Nach einem kurzen Zwischenstopp in Panama City macht sich John Callahan mit einer Hand voll surfhungriger Weltenbummler auf die Suche nach dem karibischen Wellenrhythmus – im pulsierenden Herzen von Lateinamerika.
Jede Stadt hat einen ganz besonderen Ort, an dem sie ihr Wesen und ihren Rhyhtmus ungeschminkt zum Ausdruck bringt. Während wir uns unseren Weg durch den Regen bahnen, überzeugt mich Alberto davon, dass Casco Viejo “el corazón”, das Herz, von Panama City ist. Während wir unsere Fahrt fortsetzen, gehen immer neue Regenschauer auf die Strassen herab, überfluten Gullys und ertränken Hoffnungen. Das ununterbrochene Prasseln des Regens auf dem Dach von Albertos Taxi hält mich davon ab, die Tür zu öffnen und auszusteigen.
Im Rhyhtmus mit dem Donnergrollen stoppt vor uns immer wieder der Verkehr. Während sich die sonst so verstopften Strassen leeren, bleibt Casco Viejo, die Altstadt, wie immer stur und unbeeindruckt von dem wütenden Pazifikgewitter. “Die Altstadt”, sagt Alberto zu mir, als er mich mitten in einer Mischung aus kolonialer Architektur und engem Strassengewirr absetzt. Nur ein kleines Stück entfernt von Mega-Malls, Neonlicht und gesichtsloser Architektur, alles finanziert von kolumbianischen Geschäftsleuten, setze ich meinen Fuss in dieses ungeschminkte Stück Geschichte Panamas.
Casco Viejo ist das Herz von Panama City und wie das Herz eines alten Mannes lässt es ab und an mal einen Herzschlag aus. Die Strassen sind überschwemmt mit Matsch, doch das hindert die Einwohner nicht daran, über das Kopfsteinpflaster zu laufen. Ich schaue kurz herunter zu meinen Flip-Flops. Gummistiefel wären besser. Die Altstadt ist mit das ärmste Viertel von Panama City, aber gleichzeitig ist sie ungeheuer interessant und strotzt nur so von Leben. Der Cocktail aus Kriminalität, Authentizität und der alten Architektur ist zwar nicht ohne Risiko, aber ungemein berauschend für jeden Besucher.
“Hi Man, wie wär’s mit frischem Fisch?”, schallt mir ein Rasta-Akzent aus einer gelb gestrichenen Imbissbude entgegen. Smokey ist ein Überbleibsel des Bananen-Booms in Bastimentos, dem Ort an Panamas Karibikküste, an der wir am nächsten Tag unsere Surf-Expedition starten wollen. Er kam nach Casco Viejo, um den “chitras”, Sandfliegen, zu entkommen und ein paar Touristen-Dollars zu machen. Er ist ein Teil dieser Mischung der Kulturen, die diesem Ort ihren einzigartigen Flair verleiht. Der wirtschaftliche Aufschwung des transatlantischen Handels ist an der Altstadt vorbeigegangen.
Obwohl der Panamakanal Unabhängigkeit von Kolumbien brachte, ist Casco Viejo mit seinem Labyrinth aus winzigen, viel zu engen Gassen für Zentralamerikas moderne Gesellschaft in Vergessenheit geraten. “Der Kanal bringt Wohlstand für den Rest der Welt, nicht für uns”, erklärt mir Smokey. So liegt neben dem Kanal, den jeder benutzen möchte, ein fast vergessener Ort von natürlicher Schönheit. Aber auch dies ändert sich.
