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Qualitime

Auf der Suche nach leeren, perfekten Wellen folgte ich den Geschichten von einem unbekannten Ort irgendwo vor meiner Haustür in der Karibik. Die Erzählungen hielten, was sie versprachen. Die Rechnung ging auf und ich scorte Wellen in der Qualität von Indo – It’s quali time…

Seit einem Jahr lebe ich in Costa Rica das Leben, von dem ich immer geträumt habe: jeden Tag viel Sonne und vor allem gute Wellen. Doch auch vom Paradies braucht man ab und zu mal ein kleines Time-out. So war es Ende letzten Jahres an der Zeit, meinen allwinterlichen Surf Trip zu konkretisieren, und es stellte sich mir die Frage: wohin? Wie wär’s denn mit Hawaii? Doch auf die total überfüllten Spots und den Stress an Oahus North Shore hatte ich eigentlich keinen Bock und der Level der Surfer mit im Schnitt 20 Pros pro Break ist nicht gerade eine chillige Angelegenheit. Dort eine gute Welle für sich allein zu ergattern ist wie ein Sechser im Lotto. Ausserdem wollte ich mal etwas Neues ausprobieren und ein bisschen den Entdecker raushängen lassen. Ich war auf der Suche nach einer Alternative: Indo? Klar, geile Reef Breaks mit beinahe hundertprozentiger Wellengarantie, aber auch nichts Neues. Ausserdem ist es viel zu weit weg und leere Peaks sind auch dort Mangelware. Zu einem ähnlichen Urteil kam ich bei Destinations wie Fidschi und Tahiti.

Dann erinnerte ich mich an die Geschichten über eine Inselkette in der Karibik. Die meisten Erzählungen endeten mit dem Zusatz “genau wie Indo”. Bingo! Ein coole Alternative war gefunden und ich freundete mich immer mehr mit der Idee an, auf Wellensuche in meinem “Vorgarten” zu gehen. Das einzige Argument, das gegen den Trip sprach, war die nicht gegebene Wellengarantie. Aber: Die Gewinnchance beim Roulette mit Einsatz auf Rot ist doch bedeutend höher als der bereits angesprochene Sechser im Lotto. Und da ich die Reise ohnehin zusammen mit meiner neuen Freundin Rosalia antreten wollte, war ich mir sicher, dass wir die Tagessplanung auch an den wellenfreien Tagen mit Qualität verbringen würden: Spaziergänge durch romantische Lagunen, Sonnenuntergänge, Pina Coladas, das ganze Programm – na, ihr wisst schon… So machte ich am 21. Dezember meinen Jeep reisestartklar für die Tour. Mit von der Partie waren natürlich Rosalia, Brian, ein hawaiianischer Surf-Fotograf, und mein Fatum-Quiver, bestehend aus einem 5’11”, zwei 6’0” und einem 6’4” Single Fin.

Unser erster Stopp sollte Salsa Brava sein, ein Big-Wave-Spot an der Karibikküste Costa Ricas. Aber das Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung: Durch eine Kaltfront kam es zu wolkenbruchartigen Regengüssen, die zu starken Erdrutschen in den Bergen vor San José führten und unsere geplante Route überfluteten. Für uns bedeutete das: bis morgen warten. Was mir nicht ganz ungelegen kam, da ich von meiner fünfstündigen Morgen-Session am Abreisetag noch ziemlich fertig war und mir so die nötige Mütze Schlaf genehmigen konnte.

Am nächsten Morgen ging es endlich los. Die Strasse war immer noch gesperrt und wir mussten den Umweg über Cartago nehmen. Als wir Salsa Brava erreichten, fanden wir den Spot in unsurfbaren Conditions vor: dicke, fette 15-Fuss-Faces und absolut ausser Kontrolle. Ich dachte nicht eine Sekunde daran, mein Equipment vom Dach zu laden, und wir schlugen lieber in aller Ruhe unser Nachtlager auf.

Am nächsten Morgen brachte uns ein Taxi nach einer abenteuerlichen Fahrt über eine buckelpistenartige Dirt Road vorbei an kilometerlange Bananenplantagen an die Grenze von Costa Rica nach… sorry, ich hab’ den Locals versprochen, keine Wegbeschreibung oder konkrete Hinweise zu geben. Nur so viel: Wer bis hierher kommt, der findet auch den Rest des Weges.

Uns war etwas mulmig zumute, denn wir mussten zu Fuss eine ziemlich morsche Holzbrücke passieren.

Rechts und links ging es 25 Meter nach unten direkt ins Krokodilparadies. Nachdem am Ende der Brücke über die “Todesschlucht” unsere Pässe gecheckt und unser Gepäck ausgiebig inspiziert wurden, brachte uns das nächste Taxi erneut durch riesige Chiquita-Felder bis zu einem Bootssteg und damit unserer Mission “genau wie Indo” einen gewaltigen Schritt näher. Per Speed-Boat ballerten wir durch ein Sumpf- und Mangrovengebiet vorbei an Krokodilen, Vögeln in allen erdenklichen Farben und an Einheimischen in ihren Nussschalenbooten. Nach einer Stunde erreichten wir die Hauptinsel der besagten geheimen Inselkette, wo wir auf ein kleineres Boot umsteigen mussten, das uns zu unserem Ziel bringen sollte. Mein Puls stieg, denn das Projekt “genau wie Indo” war zum Greifen nahe.

