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Travel Stories

Canada

Bevor du dich über das kalte Wasser an Europas winterlichen Atlantikküsten beschwerst, schau’ lieber erst mal auf die andere Seite des Teichs. Dann wird dir ganz schnell bewusst, was für ein Glück du eigentlich mit den hiesigen Temperaturen hast.

Die kanadische Provinz Neuschottland bietet Hardcore-Surfern zwar perfekte Wellen in einer atemberaubend schönen Landschaft, doch sind die Wassertemperaturen mindestens genauso Atem raubend. Die widrigen Bedingungen sollten dich aber nicht abschrecken, diese Region als Alternative zu unseren überfüllten Atlantik-Breaks zu sehen! Ein relativ kurzer Flug und schon bist du an einsamen und perfekten Spots in wunderschöner Natur! Alf Alderson beschreibt für uns seinen Abstecher in die Cold Water Perfection in Nova Scotia!

Spätestens wenn du neben einem Surf-Shop ein Strassenschild entdeckst, das vor Schneeverwehungen warnt, wird dir schnell bewusst, dass du in keinem normalen Surf-Gebiet bist. Als ich letzten Sommer an diesem Schild vorbeifuhr, sollte es aber noch ein paar Monate dauern, bis Schnee zu einem wirklichen Verkehrsproblem würde. In diesem Moment schien mir noch die warme Sommersonne auf den Rücken. Shorts und Shirt statt Winterparker und Moonboots waren angesagt. Doch sobald die ersten Schneeflocken die Küstenlinie im östlichsten Teil Kanadas hoch und runter wehen, ändert sich daran auch erst einmal nichts mehr und es bleibt genau so für mindestens sechs lange Monate! Aber was tust du, wenn du von ganzem Herzen Surfer bist und sich noch dazu ein perfekter Swell nach dem nächsten an deinem Küstenabschnitt entlädt? Du kneifst die Arschbacken zusammen, beweist dich als echter Mann und gehst auch im Winter raus.

Siebenmillimeter-Neos, Booties, Handschuhe und Haube gehören dann zu deiner Standardausrüstung. Du wirst zum Winter-Surfer in den klirrend kalten Fluten des Nordatlantiks, in einem Gebiet, in dem Eisberge keine Seltenheit sind.

Doch ich erzähle meinen Neuschottland-Trip am besten von Anfang an: Mein Kumpel und Surf-Fotograf Yassine Ouhilal schwärmte mir schon seit Jahren von den endlosen, perfekten und vor allem einsamen Wellen in seiner Heimat vor. Er berichtete von perfektem Hurrikan-Swell im Spätsommer und riesigem Swell und Offshore-Bedingungen im Winter. Ich konnte mich nie so recht für seine Euphorie erwärmen, denn allein schon beim Gedanken an Surfen in Kanada bekomme ich eine Gänsehaut. Und das, obwohl ich mit meiner Heimat England eigentlich Kälte gewohnt sein müsste. Ich dachte an Eisbären, Schneestürme und Eisschollen im Line-up. Nachdem ich mich aber lange genug hatte bequatschen lassen, stand ich plötzlich am Flughafen von Toronto. Ich wollte wissen, was dran war an diesen Wellen, an diesem Land. Und so startet meine Reise mit einem zweitägigen Road Trip von Toronto bis an die Küste Nova Scotias.

Zwei lange Tage fuhr ich mit einem viel zu grossen Wohnmobil durch die sommerliche Wildnis im Osten Kanadas. Ich war umgeben von schönster unberührter Natur: Wälder, so weit das Auge reicht, und immer wieder glitzernde Seen unter der in dieser Jahreszeit lange am Himmel stehenden Sonne. Endlich auf der Halbinsel Neuschottland angekommen, fuhr ich auf der endlosen Strasse die zerklüftete Westküste entlang, die täglich mit den höchsten Tidenunterschieden der Welt zu kämpfen hat.

Ein Szenario, das mich an die tief zerfurchten Küsten im Norden Norwegen erinnerte. Weiter ging es in Richtung Halifax, das mit seiner Gründung 1749 zur ersten britischen Stadt in Kanada gehörte. Ich liess aber die Provinzhauptstadt links liegen und verfolgte mein Ziel weiter auf der Suche nach Yassines gelobtem Surf. Und so verschwand Halifax schnell in meinem Rückspiegel und es ging immer weiter die Küstenstrasse entlang.

Ich versank mit meinen Gedanken wieder tief in dieser einzigartigen Landschaft. Doch plötzlich kam mir hinter einer engen Kurve ein Auto mit Surfbrettern auf dem Dach entgegengeschossen. Ich war überrascht – dieses Bild rüttelte mich urplötzlich aus allen Träumen und verursachte ein wohl bekanntes Gefühl in meinem Bauch: Surfboards = Surfen = Warum bist du eigentlich hier? = Fahr weiter, aber schnell! Das war aber nicht ganz so einfach mit dem riesigen Wohnmobil, das wie ein altersschwacher Elch um die vielen Kurven der Küstenstrasse wankte. Doch jedes Mal, wenn hinter einer Kehre wieder der Ozean in der Sonne blitzte, schlug zumindest mein Puls schneller. Ich wusste, es ist nicht mehr weit zu meinem ersten Ziel, einem der wenigen der Aussenwelt bekannten Surf Spots in dieser Gegend. Aber werde ich da auch Wellen haben?

