Deutschland hat eine der bekanntesten Wellen der Welt. Ihr glaubt uns nicht? Dann fragt mal auf euren Reisen andere Surfer, was sie über unser Land wissen. Man wird euch sagen: “Hey, ihr habt doch diese verrückte Flusswelle, oder?” Richtig! Und nicht nur das Surfen selbst ist verrückt, auch die Geschichte liest sich abenteuerlich. Daher haben wir uns auf Recherche-Reise begeben, uns südlich des Weisswurstäquators gewagt und mit gewachstem Surfboard Münchens Touristenattraktion genauestens unter die Lupe genommen. Hier kommt das Ergebnis!
Ein Hauch von Hawaii weht über den Dächern der bayrischen Hauptstadt. Zusammen mit meinem Kumpel, Weltenbummler und Eisbach-Surfer Simon radele ich mit Board unterm Arm die Leopoldstrasse entlang. Ein bisschen albern komme ich mir ja schon vor, als wir uns den Weg durch die kaufsüchtige Münchener Schickeria bahnen. Noch gerade rechtzeitig huschen wir vor einem 7,5-Tonner in eine Seitenstrasse, rollen am amerikanischen Konsulat vorbei, der Englische Garten zur Linken und wenig später das “P1” zur Rechten. Von da an folgen wir dem immer lauter werdenden Rauschen des Eisbachs.
Die Fahrräder parken wir unter einer Kastanie neben der Welle, legen die Bretter auf den Boden und suchen etwas Schutz vor dem gerade einsetzenden Nieselregen. Genau wie das Wetter ändert sich mit einem Schlag auch mein Selbstvertrauen: Die Welle macht mächtig Eindruck.
Von Simon hatte ich schon viel über die Welle gehört. Er erzählte von den Gefahren, davon, wie man sich verhalten soll, wenn man stürzt, und wie man wo am besten wieder aus dem betonierten Flussbett steigt. “Wenn du stürzst, schütze immer deinen Kopf und versuch, möglichst weit an der Wasseroberfläche zu bleiben! Sonst machst du Bekanntschaft mit den Betonpollern unterhalb der Weisswasserstrudel…” Die Weisswurst vom Frühstück rumort in meinem norddeutschen Magen. Mit festem Blick auf die Welle ziehe ich mit der Kehrseite zu einer gerade eingetroffenen amerikanischen Touristengruppe blank und steige in meinen modrigen Neo.
Mit zittrigen Knien stelle ich mich hinten im “Line-up” an und warte auf meinen Turn. Dank Reissverschlussverfahren bin ich schneller an der Reihe, als mir lieb ist. Ich setze mich auf die Kanalmauer und lege das Brett auf das brodelnde Weisswasser. Das Wasser schiesst mit tosendem Lärm unterm Brett hindurch und versucht, es von meinen Füssen wegzureissen. Die Touristen rund um die Brücke sind komplett ausgeblendet. Die ganze Konzentration liegt nun auf der Welle. Mit Puls 180 stosse ich mich ab…
Für mich ist es schon extrem aufregend – wie muss es da erst für die Pioniere dieses ungewöhnlichen Spots gewesen sein? Wer surfte hier das erste Mal? Wie kam es, dass der Eisbach so bekannt wurde? Wie hat sich diese feste Gemeinde der Grossstadtsurfern entwickelt?
Um ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen, treffen Simon und ich uns am Ende der Session mit Dee Dee Wallauer, seines Zeichens Eisbach-Urgestein, Surf-Filmemacher und einer der Ersten, der in den 90ern eigens für den Bach Bretter shapte. Anfangs druckst er ein wenig herum, aber dann können wir ihm doch einige Details der fast schon sagenumwobenen Geschichte des Eisbachs entlocken.
Es war ein langer Weg, bis das erste Surfboard die Welle des Eisbachs berührte. Alles begann Anfang der 70er mit ein paar gelangweilten Wasserskifahrern. Eines Tages überlegten sie sich, anstatt immer nur auf zwei Planken hinter einem Boot hergezogen zu werden, mithilfe eines Seils und schlichten Holzbrettern auf der offenen Isar Stromschnellen zu “surfen”. Damals ahnte wohl niemand, dass sie damit den Grundstein zum heutigen River-Surfen legen würden. Als im Zuge der Shortboard-Revolution in den grossen Surf-Nationen USA und Australien der Trend zum Shortboard auch in die kleinen deutschen Surf-Kommunen Sylt und auch nach München schwappte, zogen weitere Wagemutige mit ihren Boards die Isar entlang. Im Laufe der nächsten Jahre wurden immer mehr surfbare Wellen entdeckt, die heute allerdings im Zuge der Renaturalisierung bis auf eine komplett verschwunden sind.
