Schwierigkeiten will oder nicht. Heute bewegt sich das Surfen in einer undurchsichtigen rechtlichen Grauzone und wird von den kubanischen Behörden mit Misstrauen betrachtet.

Trotzdem hat sich nach der Pandemie zwischen 2020 und 2023 eine Surfergemeinschaft mit über 300 Mitgliedern entwickelt. Die Anzahl der Surfer macht nun zwischen 50 und 70 Prozent der Bevölkerung aus und wächst weiterhin. Wir haben entlang der Küste mehrere Surfclubs gegründet. Obwohl viele Leute weggezogen sind und es nur noch wenige Teilnehmer mehr gibt, behalten die Clubs ihren Geist. Sie existieren noch immer in Kuba.

Was bedeutet Kuba für dich?

Kuba ist meine Heimat, das Land, in dem ich geboren wurde, und es hat eine große Bedeutung für mich. Nicht wegen der Regierung oder der politischen Führer natürluh. Aber Kuba ist und bleibt meine Insel.

Was bedeutet Surfen für dich?

Surfen ist für mich mehr als nur ein Sport oder ein Hobby, es ist mein Lebensstil. Es ist seit langem ein fester Bestandteil meines Lebens. Ich habe mehr Zeit mit Surfen verbracht als ohne. Doch im Moment hier in Spanien kann ich es nicht mehr ausüben. Es ist ein Opfer, das ich bringen muss, und es schmerzt. Manchmal passieren solche Dinge im Leben. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal surfen kann.

Ich muss mich jetzt auf meine finanzielle Situation konzentrieren, denn im Moment habe ich das Gefühl, dass wir alles verloren haben, was wir in diesem ganzen Prozess erreicht haben, in der Hoffnung, dass wir hierher kommen könnten. Hier im Mittelmeerraum muss man geduldig sein, besonders mit dem Wetter. Vielleicht kann ich im August oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder surfen. Das ist in Ordnung.

Hast du noch etwas, das du sagen möchtest?

Nein, grüße einfach alle Surfer, die diesen Text hier lesen. 

Alls Infos zur Ocean Filmtour Vol. 10 gibt es hier!

Fotos: Corey Mc Lean und Marco Bava

Infos zum Film „Havana Libre“

• Länge: 37 min (Int. OCEAN FILM TOUR edit)
• Wo zu sehen? Ocean Filmtour Volume 10
• Regie: Corey McLean
• Produktion: 2021, USA, Kuba, Makewild Films
• https://havanalibre.film
• Insta: @havanalibrefilm

 

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