Es regnet noch immer, doch die Tropfen sind nun nicht mehr so gross, dass sie sofort durch meine Klamotten dringen. Also mache ich mich schnell wieder auf den Weg ins Freie, um noch ein paar Strassen zu entdecken. Die Regierung hat vor kurzem eine Polizeitruppe ins Leben gerufen (Policía Turística), um die Touristen vor den vielen Dieben zu schützen. Mir fallen die alten Frauen auf, die in schmalen Eingängen hinter verrosteten Eisenstäben sitzen und aus deren Augen mir Weisheit und Unantastbarkeit entgegenblicken. Ohne je einen Schlag verpasst zu haben, nehmen sie schon über Jahrzehnte hinweg mit ihren Augen und Ohren den Puls des “barrio” auf und verstehen das Viertel. Sie erscheinen mir wie das Gewissen dieses Ortes. Auf einem mit Geranien geschmückten Balkon über mir sehe ich, wie eine alte Frau gerade dabei ist, eine Nadel durch weissen Stoff zu stechen: Eine Heirat wird vorbereitet. Aus dem dahinterliegenden Wohnzimmer hört man ein Pärchen laut Spanisch reden. Kurz bevor das Bild zu sehr zum typischen Lateinamerika-Klischee wird, lenkt mich das Geschrei einer Schauspielerin ab. Im Zimmer nebenan läuft eine schmalzige Vorabendserie im TV.
Von der Avenida Central sind es nur ein paar Schritte zum Paseo de las Bovedas. Dort hängen die Häuser im Hang über dem Pazifik wie Waben im Bienenstock. Darunter sammeln sich die Schiffe, um die südliche Einfahrt zur wichtigsten Abkürzung der Welt zu nehmen, dem Panamakanal. Von dort unten weht mir ein übler Geruch entgegen. Kein Wunder, jede Art von Müll wird hier einfach ins Meer gekippt. Jay, ein Amerikaner, der schon lange in Panama lebt, unterbricht meine Gedanken: “Die drei unangenehmsten Dinge der Einheimischen sind, dass sie ihren Müll überall herumliegen lassen, dass sie überhaupt keine Ahnung von Abwasserrohren besitzen und dass sie eine verdammt lockere Einstellung zur Arbeit haben.”
Mit einem fetten Lächeln im Gesicht fährt er fort: “Dafür kannst du hier machen, was du willst.” Jay kam ursprünglich hierher, um sich um die Privatisierung der Trans-Isthmus-Eisenbahn zu kümmern. Doch er verliebte sich in den rauen Charme von Casco Viejo und blieb. “Geniesse es, so lange es noch nicht verwässert ist”, sagt er, “in ein paar Jahren ist es auch nur noch ein weiteres Disneyland. Die, die es kennen, erklären, dass dieser Platz einer der originellsten Mittelamerikas ist. Doch es soll eine neue Umgehungstrasse gebaut werden und wer weiss schon, wie es danach aussehen wird…” Doch wird die Altstadt aufgrund dieses Bypasses ihr Lebensblut verlieren? Jay jedenfalls empfiehlt eine andere Diät als die der nordamerikanischen Zivilisation, um das Herz und die Kultur Mittelamerikas am Leben zu erhalten. Wie auch immer, Gegenwart und Vergangenheit werden wohl immer häufiger in Casco Viejo aufeinander treffen.
Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Wir gehen zurück zum Palacio de las Garzas. Eine Band beginnt zu spielen und der Merenge-Rhythmus der Paare auf dem Parkett vermischt sich mit dem Sonnenuntergang. Während sich der Rest von Panama in Nebel hüllt, wärmen wir unsere müden Glieder und erheben unser Glas auf den unverfälschten Geist von Casco Viejo.
