Um von Kiel auf die Kanarischen Inseln zu kommen, muss man eigentlich fliegen oder Bootfahren. Wir nicht! Wir waren einfach da! Am frühen Morgen weckten uns eine leichte ablandige Brise und die kanarische Wintersonne. Ich befürchtete, dass es an den vielen Pilzen lag, die wir am Vorabend konsumiert hatten. Ich halluzinierte also. Halluzinationen! Die Nebenwirkungen von bewusstseinserweiternden Mitteln, freier Liebe, Yoga, Longboards, Meditation, SingleFins, Retro Fishes und so weiter. Na ja?! Okay! Wenigstens kein Horror Trip! Wind, Wellen, Sonne und Salz – warum nicht? Wie auch immer.
Mit der Zeit tauchten auch die anderen auf: Martin Walz von PT Surfboards, Valerie, Raffie und Ole Lietz, unser Schmeichelopa. Da waren wir nun alle zusammen auf den Kanaren. Keiner wusste, wie wir hergekommen waren, geschweige denn, wo wir uns befanden. Erst viel später konnte ich durch eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung des lokalen Gesteins rekonstruieren, wo wir uns befanden. In den nächsten Tagen entwickelte jeder von uns seine eigene Methode, um mit der Situation klarzukommen. Raffie versuchte durch ausgedehnte Yoga Übungen und tiefe Meditation, zurück nach Deutschland zu kommen. Der Schmeichelopa versuchte es mit Rauchen. Ermöglicht durch die niedrigen Tabakpreise auf den Kanaren rauchte er so viel, wie die Lunge hergab. Valerie hatte sowieso gerade nichts Besseres zu tun, freute sich über den gratis Surf Trip und surfte, so viel sie konnte. Man weiß ja nie, wann solch ein Trip endet. Martin, der am besten von uns ausgestattet war, versuchte, sich mit Betablockern ins Bewusstsein zurückzuschießen. Ich selbst verhielt mich wie bei jedem anderen Surf Trip auch: Ich surfte, so viel es ging, und ernährte mich ausschließlich von Bier, um Geld zu sparen.
Bei unseren Erkundungs Trips auf der Suche nach guten SurfSpots trafen wir gelegentlich auf Eingeborene. Sie waren etwas kleiner als wir, hatten schwarzes Haupthaar und waren gut gebräunt. Sie unterhielten sich in einer uns unbekannten Sprache. Der Schmeichelopa, welcher am meisten Lebenserfahrung von uns hatte, vermutete, es handelte sich um Kauder Welsh, laut dem Opa ein alter, äußerst seltener Waliser Akzent. Es musste sich folglich um die Nachfahren von Waliser Seefahrern handeln. Mir kam das Spanisch vor: Die alten Waliser waren doch blond?! Egal! Der Schmeichelopa hatte Anglistik studiert und ich wollte ihn nicht innerhalb der Gruppe bloßstellen.
Wenn man zu fünft auf einem Trip ist, gibt es normalerweise den einen oder anderen Streit. Nicht so bei uns! Wir lösten alle Konflikte durch brutale Boxkämpfe mit vollem Körperkontakt. Da lernte man, wenn man schwach war, schon ganz von alleine, die Klappe zu halten. So waren wir nach ein paar Tagen ein friedlicher Haufen Hippies, die nur an Liebe, Surfen und andere tolle Sachen dachten.
Bis es im Supermarkt eines Tages zum Streit kam. Ich versuchte, dem Schmeichelopa zu erklären, dass Quarks kleine Nanoteilchen seien und keinesfalls Milchspeiseerzeugnisse. Der Schmeichelopa blieb stur. Es kam zum Duell. Ich möchte den äußerst brutalen Faustkampf an dieser Stelle nicht weiter beschreiben. Nur so viel: Ich ließ ihn am Leben.
Monate verbrachten wir nun schon auf der Insel – oder waren es gar Jahre oder Tage? Wir wussten es nicht. Keiner von uns konnte zählen, unsere Eltern hatten nicht genug Geld, um uns zur Schule zu schicken. So fristeten wir unser Dasein bodysurfend auf einer vulkanischen Insel. Bis wir während einer unserer zahlreichen Exkursionen auf eine Stadt trafen. Auf dem Ortsschild stand: „Corralejo“, ausgesprochen „Koralecho“. Wir waren begeistert! Sofort unternahmen wir eine Stadtrundfahrt mit dem Dotto Train, einer Mischung aus Auto und Zug. Wir mischten uns unter die anderen Touristen, doch was sahen wir da?!
Überall Leuchtreklamen, 1 Euro Asia Shops, Hotels, Eisläden, schlechte Touristen Bars, so weit das Auge reicht. Es war wie am „Ballermann 6“ auf Mallorca. Das war Gift für unsere Seelen! Wir waren Soul Surfer, Hippies, Liebende, Akademiker, Alt68er ( Schmeichelopa), Buddhisten, Hinduisten, Yogisten und Bodysurfer. Verflixt noch mal! Ich hatte fast so einen langen Bart wie Keith Malloy. Ich komm nicht klar auf Kommerz!
