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Travel Stories

Warnemünde Ferrywave

Für eine ehrliche Travel Issue müssen exotische Surf-Destinationen am anderen Ende der Welt her. Man will schliesslich träumen und in Fernweh geraten, wenn man sich ein Surf-Magazin mit Schwerpunkt Reise kauft. Am anderen Ende der Welt waren wir nicht, als wir von München und Hamburg losfuhren. Aber die Welle, die wir suchten und fanden, ist definitiv ein Exot, so viel steht fest…

Ferrytales in Warnefornia

Es ist 8:10 Uhr am 11. August 2010. Es weht ein leichter ablandiger Wind über den feinsandigen Strand von Warnemünde. Nur wenige Ostseeurlauber haben sich zu dieser frühen Zeit an die Wasserkante verirrt. Die Luft ist bereits sommerlich warm und das Meer wie hier bei Südwind so üblich flach wie ein Baggersee. Doch Tao Schirrmacher und Flori Kummer hüpfen mit ihren superkurzen 5’6er-Brettern nervös auf und ab und starren an den Horizont. Unser Kapitän Simon lässt derweil den hoch motorisierten Red-Bull-Seadoo ein paar Kilometer weiter im Yachthafen ins Wasser. Er lässt das blubbernde Monster an, streift sich seine Schwimmweste über und tuckert langsam, aber mit ernstem Gesichtsausdruck aus dem Hafen hinaus in Richtung Fahrrinne der grossen Ostseefähren und Tanker. Ein Bild, wie man es aus Big-Wave-Filmen kennt. Doch was soll das alles hier!?

Der Trip entstand schon einige Wochen zuvor. Ich bekam eine E-Mail von Simon mit einem Youtube-Link drin. „Check das mal! Sieht aus, als könnte man bei Rostock Wellen surfen, die durch die Bugwellen von Fähren entstehen.“ Das Video machte uns extrem neugierig und nach ein paar mehr Mails und Telefonaten setzten wir uns mit Hans Jensen, einem der Chefs vom „Supreme Surf“-Shop in Warnemünde, in Verbindung. Wenn jemand weiss, ob da wirklich surfbare Wellen laufen, dann Hans und seine Jungs. Anfangs hatte ich das Gefühl, als wollten sie nicht so 100-prozentig mit ihren Infos rausrücken. Ein Surf-Magazin und ein unbekannter Spot? Gefährliche Kombination! Doch sein Zögern machte uns nur noch neugieriger. Schliesslich bestätigte uns Hans, dass die Welle surfbar wäre und sie diese schon seit Jahren auseinandern nehmen würden. Wir wären herzlich eingeladen, sie uns mal genauer anzuschauen, die Fährwelle von Warnemünde! Nach einem spontanen Rundruf bei den Surfern aus Nord und Süd bekam ich spontan den Zuspruch von Tao und Flori. Simon organisierte das neue Spielzeug von Red Bull. Fertig war das Warnemünde-Spot-Check-Paket.

Kurz nach der Hafenausfahrt zieht Simon den Gashebel und wir donnern mit unglaublichem Speed parallel zum Warnemünder Strand über die See, Tao, Flori und die vier Locals Martin, Dan, Sammy und Hans, die inzwischen an den Rand der Schwimmerzone gepaddelt sind, fest im Visier. Wir treiben alle zusammen rund 50 Meter vor der Küste, Shortboarder, Stand-up Paddler und der Seadoo – surreale Stimmung unter dem trist-grauen Himmel. Plötzlich zeichnet sich die Fähre am Horizont ab. Erst nur als schwache Silhouette, dann immer deutlicher. Die Scandlines-Fähre kommt aus Gester in Dänemark. Die Verbindung Gester – Warnemünde besteht seit über 100 Jahren, aber erst seit rund fünf Jahren werden Bug- und Heckwelle der Fähren zum Wellenreiten genutzt.

Die Aufregung steigt bei allen Beteiligten, als man die Ausmasse der Weisswasserwalze vor der gigantischen Bugnase des Stahlriesens sieht. Als die Locals das Go geben, schmeisst Simon die Tow-Leine zu Flori rüber und beide schiessen raus Richtung offene See, um die perfekte Position zu finden. Der Rest verteilt sich in der potenziellen Takeoff-Zone. Ob es Wellen gibt? Das wissen selbst die Locals nie so genau. Zu viele Faktoren müssen stimmen. Offshore haben wir schon mal, der macht auch bei der Fährwelle das Face schön sauber. Doch ist die Fähre schwer genug beladen? Ist sie schnell genug? Bremstsie vor der Hafeneinfahrt im passenden Moment ab, um zusätzlich Wasser zu den Sandbänken zu drängen? Die Scand-lines kommt auf jeden Fall immer näher und rast zwischen den grünen und roten Bojen zielgenau in den Hafen. Wenige Sekunden später zeichnet sich das Set ab. Simon hat es gesehen und zieht Flori an die perfekte Position, damit er sich mit einem ordentlichen Satz aus der Welle herauskatapultieren kann. Tao paddelt parallel eine der Nachzügler-Wellen an und setzt ein paar schnelle Turns in die grüne Wasserwand. Die Locals um Hans surfen ganz souverän und weit weg von der Aufregung, die uns erfasst hat, ihre glassy Lines. Besonders Sammy auf seinem SUP sitzt immer richtig und gibt uns durch seine Erfahrung und seinen guten Überblick die richtigen Anweisungen. Nach knapp zehn Minuten ist der Spuk vorbei und die Ostsee wieder spiegelglatt.

