25 Jahre lang mussten Surfer auf das Ende des Bürgerkriegs warten, der einen Trip in den Osten Sri Lankas zu einem lebensgefährlichen Unterfangen machte. Selbst bei illegalem Vordringen in die gesperrten östlichen Regionen des Landes war die Wahrscheinlichkeit erheblich grösser, mit erhobenen Händen in den Lauf eines Rebellen-Schnellfeuergewehrs zu blicken als aus den glasklaren Barrels der ewig langen Welle von Arugam Bay herauszuschauen.
Sie haben Post!”, tönt eine pseudofreundliche künstliche Frauenstimme durch die Aktivboxen meines Computers. Endlich! Die lang erwartete e-Mail von Harry, unserem Scout, der nach Sri Lanka vorausgefahren ist, um in dem einstigen Krisengebiet vorab die Lage zu checken. Hektisch öffne ich den elektronischen Brief und scanne die Sätze nach relevanten Schlagworten: “… Waffenstillstand anhaltend… stabile Situation… blablabla!” Ich steige über das bereits gepackte Boardbag und greife zum Telefon, um dem Rest der Crew, Ugo und Steeve, die ebenfalls seit Tagen auf Stand-by stehen, grünes Licht für die Reise zu geben.
Im Jahre 2002 haben die Regierung und die tamilischen Rebellen einen Waffenstillstand unterzeichnet und die politische Lage des Landes hat sich weitgehend beruhigt. Einer Rückkehr zu dem links brechenden Pointbreak, den ich 1979 erstmals surfte, und einem Wiedersehen mit Sam, bei dem ich fünf Monate lang lebte, stand nichts mehr im Wege.
Nach 13 Stunden Flugzeit in der Economy Class – mit zu wenig Platz im Fussraum und einem hektisch hin- und herwippenden Zweimeter-Hünen im Sitz vor mir, der mir mit seiner Psycho-Performance den letzten Nerv raubte und mir während des Spielfilms den Blick auf die Glotze blockierte – setzen wir über dem Bandaranaika Airport von Colombo zur Landung an. Hier erwartet uns bereits ein Fahrer, der ein selbst geschriebenes Holzschild mit der Aufschrift “Three Surfers – Arugam Bay” suchend durch die Wartehalle wedelt. Wir verstauen unser Gepäck im Kofferraum und schnallen unsere Boards auf das Dach des TÜV-fälligen Vehikels. “Wir werden circa sechs Stunden fahren müssen, vielleicht auch weniger, wenn die Strassen in Ordnung sind”, mutmasst der Fahrer grinsend in gebrochenem Englisch. Die Strassen sind nicht in Ordnung! Je weiter wir Richtung Osten fahren, desto zahlreicher werden die Checkpoints des Militärs, die uns zusätzlich Zeit kosten. Die wunderschöne, sich ständig verändernde Landschaft verschlägt uns den Atem und hält uns trotz der unzähligen Passkontrollen und des einsetzenden Jetlag bei Laune. Schliesslich kommen wir zehn Stunden später und völlig übermüdet an unserem Ziel Arugam Bay an und checken in das Guesthouse ein.
Nach zwölfstündigem komatösen Tiefschlaf erkunden wir erst mal die Gegend und stellen bei Tageslicht fest, dass der Garten unseres Guesthouse direkt an den langen Strand von Arugam Bay angrenzt. Raheem, der Accommodation-Manager, drückt mir eine handgeschriebene Nachricht von Harry in die Hand: “… war zwei Wochen lang hier… gute Wellen… habe auf die Malediven übergesetzt… sehen uns in sechs Wochen!” Alles klar.
Wir schnappen uns die Boards und sind froh, endlich Sand unter den Füssen zu spüren. Wir laufen Richtung Süden, schlagen uns durch einen Kokospalmenhain und Ugo und Steeve passieren zum ersten Mal das kleine Fischerdörfchen Ullae. Ich für meinen Teil kenne das Dorf. Erinnerungen werden wach. Wir gehen weiter. Nach zehnminütigem Fussmarsch erblicken wir endlich die End Section der legendären Welle von Arugam Bay, für die wir um die halbe Welt gereist sind. Brusthohe Peaks, 27 Grad Wassertemperatur. Nice! Höchste Zeit für unsere erste Surf-Session im Indischen Ozean!