Im Cruise-Modus passierten wir langsam die Insel, deren Umfang etwa dem der Düne von Helgoland entspricht. Aus der Ferne konnte ich kleine Fischerhütten erkennen, deren Wände teils aus Treibholz und alten Schiffsplanken, teils aus Palmwedelgeflechten konstruiert waren. Die Dächer waren aus rostigen Wellblechstücken zusammengeschustert. Die Hütten standen auf Holzpfählen etwa einen Meter über dem Wasser und waren über einen Holzsteg von der Insel aus erreichbar – Indo-Style eben.

Kaum hatten wir den ersten Fuss auf das Eiland gesetzt, rannten uns Cookie und Ivan, die Eigentümer unseres Hotels, entgegen und erklärten uns aufgeregt, dass es die letzten zwei Wochen am Stück geregnet hätte – nichts Ungewöhnliches für den karibischen Winter -, aber mit unserer Ankunft hätten sich die dicken Wolken verzogen. Wir hatten Glück! Der Stern glühte und unsere Gastgeber verrieten uns obendrein, dass ein Swell im Anmarsch wäre.

Mit dem Hotelboot schipperten wir zu unserer ersten Surf Session zu einer kleinen Left namens Punch, die in zwei Sections brach. Die erste Section war etwas langsam. Der zweite Peak war killer! Die Welle brach sehr schnell und sehr steil nur wenige Fuss über den messerscharfen Korallen. Die Welle bot sich mir als Spielwiese für radikale Manöver wie Floaters und Aerials, die Brian vom Boot aus fotografierte, während sich Rosalia an Deck in der Sonne rekelte. Ehrlich gesagt litt meine Konzentration ein wenig unter ihrem Anblick und so zog die eine oder andere gute Welle unbemerkt an mir vorbei.

In den nächsten Tagen klapperten wir die Breaks der Umgebung mit dem Boot ab: Dumpers ist eine extrem schnelle Left, für die das Motto gilt: “Tube or die”. Auf dieser Welle, die ihren Namen der nahe gelegenen Müllkippe im Dschungel zu verdanken hat, musst du richtig Speed machen oder du wirst von der Barrel über das flache Reef gezogen. Wer keinen Bock auf Schnitte von den messerscharfen Korallen hat – die Insel hat auch zwei Beachbreaks in petto: Bluff und Red Frog Beach. Red Frog Beach ist eher ein Anfänger-Spot mit kleinen, schwachen Wellen. Die kleinen roten Frösche, die man hier en masse am Strand findet, kennen die meisten aus Costa-Rica-Reisekatalogen oder aus der Kodak-Werbung. Was die wenigsten kennen, ist der LSD-ähnliche Trip, den man fährt, wenn man die Viecher abschleckt… Bluff dagegen ist eine kleine Wedge, die tubig über superflachem Wasser bricht. Optimal, um sein Reise-Quiver um ein paar Boards zu erleichtern oder mit dem Bodyboard ganz tief in die Röhre zu schauen.

Nach dreitägiger natürlicher Adrenalin-Infusion durch die konstanten, guten Wellen kam die grosse Ernüchterung: nichts.

Nada. Totale Flatness. Rosalia aalte sich auf dem Steg in der Sonne, während ich versuchte, mich durch Fischen bei Laune zu halten.

Das geplante Candlelight-Dinner mit Fisch und Wein fiel augrund meiner dilettantischen Angelkünste allerdings flach. Wir machten uns also wieder auf Entdeckungsreise, gingen schnorcheln und machten Seestern- und Delfintouren mit allem, was dazugehört: Kameras, Japaner, das Übliche… Nach vier Tagen hatte ich die Schnauze vom Pauschal-Touri-Programm gestrichen voll: Ich wurde sichtlich nervös – Wellen mussten her! Rosalia tat ihr Bestes, mich abzulenken. Sie kaufte ein “Monopoly”-Spiel im “Getto-Style” und wir waren erst mal beschäftigt – einen ganzen Tag, um genau zu sein. Ich wusste gar nicht mehr, dass dieses Spiel so ewig dauert. Ich habe die Endlos-Partie gewonnen, aber im Nachhinein glaube ich, dass sie mich gewinnen liess, um mich etwas aufzuheitern – eine Art Schadensbegrenzung bei Wellenmangel.

Mit dem neuen Jahr meldete sich gleichzeitig ein dicker Swell an und ein Break, der die meiste Zeit im karibischen Meer versteckt liegt und nur bei einem grossen Swell aus exakt dieser Richtung funktioniert, erwachte zum Leben: eine Bucht mit atemberaubendem Szenario, worin sich über dem Korallenriff eine lange Left formt. “Genau wie Indo” eben.