„In zwei Stunden kommt die nächste Fähre, dann geht alles von vorne los“, weiss Local Martin über seinen Home-Spot. „Das geht von morgens 8:30 Uhr bis abends um 22:30 Uhr so, 365 Tage im Jahr. Manchmal ist vielleicht mal eine Fähre zu spät oder fällt ganz aus, dann hockt man da etwas blöd im Wasser“, so Martin. Wir können nicht glauben, was da gerade passiert ist! „Es gibt mehrere Spots, für die du dich entscheiden kannst. Zum einen die mystische Welle an der Mole, die selten bricht und wo es extrem schwer ist, den richtigen Takeoff-Spot zu finden. Dann kommt ,Casinos‘, eine Welle, die richtig barreln kann, und dann der Spot hier vor unserer Surfschule, wo die Wellen bis zu 15 Minuten hintereinander reinlaufen.“ Kopfschüttelnd pellen wir uns aus unseren Neos und hauen uns voll Adrenalin an den Strand.

10:12 Uhr. Hektisch zwängen wir uns in die Neos, die „10:30er“ ist schon sehr nah. Alles schwimmt und paddelt raus, macht sich ready und das Spiel beginnt von Neuem. Auch diese Fähre wirft wieder mächtig Swell an die Küste und es ist erneut nicht zu glauben, dass wir echte, relativ druckvolle Wellen im Offshore serviert bekommen. Nach zehn Minuten treffen wir uns wieder an Land, raus aus den Neos, ab an den Strand und aufgeregt kichernd besprechen, wie es war.

12:30 Uhr. Pünktlich wie ein Uhrwerk bolzt die Fähre die fette Weisswasserwalze vor sich her schiebend in den Hafen. Inzwischen ist der Strand voller Warnemünder, Rostocker und Touristen. Eine Stimmung wie in Südfrankreich bei einem sauberen kleinen Sommerswell.

12:45 Uhr. Alle stehen wieder stoked vor dem „Supreme“-Beachhaus. Auf einem Werbeplakat im Inneren des Surf-schul-Containers wirbt ein Plakat: „Wir bieten Surf-Unterricht an, alle zwei Stunden, um 8:30 Uhr, 10:30 Uhr, 12:30 Uhr.“ Wir befreien uns wie Houdini zu seinen besten Zeiten aus den superflexiblen Wetsuits. „Allmählich wird das etwas anstrengend mit dem ,Neo an, Neo aus‘…“, murmelt Tao.

14:35 Uhr. Wir lassen den Seadoo an seiner Boje vor der Schwimmerzone vertaut und gehen ohne Extra-Speed surfen, was trotzdem wunderbar funktioniert. Auch der „14:30er“ bombt ordentliche Brecher über die Sandbänke. Der Spot ,Casinos‘ erinnert aus der Ferne wie ein perfektes Indo-Riff.

Der Tag ist bis zur Dunkelheit bestimmt von dem Rhythmus der Fähre. Wir toben uns bis zur völligen Zerstörung aus. Bei der „18:30er“ towen wir Flori das erste Mal in die mysteriöse Molenwelle und die Lippe des tatsächlich gut kopfhohen Brechers räumt den Kapitän und mich recht spektakulär vom „Raging Bull“, als wir versuchen, Flori an den Perfect Spot zu ziehen. Gott sei Dank ist nichts weiter passiert, die Rettungsschwimmer haben auch schon Feierabend, so dass es keinen Ärger gibt. Aber es zeigt uns, dass die Welle mächtig Druck hat.

Auch Tag zwei läuft komplett identisch ab. Ablandiger Wind, extrem freundliche Locals, die unseren Stoke teilten und zu recht stolz auf ihr kleines Juwel sind.

Es könnte allerdings sein, dass die Fährwelle bald ein Ende hat. Die alten Schiffe werden nach und nach durch neue, moderne und effizientere Fähren getauscht, die einen anderen Kiel-Shape haben, kaum noch Wasser vor sich herschieben und somit keinerlei Wellen produzieren.

Wir fahren schliesslich drei Tage nach unserer Ankunft im wunderschönen Warnemünde begeistert nach Hause und wundern uns selbst ein wenig, warum man bisher so wenig von dem Spot gehört hat.

Ein fettes Danke geht für die herzliche Gastfreundschaft von Hans und seiner „Supreme Surf“-Crew raus! Wenn ihr mal vor Ort seid, um euch selbst von der Welle zu überzeugen, gebt den Jungs ein Bier aus und auch ihr werdet sicher mit offenen Armen empfangen.

Infos zum Surf-Shop: www.supremesurf.de

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