Wir rannten so schnell wir konnten Richtung North Shore, unserem Zuhause am Strand. Da sahen wir einen alten Mann am Wegesrand sitzen. Er hatte schütteres weißes Haar und sein Bart wuchs bis auf die Straße. Der Bart war am Ansatz weiß, wo er auf die Straße traf, schwarz vom vielen Dreck der fahrenden Autos und in der Mitte der Straße hatte er einen weißen Streifen von der Fahrbahnmarkierung. „Der Mann muss älter sein als die Stadt“, dachte ich mir. Ich sprach ihn elegant auf meinem feinsten Hochdeutsch an. Er faselte wirres Zeugs von einsamen, unbewohnten Inseln, endlosen Wellen und vulkanischen Eruptionen. Ich nahm ihn nicht ernst. Die einzigen Eruptionen, die ich kannte, waren sexuellen Ursprungs.
Ich fragte ihn, ob er vielleicht zu viel vom lokalen Kaktus gegessen hätte. Er antworte te: „Cabron!“ Ich verstand nicht. Es war Kauder Welsh.
In den kommenden Tagen vermaß ich mit meinen selbst gebauten geodätischen Werkzeugen die Inseln und erstellte Land sowie Seekarten. Dabei stieß ich auf eine kleine unbewohnte Insel mit netter Südwestflanke, die in einem großen Swell end lose Wellen produzieren müsste. Vielleicht hatte der alte Mann doch Recht?! Ich öffnete zur Feier des Tages eine Dose Grafenwalder Starkbier und überprüfte meine Messungen. Die Messungen wa ren korrekt. Daraufhin erstellte ich ozeanografische Matrizen und hielt mich drei Tage in Wahrscheinlichkeitsräumen auf. Meine Berechnungen waren fertig! Es muss sich also eine unerhört perfekte, endlos lange Welle auf dieser klitzekleinen Insel (auf der Landkarte war sie nur wenige Zenti meter groß) befinden. Ich war verwirrt: Wie kann sich eine mehrere Kilometer lange Welle vor einer nur wenige Zentimeter großen Insel befinden? Mir war es nicht bewusst, doch ich hatte in jenem Moment das Theodizee Problem gelöst. Ich hatte also bewiesen, dass Gott existiert. Doch ich hab es nicht gemerkt, also wieder vergessen.
Egal, Denken verbraucht zu viel Energie! Wir wollten diese Welle surfen und dazu brauchten wir so viel Energie wie möglich. „Gott, Liebe, Energie, alles das Gleiche“, dachte ich mir.
Ich musste also Energie erschaffen, wenn ich diese Welle surfen wollte. Na ja! „E = m · c2“, hat Einstein gesagt. Ich verzichtete aus Zeitmangel darauf, den Beweis der Formel nachzurechnen, und stützte mich auf Einsteins Berechnungen, er setzte die Masse durch Wurst und da hatte ich’s: „Energie ist gleich Wurst mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat.“ Zufälligerweise hatten wir in Koralecho eine Stange Salami gekauft. Wir hatten also Wurst. Martin hat im weiteren Verlauf des Trips am Lagerfeuer zufällig erwähnt, dass er Pfadfinder wäre und mit zwölf Jahren ein Riesenrad aus Holz gebaut hätte. Ich wurde hellhörig. Ein Riesenrad? Ist das nicht etwas, das Menschen, also Masse, also Wurst im Kreis beschleunigen kann?
Eine Zentrifuge also! Ich fing erneut an zu rechnen. Wie oft kann ich mich in einer Sekunde im Kreis drehen? Einmal, okay! Wie schnell ist Licht? 300.000 m/s! Wie ist die Formel für den Umfang des Kreises? 2 · π · r, okay, ein Leichtes! Ich sammelte also alte Taue und Seile am Strand und band sie zusammen, bis ich ein mehrere tausend Kilometer langes Seil hatte, dann band ich die Wurst ans andere Ende und drehte mich im Kreis. Die Wurst rotierte um mich. Ich verwandelte mich in pure Energie. Alle Farbe wich aus meinem Neo, er wurde weiß. Meine Haare wurden von der Zentrifugalkraft ausgerissen, ich bekam eine Glatze. Ich war pure Energie, ich war Liebe, ich war Kelly Slater, ich war Gott!!
Man soll ja immer dann aufhören, wenn’s am schönsten ist. Deswegen hör ich hier mit dem Travel Bericht auf. So viel noch: Wir sind alle wieder gut zu Hause angekommen, wir sind die endlose Welle gesurft und wir werden in Zukunft vorsichtiger mit bewusstseinserweiternden Mittelchen sein.
Peace, Love und Harmony, Adrian
PS: Wer noch mehr Bilder von dem Trip sehen will findet diese HIER
photos: Valerie Schlieper, Ole Lietz, Adrian Siebert
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