Natürlich nicht! Es war flach! Du fliegst auf einen anderen Kontinent und fährst anschliessend 2.000 Kilometer wegen einer verdammten Welle und es ist flach! Nachdem ich meine Enttäuschung überwunden hatte, tat ich das, was man so macht, wenn es flach ist: Ich fuhr zu einem in der Nähe gelegenen Surf-Shop, um mich über Wellen, Spots und Wetter bei den Leuten zu informieren. Diese Leute kennen die Küsten hier wohl neben den Fischern mit am besten. Sie waren sehr offen und freundlich. Sie erzählten mir ähnlich wie Yassine märchenhafte Geschichten von unvorstellbar guten Wellen in einem Gebiet, das im Winter tatsächlich Eisberge vor der Küste hat. Ich erfuhr, dass die Surfer in Neuschottland, zumindest die Hardcore Surfer, das ganze Jahr lang surfen – und das trotz des Umstands, dass die Wassertemperaturen zwischen Januar und März gerne mal unter null Grad fallen können (Meerwasser gefriert wegen dem Salzgehalt erst ein paar Grad unter null)! Die Lufttemperatur treibt sich dann noch weiter im Minus herum und arktische Nordwest-Winde lassen diese Region zum Gefrierschrank werden. Hinzu kommt, dass es im Winter nur wenige Stunden hell bleibt, bevor sich die Sonne wieder hinter dem Horizont verabschiedet.

Das alles bedeutet, dass Surfen hier eine ziemlich harte Angelegenheit ist. Zuerst mal wischst du den Schnee von deinem Brett, dann musst du dich in den Kieferwäldern durch hüfthohe Verwehungen kämpfen, um anschliessend ins Meerwasser zu springen, das den Aggregatzustand eines Frozen Daiquiri angenommen hat. Was die Leute dort trotzdem zu dieser Tortur treibt, sind wohl die oft perfekten Wellen. Die Sessions sind natürlich ziemlich kurz, denn trotz des sieben Millimeter dicken Neoprens schleicht die Kälte schnell tief unter die Haut.

Man sollte auch bloss aufpassen, dass sich nicht doch ein Schwung Wasser unter die Haube verirrt und dann langsam den Rücken runter ergiesst! Sonst ist die Session noch schneller vorbei. Und so hält es selten einer länger als eine Stunde in der Kälte aus, egal wie gut die Wellen auch sind. Wie Yassine so schön sagt: “Surfen in noch kälterem Wasser wäre nicht möglich, denn die Wellen würden vorher gefrieren.”

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es sich angefühlt haben muss, diese Eiswellen vor drei Jahrzehnten zu surfen. Neoprenanzüge hatten noch lange nicht den technischen Stand von heute… Die Jungs erzählten mir später noch über ihre Road Trips nach Neufundland. Man fühle sich, als surfe man am Rande des Universums. Ich vergass zu fragen, ob sie dort auch Eisberge im Line-up hatten, aber nachdem ich gehört hatte, dass sich die aus der Arktis abgespaltenen Eisbrocken auch weiter südlich wieder finden, bezweifelte ich nicht, dass dort im Norden auch welche waren.

Plötzlich leuchteten die Augen meines Gegenübers noch stärker auf und er erzählte mir von Nova Scotia während der Hurricane Season: “Im September haben wir oft um die 15 °C warmes Wasser und 28 °C Lufttemperatur, leichten Offshore-Wind und perfekten Orkan-Swell, der sich um die bei der letzten Eiszeit entstandenen Points schält.” Ob er mit “der letzten Eiszeit” den letzten Winter meint? “Wir surfen dann auch schon mal im Shorty oder sogar Boardshort, so warm wird’s.”

Weiter schwärmt er mir vor, dass es keine Seltenheit wäre, wenn sich während dieser Zeit sechs Meter hohe Brecher über eine Länge von 600 Metern in elchhohen Barrels an einer einsamen Küste in der Nähe entladen. Das erklärt vielleicht, warum sich manche Ostküsten-Surfer aus den USA plötzlich in den Flieger schmeissen und sich auf den Weg hierher machen. Zusammen mit den rund 500 gezählten Surfern aus Halifax kann es dann schon mal voll werden in den bekannteren Line-ups. Doch sind die Herbststürme vorüber und der Winter nimmt das Land wieder fest in den eisernen Griff, sind es plötzlich nur noch eine Hand voll Seelen, die trotz allem in die Fluten springen.