la tabla larga
“La tabla no cabe”, erklärt mir der Gepäckbeauftragte am Flughafen, während er mein Neun-Fuss-Longboard zurück in die Abflughalle bugsiert. Das kleine Flugzeug, das uns von Panama City zur Karibikküste bringen soll, hat nur Platz für sechs Fuss lange Boardbags. “Morgen ist der Flug so gut wie leer. Dann können wir das Board in der Kabine mitnehmen”, versucht mich der Kapitän zu beruhigen. Ich hege weiterhin meine Zweifel und spiele mit dem Gedanken, in der Stadt zu bleiben, um später den 18-stündigen Bus-Trip mit dem Board unterm Arm anzutreten. Doch der Kapitän lässt nicht locker. Ich könne das Board am nächsten Tag am Flughafen abholen, erklärt er mir immer wieder und so sitze ich schliesslich doch mit dem Rest der Crew im Flieger – ohne meine Boards und mit schlechter Stimmung. Als wir abheben, sehen wir den Kanal unter uns. Die Shortboard Crew ist bei bester Laune – kein Wunder, fliegt ihr geliebtes Equipment doch sicher unter ihnen mit. Als einziger Longboarder des Trips weiss ich, dass es nicht gerade mein Traum ist, auf einem geliehenen 6’0″er-High-Performance-Zahnstocher herumzueiern. Darum bete ich, dass meine Boards morgen ankommen mögen…
“Heute Abend wird es dabei sein”, erklärt mir der Zollbeamte des Flughafens von Panama am Telefon. “Die letzten Tage war der Flug immer ausgebucht, deswegen konnten wir Ihr Gepäck nicht mitnehmen.” Am Abend ist es natürlich immer noch nicht da. Drei Tage sind wir nun schon hier und ich sehne mich nach meinem geliebten 9’0″er. Ich habe es schon mit dem “Alligator” probiert, einem 9’6″er-Biest aus dem Surf Camp vor Ort mit einer riesigen Single-Finne. Es in den kraftvollen Wellen hier zu surfen war wirklich wie der Ringkampf mit einem Krokodil. Aber immer noch besser, als auf einem 5’6″er Fish von 1972 herumzurutschen, das einzige andere Board, das sich hier auftreiben liesse. Beide Boards haben sicher ihre Bedingungen, aber die kraftvollen Wellen in Panamas Surf-Saison sind sicher nicht ihr Ding.
“Ich habe einen guten Freund in Panama, der kann dein Board heute Nacht in den Bus packen und du holst es dann morgen vom Festland ab”, bietet mir Christian an, der Vermieter unserer Unterkünfte. Bingo! Als ich mich am nächsten Morgen von unserer kleinen Insel an Bord eines Wassertaxis auf den Weg zum Festland mache, geniesse ich die Begleitung der Delfine, die in der aufgehenden Sonne vor uns spielen.
“Der Bus hat drei Stunden Verspätung”, erklärt mir der kreolische Mitarbeiter am Busterminal in der Stadt. Einst ein blühender Handelsplatz, nun aber nach einem Erdbeben und dem Nieder- gang des Bananen-Booms ein ziemlich heruntergekommener Ort. Da sitze ich nun an einem der trostlosesten Plätze Panamas herum und warte. “Warum hat der Bus Verspätung?”, frage ich. “Bei einem Stopp hat man zwei herrenlose Koffer gefunden. Einer war voll mit 55.000 Dollar, der andere voll mit Kokain. Deshalb wird jetzt der gesamte Bus durchsucht. Jeder Koffer und jeder Reisende.” Ich kann mir genau vorstellen, wie die herrenlosen Longboards etwas Aufsehen verursachen: kein Besitzer, kein Name darauf, nur zwei grosse Boards – Gott sei Dank nicht voll mit Drogen..!
Als einige Zeit später der Bus auftaucht und ich darin meine weissen Boardbags erkenne, strahle ich über das ganze Gesicht wie die Mittagssonne Panamas. Kurz darauf bin ich auf dem Rückweg. Ich finde den Rest der Crew damit beschäftigt, im Regen nach ein paar Wellen zu suchen, die sich, sobald sich die Sonne wieder sehen lässt, gut für ein paar Bilder machen würden.
