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Travel Stories

BREAKING the bank: Glücksspiel vor Holland

You don’t know before you go. Auch Roger „Sharpy“ Sharp, seines Zeichens Surf-Vagabund, Schreiberling und begnadeter Surf-Fotograf, musste dieser Erkenntnis mal wieder Tribut zollen, als ihn ein geheimer Auftrag an die Küste der Niederlande führte. Ein alter Schoner, ein Black-Jack-Tisch und eine Truppe verrückter Surfer waren die einzigen Eckdaten für seinen ungewöhnlichen Boat-Trip.

Das rote Telefon in meinem kleinen, unaufgeräumten Büro in London klingelte. Diese VIP-Hotline ist so etwas wie das Gorbi-Phone im Weissen Haus, es klingelt nur im äussersten Notfall, nur für ganz dringende Jobs und Photoshoots. Am anderen Ende der Leitung befinden sich meistens Zigarren rauchende, Whiskey schlürfende Medienmogule oder Surf-Redakteure. Es war also ein wichtiger Anruf, das war klar.

Ich nahm den Hörer ab und meldete mich: „Guten Tag, Bejing Ladyboy Company, wie kann ich Ihnen helfen?“ – „Halt den Mund, Sharpy!“, ertönte eine tief heisere Stimme eines bekannten Redakteurs, heiser von den Jahren des Rumkommandierens reisender Freelancer. „Es ist ein wichtiger Job für einen unserer Hauptkunden. Du wirst morgen Früh aufbrechen. Pack deine Sachen und begib dich nach Stansted, dort liegt ein Ticket auf deinen Namen am Easyjet-Schalter bereit.“ – „Kann man mir vielleicht erst mal erklären, für wen ich wo welchen Job machen soll?“ – „Nein, kann man nicht“, kam die barsche Antwort. „Okay, aber kannst du mir wenigstens sagen, ob es eine Kalt- oder Warmwasser-Destination ist?“ – „Soweit wir wissen, ist es wohl kaltes Wasser. Aber es war noch niemand dort, deshalb musst du das schon selbst herausfinden!“ Die Verbindung brach ab.

Verdammt, nach all den Jahren als freier Autor und Fotograf wünsche ich mir doch ein bisschen mehr Respekt, vielleicht sogar mal eine Aufwandsentschädigung oder zumindest eine Einladung zu einer der vielen dekadenten Partys in den Hauptquartieren der grossen Surf-Firmen oder Redaktionen. Aber in diesen Tagen, in denen sich so viele freie Journalisten um das gleiche Stück Kuchen schlagen und die grossen Fische die freie Wahl zwischen willigen Schreiberlingen und Fotografen haben, spielt wohl Höflichkeit keine Rolle mehr. Na ja, immerhin hatte ich einen Job bekommen. Also packte ich meine Canon-Ausrüstung zusammen, stopfte den veralteten Mac in die Laptop-Tasche und brach zur U-Bahn-Station auf.

Stansted Airport, das wohl bekannteste Glashaus im ganzen Land, erhebt sich vor mir aus dem kalten Morgennebel. Dieser bizarre Ort, der schon so oft Ausgangspunkt zahlreicher spannender Abenteuer war, empfing mich wie ein guter alter Freund. Er lässt jedes Mal aufs Neue mein Herz höher schlagen. Aber dieses Mal, um sechs Uhr morgens, brauchte ich doch erst mal eine gute Tasse Javatee, damit sich überhaupt was in meinem Herzen tat. Ausserdem war ich viel zu neugierig herausfinden, an welche wellengesegnete Küste ich wohl diesmal fliegen würde.

„Mr. Sharp? Ah ja, wir haben hier ein Ticket für Sie, für den 7:30-Uhr-Flug nach Amsterdam. Seien Sie bitte um spätestens sieben Uhr am Gate 13!“, sagte die höfliche Frau am Schalter. Die orangene Bluse der Airline-Uniform biss sich etwas mit ihrem solariumgebräunten Gesicht. Zu viel Make-up im Gesicht und etwas zu viel auf den Hüften waren auch nicht gerade von Vorteil. Aber irgendwie fande ich sie doch ganz sexy. „Tut mir Leid, Süsse, aber es ist noch so schrecklich früh. Was haben Sie da gerade gesagt? Amsterdam?“ – „Ja, Sir. Sie haben sicher schon mal davon gehört: Es ist die Hauptstadt der Niederlande, auch bekannt als Holland. Da gibt es Holzschuhe, Deiche, Grachten, Tulpen, Käse und all das.“ Sie war ziemlich lustig für diese Uhrzeit. Ich trat vom Schalter zurück und kratzte an dem, was noch von meinen Haaren übrig war. Amsterdam? Wer, zur Hölle, bucht einen Surf-Fotografen für einen Gig in Holland?