Am Anfang erlaubt dir die Welle, zwei, drei dicke, fette Turns in ihr Gesicht zu schlitzen, bevor sie über dem flachen Riff zusammendonnert und sich für die Entstellung ihres Antlitzes an dir rächt – wenn man nicht rechtzeitig raus- oder in die Tube zieht. Diese End Section der Welle ist einfach unglaublich!

Wenn man sich in der Tube installiert, denkt man, dass die Welle einen gleich verschluckt. Was sie aber nicht tut, sondern sie öffnet sich wieder und man kann ihr entkommen, bevor man frontal in eine fiese Felswand schmettert. Für Adrenalin-Junkies sehr zu empfehlen: jede Sekunde Spannung pur!

Mittlerweile hatte auch Jason, ein Ex-Pro, der seit ein paar Jahren in Costa Rica lebt und dort ein Surf Camp leitet, von dem Swell Wind bekommen.

Allerdings hatte er den Trip besser geplant als wir: Ein kleiner regionaler Drogendealer hatte ihn für 75 US-Dollar mit dem Flugzeug – zusammen mit einer vollen Ladung rezeptpflichtiger Heilpflanzen – auf die Insel verfrachtet. Jason zeigte uns aber nicht nur, wie man in Sachen alternative Beförderungsmethoden alles richtig macht. Er hielt in den lechzenden Indo-Lefts den Crash-Kurs “Perfektes Tube Riding 101”: Obwohl er backside unterwegs war, drückte er jeder Welle mit fetten, vertikalen Snaps, die einen entsprechend grossen Sprayfächer in den Himmel schleuderten, seinen Stempel auf.

Jason war eine erfrischende Abwechslung im Line-up und hob sich durch seine Power-Moves deutlich von der Masse ab. Viele Surfer – die vermutlich auf einem Frosch-Trip hängen geblieben und nur eingeschränkt orientierungsfähig waren – verwechselten die Left wohl mit dem Anfänger-Spot von Red Frog Beach. Die meisten konnten weder richtig paddeln, geschweige denn die Welle kontrolliert abreiten. Man hätte hier das beste Wipe-out-Video aller Zeiten drehen können. Egal, jede Menge Lacher und Wellen für unsere Crew. Die Hauptsache ist, dass von den Surf-Lemmingen keiner ums Leben kam.

Zum Leidwesen meiner Freundin verlegte ich meinen Wohnsitz für die nächsten vier Tage auf den Peak der Indo-Left und suchte schon mal die Tapeten für die Tubes – mein Wohnzimmer – aus. Der Swell bediente uns mit perfekten Wellen mit der Konstanz einer Ballmaschine. Danke, Wave Babes! Die Left zeigte sich bis zum Tag unserer Abreise von ihrer besten Seite, bis ich zurück nach San José musste “to take care of business.” Brian und Jason blieben zwei Tage länger.

Auf der Taxifahrt durch den Chiquita-Dschungel Richtung Heimat musste ich grinsen. Ich dachte an die Stories, über das Wellenparadies, das ich bis vor kurzem nicht kannte. Ich musste daran denken, was ich antworten würde, wenn mich jemand nach meinem Surf Trip auf die karibische Inselkette fragen würde. Die Antwort dürfte klar sein: “Genau wie Indo!”

Ein paar Wochen später telefonierte ich mit Brian, der vor Euphorie in hoher Taktfrequenz redete und kaum zu verstehen war: Die Left sei nach meiner Abreise kleiner geworden und sie hatten eine Rechte ausfindig gemacht, die noch perfekter und noch grösser gewesen sei und überhaupt starke Ähnlichkeit mit der bekannten Killer-Welle von Teahupoo auf Tahiti gehabt habe. Jason wäre fast ertrunken und Kalani hätte dort die Tube seines Lebens gesurft. Während des Telefonats sitze ich umgeben von Aktenordnern und Papierkram an meinem Schreibtisch und denke nur: “Mist! Dann halt im nächsten Jahr!”

Diejenigen von euch, die in Geographie aufgepasst haben, haben gute Chancen, dieses besondere Fleckchen Erde zu finden. Ein kleiner Tipp: Bringt genügend Cash mit, denn es gibt dort definitiv keine Banken und Kreditkarten können auf der Insel bestenfalls zum Koksen genutzt werden. Eine Bitte noch an alle Anfänger: Die Wellen dort sind mit Ausnahme von Red Frog Beach nicht ungefährlich und nur für erfahrene Surfer geeignet! Oder hat euch euer Fahrlehrer etwa in der ersten Fahrstunde gleich mit 180 Sachen auf die linke Spur der Autobahn verfrachtet?! Also, respektiert die Locals! <<< Viel Spass beim Surfen!
Euer Thomas

Text: Thomas Lange
Photos: Brian Finch

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