Der mexikanischen Pipe eilt wie ihrem Namensvetter auf Oahu ein knochenbrecherischer Ruf voraus.
Nicht umsonst, rollt sie doch an grossen Tag wie ein riesiger, äusserst unberechenbarer Sandwurm vor Puerto Escondido über ihre internationalen Herausforderer hinweg. Doch jedem Freier, der ihr mit Geduld, Ausdauer und Können den Hof macht, winkt am Ende die einzigartige Erfahrung, eine der kraftvollsten Wellen dieser Welt erobert zu haben.
Acht Uhr morgens, Mexico City.
Der Wecker klingelt uns raus. Los, los, wir müssen wieder zum Flughafen, unseren Anschlussflug nach Puerto Escondido erwischen. Wir, das sind: Thibauld Dussarat, Xavier Leroy, Jeremy Massiere, genannt “Tic”, Axier Muniain und Amandine Sanchez.
Gestern kamen wir in der gefährlichsten Stadt der Welt an, in Mexico City. Die Polizei trägt hier grundsätzlich kugelsichere Westen. Armut und Schmutz springen einem sofort ins Gesicht. Wir nutzten diese für Reisende aus Europa obligatorische Etappe vor dem Weiterflug nach Puerto und machten uns daran, ein paar der ungefährlicheren Viertel der Stadt zu erkunden.
Und wieder sitzen wir im Flugzeug mit Kurs Richtung Ozean. Ohne Bedauern entfliegen wir der gigantischen Hauptstadt und ihrer ockerfarbenen Smog-Wolke, die den trockenen Kessel verhüllt, aus dem wir aufsteigen.
In Puerto Escondido angekommen erschlägt uns die schwüle Hitze und verwandelt uns in Sekunden in feuchte Schwämme. Eine riesige mexikanische Flagge weht über der Bucht von Playa Zicatela und seinen zahlreichen Hotels und Bungalows. Die Stimmung könnte tropischer nicht sein. Eine kleine Dreifuss-Welle läuft auf den Strand. Alle beeilen sich, ihre Sachen in die gemieteten Bungalow zu werfen und sich so schnell es geht mit leichtem Schaudern in den Rachen des Löwen zu werfen.
Beach break & Tequila
Es hagelt dicke Ohrfeigen für uns. Die Legende bestätigt sich: Trotz ihrer geringen Höhe ruft einen die Kraft der Welle sofort wieder zur Ordnung. Aua. Man hatte uns gewarnt – nicht nur dass sie ultrakräftig wäre, sondern besonders dass man bei der Wahl der Wellen aufpassen müsste, weil sie nicht alle wie in den netten Surf-Filmen laufen. Wir haben kein Glück und sie brechen close-out über uns. Dies ist wohl ihre raue Art, uns Greenhorns Geduld beizubringen.
Die Locals, die “Meister des Spots”, diejenigen, die die grössten Wellen nehmen, kennen diesen delikaten Spot wie ihre Westentasche: Er hat die Grösse und die Kraft seines Namensvettern vor Hawaii, doch er läuft auf Sand. Das bedeutet viel Wasserbewegung, enorm viel Strömung und so kaum Ordnung. Es gibt dort Sets, die angerollt kommen, über den Sandbänken brechen und den dahinter liegenden Priel auffüllen.
Nach dem Set läuft alles auf einmal ab und schafft so eine Art Strömungspilz, der den Surfer aufs offene Meer rauszieht. Die Moral der Geschichte: Wenn du eine Welle genommen oder verpasst hast und sie über deinem Kopf zusammengebrochen ist, findest du dich auf einmal 200 Meter weit draussen wieder.
Nun musst du nur noch wieder zurückpaddeln, was an grossen Tagen sehr Kraft raubend sein kann. Wenn man von der mexikanischen Pipe spricht, ist das also absolut gerechtfertigt: In Sachen Geschwindigkeit, Kraft und Grösse ist der Wellengang mit der hawaiianischen North Shore vergleichbar. In Puerto sind die Sandbänke selten ebenmässig und demzufolge ist es schwierig, die Bewegungsrichtung der Wassermassen zu erkennen. Man lässt sich schnell überraschen und von der Welle schnappen.
