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Warum der beste Surffilm nie veröffentlicht wurde

‘Sea of Darkness’ dokumentiert, wie die Entdecker von G-Land und Gründer von Surfmarken in den internationalen Drogenhandel verwickelt waren. Kurz vor der Premiere entscheiden sich die Verantwortlichen aber gegen eine Veröffentlichung des Films. Was ist passiert?

„All diese europäischen Hipster-Surfer, die in ihren Bussen in Portugal herumlungern, Yoga machen, vegan essen und sich zudröhnen, schulden Mike Boyum ein großes Dankeschön“, sagt Regisseur Michael Oblowitz, als wir ihn auf seinen Film „Sea of Darkness“ ansprechen. „Besonders diejenigen, die zum Surfen nach Indonesien und in den Südpazifik fliegen.“ Mike Boyum entdeckte in den 1970er Jahren die Surfspots von Bali und Java – menschenleere Wellen, G-Land, grenzenlose Freiheit, „ es war der Himmel auf Erden“. Mit einer Handvoll Freunden wohnte Boyum in einem selbstgebauten Camp am Rande des Dschungels. Surfen wechselte sich mit exzessiven Partys und freier Liebe ab. „Damals schlief jeder mit jedem“, erzählt Big-Wave-Legende Greg Noll, „es war eine wundervolle Zeit“.

Um diesen Lebensstil ohne Beruf im Ausland finanzieren zu können, handelte der US-Amerikaner Mike Boyum mit Drogen. Erst Gras und Kokain, dann Heroin. Ein lukratives Geschäft: Abnehmer gab es im gesamten Südpazifik. In Surfboards und Finnen, aber auch in menschlichen Körpern schmuggelte er kiloweise Drogen aus Brasilien und Pakistan nach Australien, Indonesien und Thailand. Immer an seiner Seite: Jeff Chitty und Peter McCabe. Doch auch andere, weltbekannte Surfer und spätere Gründer großer Mode- und Hardware-Unternehmen umgaben Mike Boyum. Ob und wie sehr auch sie in den Drogenhandel verwickelt waren, dokumentiert Michael Oblowitz in „Sea of Darkness“.

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Die perfekten Barrels vor G-Land, ein Screenshot aus dem Trailer von „Sea of Darkness“.

Oblowitz, 68, ist ein Enfant Terrible der kalifornischen Filmindustrie. Er trägt Brille mit leicht abgedunkelten Gläsern, Drei-Tage-Bart und zotteliges schwarzes Haupthaar. Sein ernster Blick, die Zigarre zwischen seinen Lippen und teuer aussehende Sakkos verleihen ihm das provokante Auftreten eines Peter Jackson oder Quentin Tarantino. Vor seiner Kamera spielten Hollywood-Größen wie Gina Gershon („Riverdale“), Billy Zane („Titanic“) und Val Kilmer („Batman Forever“). 

Der Protagonist in Oblowitz’ Film „Sea of Darkness“ ist Mike Boyum. Ein Charakter, der noch mehr polarisiert als Oblowitz selber. „Er hat im Grunde den modernen Abenteuer- und Eco-Tourismus erfunden“, meint der Filmemacher. Doch gibt es auch andere Mythen um Boyum: Drogenmissbrauch, Entführung, Gefängnis, spurloses Verschwinden. Dass jemand wie Oblowitz eine Persönlichkeit wie Boyum porträtiert ist nicht weniger als eine Garantie, dass dabei etwas Außergewöhnliches entsteht. Das eigentliche Drama des Films nimmt aber erst nach den Dreharbeiten seinen Lauf.

„Sea of Darkness“: Stille Wasser sind tief

Vor gut zehn Jahren soll „Sea of Darkness“ veröffentlicht werden. Vorab gewinnt die Dokumentation zahlreiche Awards auf Filmfestivals, darunter den renommierten Surfer Poll. Einige Medien schreiben vom „besten Surffilm aller Zeiten“. Doch der Streifen erscheint bis heute nicht, genauso wenig wie eine Klarstellung der Produzenten. Stattdessen folgt jahrelanges Schweigen – ein Nährboden für Verschwörungstheorien. Eine davon: Die Surfindustrie habe „Sea of Darkness“ in letzter Sekunde verhindert.