Die Gemeinde der River-Surfer war 1975 noch extrem überschaubar. Dennoch veranstaltete Arthur Pauli, einer der Ersten auf der Fluss-welle und Urvater der Münchener Shaper, zusammen mit seinen Jungs die ersten bayrischen Meisterschaften in Thalkirchen. Und da zu der Zeit gerade mal wieder Oktoberfest war und somit auch Zuschauer aus Australien und Kalifornien den Weg in die Weisswurstmetropole fanden, entdeckten auch sie die Welle. Es muss für sie wie die Entdeckung ausserirdischen Lebens gewesen sein, als genau vor ihrem Campingplatz mitten in einer Weltstadt ein Surf Contest stattfand. Die News verbreiteten sich wie ein Lauffeuer und so kündigte selbst der amerikanische Radiosender AFN den Event an. Als die surfenden Amerikaner und Australier zurückkehrten, erzählten sie ihren Homies sofort von ihrer Entdeckung. “Yeeha, these crazy Krauts are surfing in the middle of there city! Wicked!” Der Ruf bayrischer Flusswellen ging so das erste Mal um die Welt.
Erst Mitte der 80er wagte sich der Münchener Reisefotograf und Fotodesigner Steffen Dietrich, der während seines Studiums mit seinem Bulli am Englischen Garten stand, schliesslich als Erster in den Eisbach. Lange galt der Bach als unsurfbar, nur sehr unregelmässig und zufällig öffnete sich die tobende Weisswasserwalze zu einem sauberen Face. Und so sahen die ersten Versuche, diese steile stehende Wasserwand zu meistern, noch recht abenteuerlich aus. Dietrich und ein paar andere fuhren auf einem “Skurfer”, einer Art Skimboard, und zogen sich mit einem Seil in die Welle. Doch man stellte schnell fest, dass es auch ohne Seil ging, und so trieben schon bald die ersten Surfboards den Eisbach hinunter.
Die immer noch kleine Münchener Szene um den “langen Olli”, “Hippie-Bernd” und “Dr. Surf” (R.I.P.) wuchs langsam und die Nachfrage nach Surfboards stieg, die zu der Zeit nur sehr schwer zu bekommen waren. Die grosse Phase des Experimentierens begann. Boards, die in dem steilen Face der Welle nicht funktionierten, kappte man – sicherlich unter Tränen – die Nose, um nicht mehr mit ihr einzuspitzeln. Und so war es Anfang der 90er der Südafrikaner Collin Peterson, der in Dachau speziell Boards für den Eisbach baute. Sie waren härter laminiert und bedingt durch die steile Welle nicht länger als 6’2″. Ab 1993 shapte Dee Dee Wallauer Surfboards und vertrieb diese von 1995 bis ’98 in seinem “Blue Wave”-Surf-Shop, dem heute ein Kultstatus anhängt. Bis heute ist man sich nicht so recht einig, was wohl der ideale Shape für den Eisbach sei. Von 5’4″ New School Fishes bis zum 6’6″ Malibu ist alles machbar.
Auf die Frage, wie der Eisbach letztendlich so populär wurde, wie er es heutzutage ist, sagt Dee Dee: “Viele verbinden mit dem Eisbach den Namen Quirin Rohleder, der schon seit den 80ern aktiv dabei ist und viel surferisches Talent und Trainingsfleiss mitbrachte. Er schaffte es, sich über München hinaus einen Namen zu machen. Die Medien wurden auf ihn und den Bach aufmerksam. Dennoch, glaube ich, ist der Hauptgrund, warum die Welle so populär wurde, ein anderer. Der Eisbach fliesst mitten durch den Englischen Garten und die Welle bricht an der dreispurigen Prinzregentenstrasse. Sonntags laufen hier locker an die 5.000 Leute über die Brücke und alle sehen den Eisbach und die Welle. Jeden Tag werden hier etliche Fotos geschossen, die dank der Digitalfotografie immer schneller die Runde machen. Das trägt enorm dazu bei, dass jeder diese Welle kennt. Als ich zum Beispiel 1996 in Kalifornien war und dort ein Surf-Magazin durchblätterte, fand ich sofort ein Bild vom Münchner River-Surfen!”