Auch wenn man hier schon gehörige Schippen Sand gefressen hat, gleicht das Ganze selbst mit viel Beobachten immer noch einer Lotterie. Doch obwohl diese Welle schnell ist und keine Fehler verzeiht, ist sie nicht so Furcht einflössend, wie man sagt. Man muss sich nur die Zeit nehmen, sie zu erkunden und zu verstehen. Sie gibt ihr Geheimnis nicht so einfach preis, und da nur wenig Surfer genug Geduld für sie aufbringen, gilt sie als Zicke unter den Wellenliebhabern.
Der meistgesurfte Bereich ist der Break nahe der Stadt, eine nach rechts brechende Welle. Sie ist die schnellste der Gegend und bietet die tiefsten Tubes. Auf der anderen Seite des Breaks läuft die Linkswelle “Far Bar”: Das Wasser ist dort tiefer und die Welle bricht weiter vom Strand entfernt. Die berüchtigste Welle von Playa Zicatela beschert ihren Opfern schon mal Schädelbrüche, zerfetzte Körperteile oder im schlimmsten Fall den Tod!
Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu und wir verlassen das Wasser. Zu dieser Zeit, wenn die Sonne etwas weniger brennt, geht die einheimische Bevölkerung erst raus. Mit einem Schlag wimmeln Strand und Umgebung nur so vor Leben: Strassenverkäufer, Reiter auf Pferden, Kinder, die ihre bunten Drachen steigen lassen, die unumgänglichen Touristen beim Sundowner in den Strandhütten, aus allen Teilen der Erde angereiste Surfer, die diesen legendären Beach Break kosten wollen (und sich oft die Zähne daran ausbeissen).
In diesem Moment treffen wir Ian Battrick, einen guten englischen Surfer, der schon einige Zeit hier verbracht hat. Er erzählt uns von seinen Sessions der vergangenen Jahre und beschreibt uns die perfekten Wellen, die er hier surfen durfte. Diese Begegnung trifft sich gut, denn wir hatten eigentlich vor, diesen “europäischen” Trip zusammen mit einem Surfer Ihrer Majestät zu unternehmen, doch niemand hatte Zeit oder Lust, sich uns anzuschliessen. Nun schliessen wir uns Ian an.
Unsere Einführung beginnt mit einer heissen “Happy Hour” bei Tequila und Mezcal an, nur unterbrochen von Fajitas. Dabei lernen wir auch einen der bekanntesten Locals kennen: Angel Salinas, den mythischen “Maskierten Longboarder”, den man in allen Surf-Magazinen der Welt schon einmal gesehen hat. War es der Mezcal oder der Geist der Tropen? Er erscheint uns wie ein kleines Wellengenie und bietet uns an, uns in den kommenden Tagen als Wellenscout zu dienen.
Der “Maskierte Longboarder” ist eine lokale Surfer-Persönlichkeit. Er ist bekannt dafür, mit einer Catchermaske zu surfen, doch er ist weniger verrückt als vielmehr ein kluger Geschäftsmann. Er beobachtet viel, was im Ausland geschieht, und entwickelt das Surfen vor Ort in Bezug auf das, was in den anderen Ländern bereits gemacht wurde. Er hat seine eigene Surf- Marke Central Surf und ist dabei, seine eigene Fabrik zu bauen.
Neben eigenen Boards stellt er unter diesem Namen ausserdem eigene Boardshorts her, bedruckt T-Shirts, Baseballkappen und Hüte, hat viel in Immobilien investiert und will eine grosse Surf-Bar aufmachen – mit Videos, Verleihservice, Surf-Camp und Surfkursen. Solltet ihr in ein paar Jahren mal dort vorbeikommen, wird der maskierte Mann also zweifelsohne eine wichtige Figur im Surf-Business von Puerto Escondido sein.
Zwischen playa Zicatela und Baja de la Cruz
Über den Träumereien von perfekten Wellen und Abenteuern schlafen wir ein. Am nächsten Tag bläst der Wind schon beim Aufwachen auflandig. Die Truppe bereitet sich zum Aufbruch vor, verstärkt durch Ian Battrick und seinen videofilmenden Freund.