Zurück im Guesthouse nehmen wir uns die aktuelle Wetterkarte vor und stellen gestoked fest, dass in den nächsten Tagen ein Tiefdruckgebiet an der Küste Sri Lankas ankommen wird, Unsere Augen fangen an zu leuchten und unsere Gedanken drehen sich nur noch um die magischen fünf Buchstaben: S-W-E-L-L. Doch bis dieser Arugam Bay erreicht, müssen wir uns in Geduld üben und uns anderweitig die Zeit vertreiben. Ein optimaler Zeitpunkt, einen Teil des Kulturprogramms abzuhaken. Wir beschliessen, dem Nationalpark Lahugala, circa 20 Kilometer von unserem Basecamp entfernt, einen Besuch abzustatten, um auf dem “Flur der Elefanten” Tiere in freier Wildbahn zu beobachten, die man in Europa nur im Zoo zu Gesicht bekommt.
Also chartern wir ein “Tuktuk” und quetschen uns wie die Sardinen in das altertümliche, endstylishe Beförderungsmittel der Einheimischen auf drei Rädern.
In Lahugala angekommen entdecken wir eine Elefantenherde, die in dem weitem, von zwei angrenzenden Flüssen überfluteten Flachland ihrem Daily Business nachgehen. Die Live-Performance ist ziemlich beeindruckend und wir wollen aus nächster Nähe einen Blick auf die Dickhäuter riskieren. “Wir müssen vorsichtig sein! Jedes Jahr werden mehrere Personen von den Tieren totgetrampelt”, warnt uns der Tuktuk-Fahrer, der sich uns als Guide anbietet. Aus der Entfernung sehen Dumbo und seine Kollegen eigentlich ganz relaxt aus, aber wir wollen auf Nummer sicher gehen und schleichen uns im Zeitlupentempo und in feinster Platoon-Manier durch den Sumpf und das hohe Gras an die Neuzeit-Mammuts heran. Auf halber Strecke zieht Steeve unserem Guide am Hosenbein: “Was ich dich noch fragen wollte: Gibt es hier eigentlich Schlangen?” Der Guide muss sich das Lachen verkneifen, um die Elefanten nicht aufzuscheuchen: “Natürlich gibt es hier Schlangen. Jede Menge sogar. Wir krabbeln quasi durch ihr Wohnzimmer! Ach ja, noch was: Im Falle eines Angriffs der Elefanten ist jeder auf sich alleine gestellt. Rennt so schnell, wie ihr könnt, und klettert auf den nächsten Baum!” Super Aussichten. Auf das “Fangenspiel für Adrenalin-Junkies” haben wir überhaupt keinen Bock, um so mehr Mühe geben wir uns also beim Indianerspielen und nähern uns weiter den Elefanten.
Alles verläuft nach Plan, bis zwei Mini-Busse auf der Strasse hinter uns vorfahren. Zwei Locals steigen aus. Sie brüllen, was das Zeug hält, und trommeln dabei wie geisteskrank auf ihren Fahrzeugen herum. Der erwünschte Effekt lässt nicht lange auf sich warten: Die Elefanten recken die Rüssel, heben nervös die Köpfe und spreizen die Ohren ab – der Angriff ist nur noch eine Frage der Zeit! Rückzug… lauf, Forrest, lauf! Das Herz schlägt uns bis zum Hals und wir absolvieren die Strecke bis zum Auto in olympischer Rekordzeit. Die Locals krümmen sich vor Lachen. Sie wirken zufrieden, dass ihnen der kleine Scherz mit den Touris gelungen ist. Wir akzeptieren, dass der Scherz auf unsere Kosten geht, und sind froh, dass wir nicht totgetrampelt wurden.
Endlich, nach vier Tagen des langen Wartens, erreichen die Vorboten des Swells Arugam Bay. Obwohl der Spot nicht das Flair und die Power der indonesischen Vorzeigewellen hat, wird uns schnell klar, dass Arugam Bay nach wie vor ein exzellenter Pointbreak ist, der bei anderthalb Meter Wellenhöhe absolut easy zu surfen ist. Die lange Welle bricht in mehreren Sections.
Der erste Abschnitt bietet eine hohle, schnelle Tube, die in einer Bowl endet, was dem Ritt einen zusätzlichen Kick gibt. Während des zweiten Parts ist die Wellenwand ein wenig flacher, wodurch man automatisch etwas Speed verliert. Dieser Teil ist der perfekte Spielplatz für Ugo und Steeve, um radikale New-School-Manöver aus der Trickkiste zu kramen.