Heute rühmt sich die Stadt München mit der Welle in Touristenbroschüren. Der Kommerz, den die Stadt mit der Welle macht, hat mal wieder gesiegt. Diesmal aber zum Glück für die Wellenreiter! Denn während noch vor einigen Jahren Surfer wie Carsten Kurmis von der Polizei durch den Englischen Garten gejagt wurden, Bretter konfisziert und Strafzettel verteilt wurden, ist das Surfen in München heute akzeptiert.
Doch was sagen eigentlich die Eisbach-Surfer dazu, dass es auf ihrer Welle heute voller und voller wird? Dee Dee: “Klar gab es immer wieder Beschwerden und Konflikte, zu viele Leute würden Filme drehen, Fotos schiessen und den Eisbach vermarkten. Lange Zeit war es ein ungeschriebenes Gesetz, keine professionellen Fotos oder Fernsehaufnahmen machen zu dürfen. Aber das ist längst Geschichte und die Interessen spalten die Lager: Es gibt die, die sich beschweren, und die, die einfach damit leben. Auch dieser Spot unterliegt den Regeln der Veränderung und durch den Boom des Wellenreitens ist der Eisbach als eine der wenigen Stadtwellen natürlich besonders betroffen. Die Welle gibt es schon lange, nur waren die Jungs damals alleine oder zu zweit. Heute sind es 50 und mehr. Aber wenn eine Sportart populär wird, ist das nun mal eine Entwicklung. Wenn heute ein junger Surfer dort hinkommt, sieht er natürlich nicht mehr, wie schwierig es damals für die ersten Surfer war. Da kann man schon verstehen, dass die Alten sauer werden, wenn ihnen nicht der entsprechende Respekt entgegengebracht wird und Leute es für selbstverständlich nehmen, hier surfen gehen zu können.”
Wie ihr seht, ist das ein heikles Thema. Am Ozean nennt man so etwas Localism. Man erzählt sich am Eisbach Geschichten über einen Surfer, den “Hausmeister”, der Anfänger vertrieb und Kameras versenkte, und selbst Kelly Slater erwähnte ihn in einem Interview als den “old grumpy man”. Zwar gehören diese Geschichten der Vergangenheit an, dennoch sollte man sich bewusst sein, dass es sich um einen extrem gefährlichen Spot handelt. Es verbergen sich schmerzhafte Beton-Pinnacles direkt hinter der Welle, die jeder dort Surfende nicht nur einmal abbekommen hat. Somit ist man als Anfänger an der wesentlich softeren Welle in Thalkirchen besser aufgehoben. Der Verweis der Lokalen, an die Flosslände zu gehen, ist also nicht immer gleich als böse Anmache zu deuten. Nicht umsonst wurden Verbotsschilder rings um die Welle gehängt. Respekt, Vorsicht und Ehrfurcht sollte man immer walten lassen, wenn man einer Welle begegnet, auch in der Stadt.
Selbst Pros wie Big-Wave-Legende Ross Clarke- Jones und Marlon Lipke mussten spüren, dass das Surfen auf einer Flusswelle nicht mit dem Ozean zu vergleichen ist. Deshalb bin auch ich froh, meine Jungfernfahrt heil überstanden zu haben, wenn ich auch eher mehr geschwommen als gesurft bin. Die Mass danach schmeckte trotzdem. Prost!
Movies:
- Dee Dee Wallauer wird mit seinem 35-Millimeter-Kinofilmprojekt “Ride On 2”, in dem auch einiges an Münchener River-Surfen zu sehen sein wird, im Oktober/November 2007 durch Deutschland, Österreich und die Schweiz touren. Mehr Infos hierzu findet ihr unter www.wallauerpictures.de
- Björn Richie Lob produziert gerade die Eisbach-Surf-Dokumentation “Keep Surfing”. Einen spannenden Vorgeschmack dazu findet ihr unter www.pipelinepictures.com
Spots:
- Eisbach im Englischen Garten
- Flosslände in Thalkirchen beim Campingplatz
- Bei Hochwasser: Reichenbach bzw. Wittelsbacher Brücke
- “Tube 6”-Projekt unter der Wittelsbacher Brücke
History:
- Anfang der 70er: Erste Surf-Versuche auf der offenen Isar
- 1971 bis 1975: Arthur Pauli shapt erste Riverboards für die Isar
- 1975: Arthur Pauli veranstaltet ersten Surf Contest auf derFlosslände
- Anfang der 80er: Der Eisbach wird von Steffen Dietrich als Surf Spot entdeckt
- Mitte der 90er: Der Eisbach wird durch Medien und Mundpropaganda immer bekannter
- Heute: 50 und mehr Surfer stehen an guten Tagen im “Line-up” und es gibt River-Surf-Vereine wie die Grossstadtsurfer e.V.
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