Es gibt hier vier Stellen zum Surfen: Playa Zicatela, “The Point” (eine sehr lange und unterschätzte Welle, die ihren Surfer schnell mal mit Haut und Haaren verschlingt, sowie eine grosse Rechte, die Baja de la Cruz heisst), “Kiddie Break” und einen weiteren, geheimen Spot, den wir euch lieber selbst entdecken lassen. Unser maskierter Freund rät uns aber zu einem kleinen Ausflug in Richtung Süden. Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir nach der Umgehung eines kleinen Tals an einer wunderschönen Bucht mit viel versprechender Umgebung an. Das eine Ende schliesst mit einer langen Spitze ab, an der eine hübsche Rechtswelle bricht, lang genug und windgeschützt.
Ein paar Amerikaner und zwei oder drei Locals sind schon im Wasser, und selbst wenn diese Rechte nicht besonders hohl bricht, so ist sie doch perfekt genug, um das komplette Repertoire an Manövern abzuspulen. Ohne Zweifel hatte uns Angel an den richtigen Spot gelotst: Die Amis sind niemand Geringere als Dan Malloy, Otto Flores und Scott Eckner, der “Fishman”, zurzeit einer der besten Wasserfotografen! Der Tag verläuft im ruhigen Rhythmus dieser rechtsbrechenden Welle. Endlich fühlt es sich wirklich nach Surf-Trip an! Es fehlt nur noch ein bisschen mehr Höhe, um uns Bilderjäger zu verwöhnen.
Am nächsten Morgen ist der Swell da. Tagesprogramm: morgens surfen in Puerto Escondido, nachmittags an der Baja de la Cruz. Aber es kommt gross rein – zu gross? Wenige Wellen öffnen sich wirklich, und selbst Dan Malloy macht sich nach dem Takeoff aus dem Staub, da er den Ausgang nicht findet. Und wenn schon Dan himself Schwierigkeiten hat, dann kühlt das selbst die Waghalsigsten unserer Truppe erst mal ab.
Wieder Richtung Süden, zum Spot des Vortags, an dem sich die Wellenhöhe seitdem um einen guten Meter aufgeblasen hat. Wir surfen auf den Zehenspitzen und achten insbesondere beim Takeoff direkt an den Felsen darauf, nicht zu euphorisch zu sein. Das nennt man wohl “Felsenschleifen”, um an die Tube dieses ersten Abschnitts ranzukommen. Ein Fest für diejenigen, die sich am besten positionieren: Thibauld und Axier holen sich sechs Richtige.
Zurück in Puerto – Happy Hour
Die vier folgenden Tage lassen uns endlich “Medium Size Puerto” kosten und die gesamte Mannschaft kann ihren Hunger nach Tubes stillen. Besonders Ian schlägt sich mit der Bombe des Trips den Magen richtig voll. Die Gruppe ist im Rhythmus, passt sich der Kraft der Welle und der Süsse des hiesigen Lebens an, um das Ende des Trips voll auszukosten.
Der Trip war geprägt von knirschendem Sand in jeder erdenklichen Körperöffnung und dem Geschmack von “sal, limon y tequila” auf der Zunge. Denkt immer daran, möglichst alles in einem Zug zu nehmen – selbst wenn es ein Sandwurm mit der Kraft eines heranrollenden D-Zugs sein sollte.
Praktische Tipps
Am Flughafen von Mexico City solltet ihr nur in Taxis einsteigen, die gut sichtbar als “Autorizado” gekennzeichnet sind. Andernfalls könnte eure Reise zu Ende sein, bevor sie begonnen hat – und zwar in einer dunklen Gasse einer verrufenen Vorstadt – in Unterhose, wenn’s gut ausgeht.
Klima
Das Klima der Region um Puerto Escondido ist tropisch warm und mittelmässig feucht. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei 28 °C. Die Regenzeit erstreckt sich von Juni bis September; die Regenschauer gehen meist nachmittags nieder. Die Swellqualität verbessert sich sofort nach Ende der Regenzeit.
Ausrüstung
Zwei Möglichkeiten: Entweder kommt ihr roots-mässig mit einem Brett an, das ihr dann häufig dem lokalen Reparaturdienst gebt, der euch so oder so mit seinem Wagen und weit
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