Man muss allerdings darauf achten, nicht zu viel Geschwindigkeit zu verlieren. Denn bevor man in der Inside ein paar weitere Turns in die softe Wand schlitzen kann, muss man mit viel Speed einen bereits gebrochenen, vor sich hinkräuselnden Wellenteil umfahren. Die insgesamt surfbare Strecke ist so lang, dass es einige Surfer vorziehen, über den Landweg zum Line-up zurückzukehren.
Nach ein paar perfekten Surf-Tagen verabschiedet sich der erste Swell und wir haben wieder die nötige Musse, um Land und Leute besser kennen zu lernen. Raheem liegt es am Herzen, uns seine Kultur näher zu bringen, und lädt uns zu einer traditionellen indischen Tanzaufführung in einem zwei Autostunden entfernten Theater ein. Wir fühlen uns ein bisschen strange, denn wir sind die einzigen Westeuropäer weit und breit. Voller Bewunderung beobachten wir die tänzerische Erzählung der Familiensaga von Sita, der schönen Frau von Rama, die von Ramana, dem Dämonenkönig von Lanka, entführt wird. Wir verstehen die Handlung nicht wirklich – aber die graziösen indischen Tänzerinnen sind jedenfalls ein optisches Highlight.
Auf dem Nachhauseweg passieren wir acht vom Militär errichtete Checkpoints, was wir zum Anlass nehmen, Raheem auf die diffizile Thematik des Bürgerkriegs anzusprechen. Raheem gibt uns eine kleine Nachhilfestunde in Geschichte und erklärt uns, dass der Bürgerkrieg zwischen den Singhalesen und den Tamilen zwischen 1983 und 2002 mehr als 60.000 Tote gefordert hat. Dazu kommen 30.000 Vermisste, 100.000 Verletzte und 600.000 Obdachlose, die durch die vollständige Zerstörung kompletter Regionen und des wirtschaftlichen Breakdowns aus ihren Heimen in die Perspektivlosigkeit getrieben wurden. Der Norden und der Osten des Landes waren die Hauptschauplätze des tamilischen Widerstands und die Gegend um Arugam Bay wurde mehrfach von der Liste der sicheren Orte gestrichen. Durch die kriegsbedingte Abgeschnittenheit ist Arugam Bay von den architektonischen Sünden der Tourismusbranche an der Westküste in Form von hässlichen Hotelanlagen verschont geblieben und hat sich dadurch seine sympathische Authentizität bewahrt. Trotz massiver Kontrollen haben es dennoch immer wieder kleine Gruppen draufgängerischer Surfer geschafft, sich während der Kämpfe in das Kriegsgebiet zu snaken und die beste Welle Sri Lankas zu surfen. Heute noch stellt das Militär an den Strassen-Checkpoints sicher, dass keine Terroristen oder Waffen in das Gebiet gelangen, und geleiten die Fahrzeuge der Touristen bis zum Strand. Der offizielle Grund für diese Massnahme ist, die Sicherheit der Touristen zu gewährleisten. Aber in Wirklichkeit dient es einzig und allein dem Zweck, ein Eindringen der Guerilla in diesen Bereich zu verhindern – für den Fall, dass der Waffenstillstand brechen sollte.
Der nächste Swell kündigt sich an und wir beschliessen, der “Peanut-Farm”, ein Spot circa eine Autostunde südlich von Arugam Bay, einen Besuch abzustatten. Der Tuktuk-Driver stoppt den Wagen am Ende einer Dirtroad mitten im Wald. “Den Rest der Strecke müsst ihr zu Fuss zurücklegen. Ihr lauft circa zwei Kilometer immer geradeaus, bis ihr zu der Ruine eines von Elefanten planierten Hauses gelangt. Dort biegt ihr links ab und geht immer weiter geradeaus bis zum Strand. Dann geht ihr an der Küste entlang bis zu dem grossen Felshaufen, den ihr schon von weitem sehen könnt. Alles klar?” Na logo! Wir erteilen dem Fahrer den Auftrag, uns in drei Stunden an genau dieser Stelle wieder abzuholen und um auf Nummer sicher zu gehen, vereinbaren wir, ihn auf dem Rückweg zu bezahlen, damit wir nicht wie Hänsel und Gretel im Wald verloren gehen.