Der kurze Flug war vorbei, bevor er richtig begonnen hatte. Und ehe ich mich’s versah, war ich in einem Land, das für vieles bekannt ist, nur nicht für seine Wellen. Ich hatte keine weiteren Instruktionen erhalten, also trat ich hinaus in die Ankunftshalle und fühlte mich wie der totale Tourist. Der Schiphol Airport ist ungefähr so gross wie eine Kleinstadt und hier jemanden zu finden, von dem ich noch nicht mal weiss, wie er aussieht oder heisst, ist eine echte Herausforderung. Plötzlich tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ein etwas verwirrt dreinblickender Südländer stand vor mir und fragte mich durch einen Satz unfassbar schiefer Zähne: „Du Sharp?“ – „Äh, oje… mmh, ja?!“, antwortete ich etwas verunsichert. Er nahm meine Hand, drückte mir ein Handy hinein und verschwand wieder. Eine Minute später klingelte es: „Mr. Sharp, ich bin Ihr Arbeitgeber für die nächste Woche. Entschuldigen Sie bitte den Mangel an Informationen, aber wir wollen den Trip geheim halten. Wir müssen darauf achten, dass davon nichts an die Öffentlichkeit gelangt. Sie werden gleich von einem meiner Männer abgeholt. Sein Name ist Hans und er bringt sie zum Boot.“ – „Boot?“, erwiderte ich etwas irritiert. Aber es kam keine Antwort, ich sollte anscheinend nicht mehr wissen als unbedingt nötig. „Er wird Sie in ein paar Minuten am Burger-Laden abholen, er ist gross und trägt einen Hut.“ Nach diesen spärlichen Infos brach das Gespräch ab. Ein Boat-Trip in Holland? Der Tag erschien mir von Minute zu Minute verrückter…

Hans fand mich wie verabredet und kurz darauf fuhren wir durch das flache, weite Land. Deiche, Kanäle und Tulpen rauschten an uns vorbei, nur die Felder mit den Edamer-Käse-Bäumen konnte ich nirgendwo entdecken. Hans war sehr redselig, aber zum eigentlichen Anlass meiner Reise erzählte er nichts. Ich schlief ein, und als ich wieder aufwachte, dachte ich kurze Zeit, ich wäre im 19. Jahrhundert gestrandet: An den Docks, vor denen wir das Auto parkten, lagen viele urige Segelschiffe. Aber nicht etwa diese schäbigen kleinen Fiberglass-Hightech-Segelbötchen, sondern mächtige alte 30-Meter-Schoner aus, die vor hundert Jahren Güter über die Weltmeere schifften. Gebaut aus Stahl, Holz, Schweiss, Tauen und Segeln.

Hans ging mit mir an Bord eines dieser Urgesteine. Er stellte mir einen vom Wetter gezeichneten alten Mann vor, der nur als „der Kapitän“ bekannt war. Es gab keinen Zweifel, dass dieser Mann der Boss auf dem Schiff war. Was er sagt, ist Gesetz. Wenn er dir sagt, du sollst an einem Tau ziehen, dann ziehst du an dem Tau und zwar genau so lange, bis er Stopp sagt, ganz egal ob inzwischen die Hände bluten oder nicht.

Somit hatten wir schon mal wir ein Schiff, einen Kapitän, Hans und mich als Fotografen, sonst niemanden. Doch das sollte sich eine Stunde später ändern. Ein Kleinbus rollte vor das Schiff und eine wilde Horde Surfer-Typen stolperte an Bord. Endlich ergab der ganze Trip ein wenig mehr Sinn.

„Ich vermute, Sie sind Mr. Sharp“, sagte ein höflicher, schick gekleideter junger Mann, vermutlich der Kopf dieser ganzen Operation. „Entschuldigen Sie die Geheimniskrämerei, aber Sie wissen ja selbst, dass in dieser Industrie lose Lippen Schiffe versenken können. Wir wollten nicht, dass jemand von unserer Idee Wind bekommt.“ – „Was genau ist denn überhaupt die Idee? Ich bin in einem Hafen irgendwo in Holland auf einem Boot, das mehr Taue als nötig hat, und weiss noch immer nicht, für wen ich eigentlich arbeiten und wen ich fotografieren soll“, protestierte ich. „Das erzähle ich Ihnen alles später. Entspannen Sie sich erst mal, nehmen Sie sich ein Bier und packen Sie Ihr Gepäck in Ihre Kabine, die Fahrt könnte rau werden. Oh, und Sie können mich Jimmy nennen.“ Der Mann mit dem Plan ging unter Deck und ich sah zu, wie Essen, Alkohol, Boardbags und seltsamerweise auch ein kompletter Black-Jack-Tisch an Board gehievt wurden.