Obwohl man solche winterlichen Voraussetzungen nicht gerade als “Surfers Paradise” bezeichnen kann, sind die Locals extrem besorgt, dass zu viele Leute von ihren Wellen Wind bekommen könnten. Die Locals leben in ständiger Angst, ihre “noch” einsamen Wellen mit zu vielen Leuten teilen zu müssen, und vor Scharen von Surfern, die sich hier oben als Abenteurer profilieren wollen. Ausserdem wollen sie nicht, dass die reichen Amerikaner sich hier das noch extrem günstige Land unter den Nagel reissen und die Küsten mit ihren Ferienhäusern zupflastern. Trotz des ungezwungenen Gesprächs mit den Jungs aus dem Surf-Shop musste auch ich hoch und heilig versprechen, die genannten Orte nicht zu verraten. Und schon gar nicht an Surf-Magazine! Ihre Worte waren ernst genug gemeint, um mein Versprechen einigermassen zu halten. Ich denke allerdings, dass diese Angst ziemlich unbegründet ist, da 99 Prozent der weltweiten Surfer wohl lieber ihre Oversea Surf Trips in wärmere Gefilde planen. Und falls sie Geld für ein Grundstück hätten, würden sie die Kohle doch höchstwahrscheinlich ebenfalls irgendwo im Warmen investieren. Das ganze Jahr in Boardshorts surfen ist doch immer noch das ersehnte Ziel der meisten von uns, oder?

Wie auch immer, Neuschottlands Surf-Szene ist inzwischen immerhin gross genug, dass Firmen wie Rip Curl oder Red Bull anfangen, Contests dort auszutragen und sogar Big Wave Surfer wie Garrett McNamara und sein Tow-in-Partner Scott Chandler sich hier auf die Suche nach wirklich grossen Swell begeben.

Yassine und ich trafen die Jungs ein paar Tage später am Flughafen und begleiteten sie auf ihrem Big Wave Trip. Das war endlich mal was anderes für Yassine, der zwar ständig wunderschöne Wellen fotografieren kann, die nur meist ohne einen Surfer darin brechen. Eine von extrem tiefem Wasser umgebene und abgelegene Inselgruppe war unser Ziel. Nach kurzem Suchen trafen wir schon auf das, wonach wir gesucht haben: wedgy, hollow Wellen, die genau so auch in Indo oder Hawaii hätten brechen können. Garrett beschrieb sie als Zwölffuss-Tahiti-Style-Barrels – hey, und das in Kanada! Mit Jetskis wurde er in die spätsommerlichen Barrels gezogen. Das Wasser hatte 20 °C und erlaubte es Garrett, im Shorty rauszugehen – und das wie gesagt in potenziellem Eisbergterritorium!

Trotz all der Schönheit, der Herzlichkeit und des Charmes seiner Wildnis, Neuschottland und die vielen perfekten Points werden wohl nie einen Platz auf der Surf-Weltkarte einnehmen wie etwa Hawaii oder Australien. Betrachtet man die Bilder, möchte man zwar meinen: “Warum eigentlich nicht?”, aber dafür ist es in der Regel dann doch einfach viel zu kalt für viele von uns.

Info

Location: Das Leben in Neuschottland wird vom Meer bestimmt. Ganz egal, wo man sich befindet, man ist nie weiter als 35 Kilometer von der Küste entfernt. Die insgesamt über 7.400 Kilometer Küstenlinie bieten idyllische Häfen und Meeresarme, Sandstrände und von Gletschern abgeschliffene Klippen.

Flug: Von Europa aus ist man mit dem Flugzeug zwei Stunden schneller in Neuschottland als an irgendeinem anderen nordamerikanischen Flughafen. Flüge kosten um 600 Euro, zum Beispiel von Frankfurt nach Halifax mit Air Canada.

Auto: Zahlreiche Autovermieter findet man in den internationalen Flughäfen von Halifax und Yarmouth sowie im Flughafen von Sydney/Neuschottland. Die Preise für Mietwagen liegen bei 300 Euro pro Woche.

Welle: Surfbare Wellen gibt es das ganze Jahr hindurch, August bis November ist aber die beste Zeit für kraftvollen Hurrikan-Swell und mit 5 °C bis 15 °C noch aushaltbare Wassertemperaturen. Im Winter produzieren starke Stürme weit draussen im Atlantik regelmässig zwölf bis 15 Fuss grossen Swell. Dazu herrscht vor Ort meist Wind aus Nordwest und weht somit perfekt offshore, sorgt aber auch für knackige Lufttemperaturen. Hinzu kommen Wassertemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Im frühen Sommer bestimmt meist Onshore-Windswell den Surf. Leider meistens nur mit ein bis anderthalb Meter hohen Wellen.

Tide: Die höchsten Tidenhube der Welt mit bis zu 16 Metern Unterschied beeinträchtigen nur die Spots an Neuschottlands Westküste. An der spotreichen Ostküste herrscht im Vergleich dazu nur ein geringer Tidenhub von etwa zweieinhalb Metern.

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