„Ich habe wirklich keine Ahnung, warum er nicht gezeigt wird“, sagt Oblowitz heute. Die Rechte an dem Film verkaufte er vor der geplanten Veröffentlichung. Die Macht über „Sea of Darkness“ hat nun Martin Daly, einer der Hauptcharaktere des Films. Daly steuerte das Boot „Indies Trader“, mit dem Boyum und seine Crew tropische Surfspots entdeckten. In einem Interview mit dem Stab Magazine rechtfertigt sich Daly: „Ich war besorgt, dass einige Inhalte des Films nicht angemessen sind. Also kaufte ich die Rechte, um Szenen im Nachhinein abzuklären. So, wie der Film damals war, wollte ich ihn nicht veröffentlichen.“

„Ich denke, er fürchtet sich davor, dass ihn der Film als Drogendealer darstellt.

Man habe seinen Namen genutzt, um an Zeitzeugen zu kommen, sagt er. „Das waren alles meine Freunde. Sie vertrauten mir. Und dann kommt da dieser Michael Oblowitz und macht eine sensationelle Story aus etwas, das für mich gar nicht so sensationell war.“ Ein Jahrzehnt nachdem Daly und Oblowitz gemeinsam Dankesreden für gewonnene Filmawards hielten, sind die Fronten verhärtet. „Ich habe absolut keine Ahnung, wovon Martin Daly da redet“, antwortet uns Michael Oblowitz. „Ich denke, er fürchtet sich davor, dass ihn der Film als Drogendealer darstellt. Aber das ist absolut nicht der Fall.“

Michael Oblowitz, Foto: Wikimedia Commons

Daly selber distanziert sich vom Drogenhandel. Als ihm angeboten wurde, durch den Transport auf seinen Schiffen viel Geld zu verdienen, habe er abgelehnt und Boyum aus den Augen verloren. Dennoch sagt er 2017: „Ich will auch meinen Ruf schützen. Und meine persönliche Vorstellung von richtig und falsch.“ Dazu zähle laut Daly auch, die Surfindustrie, die ihn lange unterstützte, nicht in den Dreck zu ziehen.

„Hier in Indonesien geht man für ein halbes Gramm Gras für zwanzig Jahre ins Gefängnis.“

Auch Indonesien – bis heute der Wohnort des Australiers Martin Daly – spielt eine wichtige Rolle in seiner Entscheidung, den Film nicht zu veröffentlichen. „Ihr müsst verstehen“, sagt er dem Stab Magazine, „dass in Amerika eine komplett andere Kultur herrscht. Die Straße hinunter gibt es Läden mit großen grünen Kreuzen an der Vorderseite, dort könnt ihr hineingehen und Marihuana kaufen. Hier in Indonesien geht man für ein halbes Gramm Gras für zwanzig Jahre ins Gefängnis.“

Doch liegt es nicht nur an Martin Daly, dass „Sea of Darkness“ plötzlich von der Bildfläche verschwindet. „Jeder, der den Film gesehen hat, hält ihn für bahnbrechend und legendär. Bis auf Martin Daly“, erklärt Michael Oblowitz. „Auch Matt Warsaw von ‚The Encyclopedia of Surfing‘ weigert sich, anhand meiner Filme die Geschichte des Surfens zu diskutieren. Ich weiß nicht, wieso.“

Das Veto von Daly und Warsaw kann nicht verhindern, dass sich viele Surfer Raubkopien des Films besorgen. „Ich habe Martin damals gewarnt: Unterdrückung würde die Geschichte noch viel populärer machen. Und nun haben Raubkopien schon den Weg bis auf die Mentawais geschafft.“