Bei der Dawn Patrol am nächsten Morgen bin ich ohne Frage der glücklichste Mensch in ganz Panama. Hang Fives, Cutbacks und schöne Tube Sections score ich auf meinen geliebten 9’0″er. Ich steuere es in eine close-out brechende Welle und – snap, das Board, das durch die Hölle ging, um hier gesurft zu werden, besteht auf einmal aus zwei Teilen…
Las Olas
Panama ist mit zwei nahe beieinander liegenden wellenreichen Küsten gesegnet: der Pazifik- und der Karibikküste. An die Karibikküste treffen von Zeit zu Zeit ein paar sehr heftige Windswells. Die beste Zeit für Wellen ist hier von November bis März und noch einmal für kurze Zeit zwischen Juni und August. Diese 1.160 Kilometer lange Nordküste bietet einem eine unglaubliche Mischung aus Puerto-Escondido-ähnlichen Beach Breaks und Reef Breaks, die denen von Indonesien in nichts nachstehen. Die 1.690 Kilometer lange Pazifikküste bietet Südswell, der sich aus Tiefdruckgebieten über den Roaring 40’s und Neuseeland speist. Doch beide Küsten werden neben Wellen auch von heftigen Regenfällen heimgesucht. So lässt sich das Klima am besten als nass bis sehr nass beschreiben und dies gilt speziell für die Wellensaison an Panamas Karibikküste.
Obwohl die Pazifikküste wie gesagt eine Goldmine für ziemlich oft funktionierende Surf-Spots darstellt, haben wir es auf einen kleinen Küstenabschnitt auf der anderen Seite von Panama abgesehen. Dort ist die aufkommende Surf-Szene ziemlich verschlossen, wenn es um das Herausrücken von Informationen über gute Spots geht. Kein Wunder, fanden wir doch einige wirklich gute Wellen. Ein anderes Kapitel sind die flachen, scharfen und von Seeigeln übersäten Riffe, die jedes Rein- und Rauspaddeln zu einem ganz eigenen Erlebnis machen. Ganz zu schweigen von einer Welle, die genau neben einer grossen Müllkippe bricht: Eine Stunde dort auf dem Wasser reicht aus, um schwindelig zu werden von all den PVC-Dämpfen von verbrennendem Plastik in der Luft.
Die Crew
Wesley de Souza ist ein Realist. Halb Brasilianer, halb Amerikaner ist er der Sohn eines Pastors. Bevor er nach Florida übersiedelte, ist er in Saquarem, einem Ortsteil von Rio, aufgewachsen. So kennt er sich bestens aus mit der südamerikanischen Lebensweise. William Robert “Skeeter” Zimmerman kommt aus Deerfield in Florida. Doch von unzähligen North-Shore-Wintern genährt, ist sein Stil geprägt von Kraft und perfektem Timing. Das Ergebnis sind die mit Abstand besten Tube Rides des ganzen Trips. Und das, obwohl Panama es ihm nicht leicht macht: Eine braune Qualle berührte ihn und das Gift lähmte ihn für fast zwei Minuten.
Gott sei Dank verging der Anfall schnell wieder. Cheyne Cottrell hat einen der saubersten Surf-Styles zu bieten, den ich je gesehen habe. Mit einer Leichtigkeit, die wir von Rob Machado gewöhnt sind, fliegt er förmlich von Turn zu Turn. Surf-Trips rund um den Globus haben aus ihm einen Surfer gemacht mit einem Radar für die tiefsten Pits im Line-up. Eugene Tollemach ist einer der herzlichsten, warmherzigsten und freundlichsten Menschen, mit denen man sich auf einen Trip begeben kann. Aufgewachsen während einer Fahrrad-Rundreise seiner Eltern durch Europa, hat Eugene in South Devon das Surfen gelernt. Doch was wäre das ganze Abenteuer ohne unseren Mann hinter der Kamera Mr. John Callahan?! Der Magellan moderner Surf-Unternehmungen überrascht uns immer wieder aufs Neue mit unglaublichen Bildern und ebensolchen Plätzen, um Wellen zu surfen. In diesem Sinne – auf ein nächstes Mal, Käpt’n Callahan!
Der Autor Sam Bleakley wuchs im englischen Cornwall auf. Nach einer, wie er sie nennt, “Punkrock-Shortboard-Phase” als Teenager galt seine Liebe seit 1995 dem “Funky-Jazz-Longboard-Surfing”. Nicht ohne Erfolg, so war der studierte Geografiker mehrmals englischer wie auch europäischer Longboard-Champ. Daneben gehört der Longboard-Profi zur festen Reise-Crew von John Callahan. Auch wenn sein Equipment oft Transportprobleme verursacht…
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