Los geht’s! Die Wegbeschreibung stimmt und nach einem schweisstreibenden Fussmarsch erreichen wir den Pointbreak, wo sich eine schöne Welle entlang der Felsen ihrer Kraft entlädt. Der riesige Sandstrand ist wie ausgestorben. Es herrscht absolute Ruhe – bis auf das Rauschen der kleinen, aber feinen Barrels und die gelegentlichen Urlaute der drei gestokten Local Surfer, die sich den Peak teilen. Höchste Zeit für unsere nächste Session…
Nach einer auspowernden zweistündigen Surf-Einlage machen wir uns auf den Weg zu unserem Date mit dem Fahrer, der wie vereinbart bereits am Ende der Schotterstrasse auf uns wartet. Auf dem Heimweg machen wir einen kleinen Abstecker nach Pottuvil – ein absolutes Muss für jeden Sri-Lanka-Reisenden, weil das Credo “back to the roots” hier seinen Ursprung zu haben scheint. Es gibt keine Boutiquen für Touristen, keine Souvenirläden, nicht einmal Restaurants, die internationale Küche anbieten. Wer also Bratwurst mit Fritten will, ist hier an der falschen Adresse.
Ugo lässt sich von einem lokalen Schneidermeister die Boardshorts an der Taille enger nähen – erste Anzeichen für ein Ungleichgewicht zwischen Kalorienverbrauch durch Surfen und Nahrungsaufnahme. Um nicht noch mehr vom Fleisch fallen, schieben wir eine landestypische Zwischenmahlzeit ein, die so scharf gewürzt ist, dass uns der Qualm aus den Ohren kommt. Abgesehen von dem Brand in der Magengrube gibt es zwei Sachen, die uns irritieren: erstens das Kopfschütteln der Einheimischen. Jeder Bewohner Sri Lankas, der etwas auf sich hält, tut dies ständig. Die Geste, die in der westlichen Welt eine Botschaft wie “nein” oder “lass mich in Ruhe” transportiert, bedeutet hier genau das Gegenteil. Und zweitens der Verkehr bzw. die Transportmittel: Die gängigsten Vehikel sind chinesische Fahrräder und Mopeds aus der Kolonialzeit, die von bis zu vier Personen gleichzeitig genutzt werden. Während der “Rushhour” hat man mit diesen fahrbaren Untersätzen allerdings schlechte Karten, denn auf der Strasse regiert das Gesetz des Grösseren und Stärkeren. Verkehrschaos – zumindest nach westlicher Definition – gehört zum Alltag und ist völlig normal. Überholt wird grundsätzlich in Zeitlupentempo, bevorzugt in unübersichtlichen Kurven. Die Hupe ist der wichtigste und meistgenutzte Part des Autos, denn sie dient dem Zweck der Einschüchterung konkurrierender Verkehrsteilnehmer bei Vorfahrts-Unstimmigkeiten etc. Hier gelten eben andere Werte als in den Wohlstandsländern: In Sri Lanka ist das beste Auto das mit der lautesten Hupe!
Nachdem unsere letzte Wellenexpedition und die geplante Fahrt zum Nationalpark von Kumana aufgrund der dilettantischen Fahrkünste des Tuktuk-Fahrers, dessen Gefährt wir zwölfmal aus dem Sand schieben mussten, ein glatter Reinfall war, beschliessen wir, zwei Quads zu mieten. Ugo und Steeve schwingen sich auf die erste Maschine, ich verlade meine Kameraausrüstung auf die andere und dann – Bleifuss! Wir erreichen Pottuvil Point in Rekordgeschwindigkeit. Der Spot ist sensationell, aber der rechts brechende Pointbreak braucht einen grossen Swell. Einige Stunden zuvor hatten wir in Arugam Bay eine unglaubliche Session in überkopfhohen Wellen gehabt, aber am Pottuvil Point klatscht uns die Wellenlippe gerademal gegen die Hüften.
Nach dem “Fun Surf” entdecken wir eine Lagune auf der anderen Seite des Strandes. Zwei Locals laden uns zu einer kleinen Kanutour ein, die wir dankend annehmen. Die Kanus sind voll beladen und ihre Oberkanten fast auf einer Höhe mit der Wasseroberfläche. Da wir den Workshop “Lebensbedrohliche Situationen in freier Wildbahn” im Elefanten-Resort erfolgreich bestanden haben, setzen wir den Crocodile-Dundee-Blick auf, lehnen uns zurück und geniessen die Natur. Als wir im Schilf ein durch Äste getarrntes Krokodil entdecken, bröckelt die Paul-Hogan-Maske auf unseren Gesichtern, dennoch versuchen wir, weiterhin gelassen zu wirken.
Als einer der Kanu-Kapitäne durch ein unkontrolliertes Manöver das Boot nur wenige Meter von dem grünen Biest entfernt beinahe versenkt, haben wir genug von der Kanutour und machen uns vom Acker.