Wir legten ab und segelten direkt ins Klischee hinein, in einen wunderschönen Sonnenuntergang. Die Fahrt ging in nordöstliche Richtung und die schwachen letzten Strahlen der untergehenden Herbstsonne begleiteten uns noch ein Stück auf unserem Weg. Auf dem Deck zu sitzen mit einem Bier in der Hand, der Sonne im Nacken und dem Wind in den Haaren ist nicht die schlechteste Position, in der man sich wieder finden kann. Auch nicht wenn man nicht den blassesten Schimmer hat, wohin es eigentlich geht. Dänemark war die grobe Richtung, sollte mich mein Orientierungssinn nicht völlig im Stich gelassen haben. Legoland ist in Dänemark – aber das ist auch schon alles, was ich über dieses kleine Land weiss.

Später am Abend traf ich endlich die Surfer. Sie waren allesamt Mitgliled der Hurley Gang, ein Haufen von interessanten Charakteren, die sich einen Namen in der Unterwelt des Surfens geschaffen haben. Als Erstes war da Yannick „The Kid“ de Yager, das neueste Mitglied der Gang, gerade dem Kindergarten entwachsen und gefürchtet durch seine wilde, jugendliche Art den Wellen gegenüber. Die blonde, blauäugige Rakete wächst in der Umgebung von Scheveningen auf und sein Vater Rein beobachtet jeden Schritt seines Schützlings. „The Don“, wie Rein an Hollands Westküste genannt wird, war einer der Pioniere, die das Surfen in seinem Land bekannt gemacht haben.

Auch heute zieht er noch kraftvolle Lines mit seinem blutroten Longboard in die Wellen seiner Heimat. Er war ebenfalls mit von der Partie. Der Nächste im Bunde war David „Cabezadita“ Jaio, in seiner baskischen Heimat auch bekannt als „El Terminado“ wegen seines rücksichtslosen Umgangs mit den Contest-Gegnern – und des Flachlegens unzähliger unschuldiger Mädels. Aus Réunion kam Christof „Le Angel“ Allari. Warum „Le Angel“? Weil das Kind in den Wellen Flügel bekommt. Gib ihm eine Section und er fliegt in Richtung Himmel. Auf dem Wasser wird er dir den Kopf verdrehen und beim Black Jack die Taschen leeren, alles mit derselben Gleichgültigkeit. Dann hatten wir da noch Ian „The Rug“ Battrick. Ian stammt aus Jersey, der Geldwäscherei im Ärmelkanal. Sobald irgendwo auf der Welt für Photoshoots fette Tubes gescort werden sollen, ist er euer Mann. Er droppt in alles, was gross und hohl ist. Ein wilder Haufen von guten Surfern also, die auf diesem Trip von den wachsamen Augen des Hurley-Leutnants Jimmy „The Knife“ und seinem französischen Counterpart Remi „The Racketeer“ begleitet und geleitet wurden. Ausserdem noch mit an Bord war eine wilde Crew holländischer Surfer, die allesamt aus der Szene um Scheveningen stammen.

Wir segelten durch die Nacht und ankerten im Morgengrauen vor einer flachen Insel. Das Festland war nicht mehr zu erkennen. Beim Frühstück mit ofenfrischem Brot, Salami und Kaffee (der Kaffee war genau so, wie ich meine Frauen mag: kräftig und bitter) sass ich Jimmy gegenüber und fragte: „So, Mr. Knife, wir sind jetzt mitten im Nirgendwo. Könnten Sie mir vielleicht endlich erzählen, was zum Teufel hier überhaupt los ist?!“ Jimmy setzte ein ernstes Gesicht auf: „Das ist einfach zu erklären, Sharpy. Wir sind am westlichen Ende einer vor der Küste liegenden Inselkette, den Watteninseln. Swells, die aus dem Norden vor Schottland an Grossbritannien vorbeilaufen, treffen genau hier auf die Inseln. Und da hier noch niemand wirklich nach Surf gesucht hat, hoffen wir, ein paar wirkliche Schätze zu finden. Wir werden Wellen vor diesen Inseln suchen und der Kapitän weiss noch von vorgelagerten Sandbänken, die weiter draussen im offenen Meer liegen.“ Bevor Jimmy mehr erzählen konnte, gestikulierte Remi, der Franzose, der permanent mit einer Fluppe zwischen den Lippen und einem Bier in der Hand zu sehen war, wie wild und zeigte Jimmy an, dass er genug erzählt hätte.