Für Oblowitz ist das kein Zufall. „Es war der erste Surffilm im dokumentarischen Format, der nicht den Akt des Surfens, sondern erzählerische Ereignisse in den Vordergrund stellte. Vorher haben sich Surffilme nicht mit psychologischen Themen wie Besessenheit und Sucht, Distanzierung von der Gesellschaft oder der Kompensation für einen abwesenden Vater beschäftigt. Vielmehr waren sie einfach nur Surfpornos: Hübsche junge, blonde Männer und Frauen ohne Hemd, die im Meer spielen.“

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Der südafrikanische Filmemacher Michael Oblowitz in Action. Foto: Josh Bowlin

Mit „Sea of Darkness“ hingegen will Oblowitz nicht nur die Geschichte von G-Land, Boyum und dem im Surfsport der 70er und 80er Jahre fest verwurzelten Drogenkonsum erzählen. „Ich möchte zeigen, wie sich die Grenze zwischen suchartigem Verlangen und erreichbarer Realität ständig verschiebt.“

Wie der Filmemacher die teils 50 Jahre alten Aufnahmen zu einer Dokumentation werden ließ, findet selbst sein Widersacher Martin Daly beeindruckend. „Ich habe ‚Sea of Darkness’ ein paar der Protagonisten gezeigt“, sagt er. „Das war sehr emotional. Die Story von G-Land, Boyum und dem ersten Camp ist die größte Geschichte im Surfen.“

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Mike Boyum (1946 -1989) I first met Boyum in early 1972, on my first trip to Bali when there were only a handful of surfers on the island. I wouldn’t call him a friend, and in fact saw him as a bit of a star f*cker, but I did share some funny bizarre experiences with his buddy Abdul surfing on mushrooms, the stuff that lends a form of camaraderie. I would run into Boyum over the years in Bali during the early 70s, eventually spending some time with him at his G-Land camp in 1980 … before he burnt it down. He was among the first people to surf G-Land and set up the world’s first ever surf camp there in 1978. Boyum was mixed up with all sorts of shady enterprises, including draft dodging, scamming, and going on the run from both the cops and drug dealers before ending up in the Philippines and discovering Cloud Nine. Boyum developed a fascination with fasting, and eventually starved to death on the 45th day of an epic fast while in the Philippines. If you can find a copy, check out Mike Oblowitz’s movie 'Sea of Darkness’, rated by many as “the best surf film ever made”. It won awards at pretty much every festival it was submitted, earned a Surfer Poll Best Documentary, and then swiftly vanished from public view. Apparently not all the clearances were in place, but the producer Martin Daley insists that it will be released when he gets time away from his other ventures. Some of my footage of the G-Land camp in 1980 appears in the current version. #johnogdenphoto #mikeboyum #gland #seaofdarkness #thebestsurffilmevermade

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Bilder von Mike Boyum in Indonesien.

Daly würde sogar hoffen, dass er den Film eines Tages veröffentlichen kann. Unter anderen Umständen, natürlich. 2016 habe er nach eigenen Angaben einen Vertrag mit einer großen Produktionsfirma unterschrieben.

„Ich habe keine Ahnung“, sagt Oblowitz. „Martin Daly versicherte mir auch schon damals, dass er weder die Veröffentlichung des Films in irgendeiner Form behindern noch meine Vision als Künstler beeinflussen würde!“

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Michael Oblowitz hofft, dass „Sea of Darkness“ eines Tages veröffentlicht wird. Foto: Orson Oblowitz

Es kam bekanntlich anders. Dennoch hofft Oblowitz, dass die Welt „Sea of Darkness“ eines Tages zu Gesicht bekommen wird. „Ich denke immer daran – es ist einfach ein exzellenter Film, der eine breite Veröffentlichung verdient hat.“

Gerüchten zufolge soll es inzwischen sogar Pläne für einen Spielfilm und eine Serie basierend auf der Dokumentation geben. Die dunklen Mythen um „Sea of Darkness“ werden hingegen erst verschwinden, wenn der Originalfilm an die Oberfläche kommt und veröffentlicht wird.

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