Es wird Zeit, in Ullae nach den Spuren meiner Vergangenheit zu suchen. Ich schlendere mit alten, vergilbten Fotos in der Hand die Wege des kleinen Fischerdorfs entlang und versuche, die eine oder andere Person oder bestimmte Orte wieder zu erkennen. Aber 25 Jahre sind eine lange Zeit – das Dorf hat sich verändert und ich habe Schwierigkeiten, Sammys altes Haus wieder zu finden. Ich spüre, dass ich während meines Dorfrundgangs nicht aus den Augen gelassen werde. “Du warst doch schon mal hier!”, stellt ein glatzköfiger, kleiner alter Mann fest. Ich zeige ihm die vergilbten Fotos und warte auf seine Reaktion: “Sammy lebt noch. Folge mir, ich führe dich zu ihm. Er wohnt gleich um die Ecke.”
Der alte Mann führt mich zu einer Hütte am Ende der Strasse. Wir klopfen an die undichte, morsche Holztür und nach einer kurzen Verzögerung, die mir wie Stunden vorkommen, öffnet mir ein schmächtiger, auf einen Stock gestützter alter Mann mit langem, lichtem weissen Haar die Pforte. Wir starren uns einige Sekunden regungslos an und ich spüre förmlich, wie Sammy die Zeit um 25 Jahre zurückspult und alte Filme in seinem Kopfkino abspielt. Er erkennt mich und wir fallen uns lachend in die Arme. Schnell trommelt er die gesamte Familie zusammen. Mit den Älteren feiere ich ein freudiges Wiedersehen und den Jüngeren stelle ich mich als Marc vor. Bei einer Kokosnuss unterhalten wir uns im Schatten der Hütte über alte Zeiten, das Dorf, unser Leben und über das Ende des Lebens, das Sammy immer näher kommen sieht. Als wir uns ein altes Gruppenfoto anschauen, überrascht mich Sammys ausgezeichnetes Gedächtnis. Er erinnert sich an jeden Namen der abgebildeten Hippie-Surfer, die in den Genuss seiner Gastfreundschaft gekommen waren. Einige Tage später lädt uns Sammy trotz der grossen Armut, in der seine Familie lebt, zu einem Festessen ein. Am Ende des langen, fröhlichen Abends, der definitiv zu den schönsten Momenten des gesamtes Trips gehört, bedanken wir uns mit kleinen Geschenken, etwas Geld, Vitamintabletten und Medikamenten, für die grenzenlose Gastfreundschaft.
Auf dem Weg zum Flughafen legen wir noch einen Zwischenstopp in Kandy ein, der heiligen Stadt des Buddhismus und kultureller Dreh- und Angelpunkt des Landes, um im Tempel von Dent Buddha zu danken. Drei Wochen in diesem einzigartigen und vielseitigen Land haben gereicht, um uns zu Buddhisten zu bekehren. Wir bedanken uns bei Buddha für die Tiefdruckgebiete, deren Swells uns viele wellenreiche Tage beschert haben. Wir danken ihm dafür, dass wir während unserer Expeditionen nicht von wilden Tieren zertrampelt, gebissen oder gefressen worden sind, und dafür, dass wir in dem mörderischen Strassenverkehr nicht unter die Räder gekommen sind. Aber ganz besonders danken wir Buddha dafür, dass wir ein wunderbares, abenteuerliches Land wieder entdecken durften, das nach 25 Jahren wieder aus dem Schatten tritt.
Ich verstaue das Handgepäck vorschriftsmässig in dem Fach über meinem Kopf, setze mich auf den Platz am Fenster und schliesse meinen Gurt. Während der Pilot dem Airbus Schub gibt und ich leicht in meinen Sitz gepresst werde, schaue ich nach draussen, um die letzten Echtzeit-Impressionen von Sri Lanka in meinem Kopf zu speichern. Ich lasse den Trip Revue passieren und ziehe Resümee: In drei Wochen scorten wir vier Swells, die wir lediglich mit einem Dutzend Locals von Arugam Bay teilen mussten. Verdammt guter Schnitt! Ich richte meinen Blick nach vorne, um auf dem Videoscreen die aktuelle Flughöhe zu checken. Vor mir sitzt wieder derselbe zappelnde Zweimeter-Hüne und versperrt mir mit seinem schwankenden pauschalgebräunten Kopf die Sicht auf den Bildschirm. Ich nehme es buddhistisch gelassen und schliesse die Augen.
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