Einige Tage vergingen, ohne dass gross etwas passiert wäre. Der Wind stand zwar gut, aber der erhoffte Nordswell liess noch auf sich warten. Langeweile kam trotzdem nicht auf, denn entweder musstest du für den Kapitän in die Takelage klettern, um Taue zu ziehen und dein Leben zu riskieren, oder du hast dir die Zeit unter Deck in einem kleinen Raum mit einem Bierhahn und einem kleinen DJ-Set vertrieben. „Kelly Slater’s Pro Surfer“ lief auf der PlayStation auf Heavy Rotation und der oben erwähnte Black-Jack-Tisch war Treffpunkt für die Zockerfreunde und Trickbetrüger an Bord. Doch trotz leckerstem Essen vom Chefkoch und den vielen Entertainment-Möglichkeiten wurde die Surf-Crew immer hungriger auf Action.

Weil die Wellen weiterhin auf sich warten liessen, enterte die Meute kurzerhand die kleine Insel, vor der wir uns noch immer herumtrieben. Auf geliehenen Fahrrädern wurde die Insel erkundet und der Surf auf der anderen Seite der Insel begutachtet. Makellose, saubere 30-Zentimeter-Wellen plätscherten an den Strand. Doch die Enttäuschung über die zu kleinen Wellen war nicht allzu gross und so wurde statt zu surfen ein Fahrrad-Wheelie-und-Slide-Contest ausgetragen. Nachdem sich alle verausgabt hatten, alle mit heilen Knochen davongekommen und die Drahtesel wieder an ihren Besitzer zurückgegeben waren, sahen wir zu, dass wir die Insel schnellstens wieder verliessen, und segelten durch die Nacht zu einer kleinen Insel namens Vlieland.

Am nächsten Morgen waren die Bedingungen schon deutlich besser als in den Tagen zuvor. Die lokale Windsurf-Szene wusste nicht so recht, wie ihr geschah, als plötzlich ein Mob internationaler Surf-Pros ihren Strand in Beschlag nahm. Surfen auf einem solch hohen Level wurde hier noch nie gesehen. Vor einigen Jahren, so erzählte man uns, wurden hier schon Wellenreiter gesichtet, doch verliessen sie den Ort so schnell wieder, wie sie gekommen waren. Die Wellen brachen kurz, kraftvoll und anspruchsvoll an Beach Breaks mit einer gesunden Strömung, die einen ordentlich auf Trab hielt. Und trotz starken auflandigen Winds konnte man das Potenzial des Spots erkennen. Würden hier saubere drei bis vier Fuss anrollen und es würde leicht offshore blasen, gäbe es hier sicher an der gesamten Küste perfekte A-Frame-Breaks. Es war also lediglich eine Frage der Zeit, bis wir traumhafte Bedingungen vorfinden würden…

Na ja, dachte ich zumindest. Am Ende hatten wir keine perfekten Bedingungen abbekommen. Leichter Onshore-Wind war noch das Beste, was wir hatten. Immerhin bevorzugen viele Surfer heutzutage für ihr High-Performance-Surfen Onshore-Wellen, da in ihnen mehr Sections für Aerials und harte Snaps zu finden sind.

Der Trip war anders, aber er hat sich gelohnt! Wir haben viel riskiert, haben Wellen gefunden, waren teilweise echt seekrank, mussten kapitale Verluste beim Black Jack wegstecken und sind zu dem Entschluss gekommen, dass ein Boat-Trip in holländischen Hoheitsgewässern ein Riesenspass ist und die Gegend das Potenzial für wirklilch guten Surf hat.

Vielen Dank an Jimmy, Paul und die gesamte Hurley-Crew für diesen verrückten Trip! Jordie, Dennis, Hans, Ray, Frank und die Holland Crew danke dafür, dass sie so eine unterhaltsame und lustige Truppe sind, und vielen Dank auch an den Kapitän, der diese quirlige Truppe hoffnungsloser Seelen auf seinem Boot aufgenommen hat und trotz Mehlbomben und nächtlicher Rasierschaumattacken immer entspannt blieb!

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