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Teneriffa – zwischen Surfparadies und irregulärer Migration

Im Gespräch mit Regisseurin Gosia Juszczak über ihren Film "STOLEN FISH"

Wenn Surf-Begeisterte wie wir an Teneriffa denken, dann überkommen uns vermutlich richtige Urlaubs-Vibes und wir haben Spots wie “La Izquierda”, die “Spanish Left” im Kopf. Woran wir vermutlich nicht denken werden, sind die Flüchtlingsheime, die genauso zur Realität gehören wie diese lange, linksbrechende Welle. 

Den Touristen ist oft gar nicht bewusst, dass Teneriffa für manche eine ganz andere Bedeutung hat, denn die Insel ist Ziel für Menschen, die ihr Zuhause verlassen müssen. – Gosia, Regisseurin von Stolen Fish.

Fischverkäuferin in GambiaAuch Gosia ist nach Teneriffa ausgewandert. “Ich habe einen fünf Stunden Flug auf mich genommen, und die gambischen Fischer sind mit einem Holzboot gekommen, neun Tage übers Meer.” In ihrem Film “Stolen Fish” klärt Gosia über die Fluchtursache und die illegale Fischindustrie in Gambia auf. Wir haben die Regisseurin auf der Premiere der Ocean Filmtour getroffen und mit ihr über chinesische Fischmehlfabriken, die Rolle des Westens und wirtschaftliche Migration gesprochen. Alle Infos zur Ocean findet ihr hier.


Über Stolen Fish

„Stolen Fish“ begleitet lokale Fischer und eine Fischverkäuferin und erzählt die Geschichte der gestohlenen Entwicklung Westafrikas.

Was 30 unserer Boote in einem Monat fischen, holen sich die chinesischen Fischer an einem Tag” – Abou. Abou ist 30 Jahre alt, lokaler Fischer aus Gambia und verzweifelt. “Ich habe viel darüber nachgedacht, dass ich, wenn ich mein Boot verkaufe, es woanders versuchen könnte,  z.B. in Europa”. Chinesische Fischmehlfabriken stehlen ihm und seiner Familie die Lebensgrundlage: Fisch. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Faktor, der ihn dazu bringt, Gambia zu verlassen. Als Aktivist, der sich lautstark gegen die Ausbeutung von Ressourcen ausspricht, ist er in seinem eigenen Land nicht sicher. 

Hallo Gosia. Was ist der Grund dafür, dass gambische Fischer das Risiko eingehen, auf der Flucht nach Europa ihr Leben zu verlieren? Und was haben wir im Westen damit zu tun? 

Hast du schon mal etwas von Fischmehl gehört? China hat ein Abkommen mit der gambischen Regierung geschlossen, das ihnen erlaubt, mit großen Trawlern vor der Küste Gambias zu fischen. Diese Schleppnetztechnik zerstört jedoch das Ökosystem des Meeresbodens. Sie nehmen alles mit, was in die Netze gerät, Korallen, Delfine und sogar Schildkröten. Das ist eine sehr unnachhaltige Art des Fischfangs. Aber die gambische Regierung ist korrupt und erlaubt das alles, weil China ihnen Geld gibt, Kredite. Die Regierung hat eine Art Schulden bei China, die sie mit diesen Ressourcen bezahlt.  Die chinesischen Trawler, die dort fischen, überfischen das Gebiet und nehmen einen großen Teil des Fisches mit, um ihn in speziellen Fischmehlfabriken zu verarbeiten. Dort wird der Fisch gemahlen. Das Produkt, das dabei entsteht, heißt Fischmehl und wird als Tierfutter verwendet. Es wird dann nach Europa importiert und zur Fütterung von Fischen in Fischfarmen und von Tieren wie Schweinen oder Hühnern in industriellen Farmen verwendet.


Stolen Fish in Gambia

Früher war Fisch die wichtigste Proteinquelle für die Menschen in Gambia, weil es dort nicht so viel Vieh gibt. Jetzt wird er sehr, sehr teuer und immer weniger verfügbar, damit wir in Europa günstiges Fleisch kaufen können. Wenn wir in den Supermarkt gehen und sehen, wie billig das Fleisch dort ist, ist das doch fast unmöglich.

Denn ja – jemand zahlt diesen Preis, aber wir sind es nicht, es sind die gambischen Fischer.

Gambia ist so ein schönes Land, es hat wunderschöne Strände. Aber die Überfischung zerstört diese Schönheit, diesen Reichtum und die biologische Vielfalt. Außerdem werden die Fabriken an den schönsten Stränden Gambias gebaut. Deshalb wollen immer weniger Menschen diese Strände besuchen. Das Problem hat viele Aspekte, es ist so eine Schande! 

Wie stehst du zur wirtschaftlichen Migration von Gambia nach Europa? 

“Wirtschaftliche Migration” – ich finde diesen Begriff wirklich sehr, sehr ungerecht. Ich bin Polin. Es gibt viele Polen, die zum Arbeiten zum Beispiel nach Island gehen. Ja, das mag Wirtschaftsmigration sein, aber für mich ist das eine Frage der Notwendigkeit. Den Menschen in Gambia werden einfach ihre Ressourcen genommen. 20% der Gambier sind von der Fischerei abhängig. Die Menschen verlieren also ihre Arbeit. 

Teneriffa, wo ich aktuell wohne, ist jetzt ein Einreisepunkt für Menschen, die diese irreguläre Migrationsroute in Holzbooten über den Atlantik auf sich nehmen. 2021 gab es einige Studien und Artikel, in “El Pais” zum Beispiel, wo darüber berichtet wurde, dass ein großer Teil der Migrant:innen, die aus dem Senegal, Gambia und Westafrika kamen, Fischer waren. Es war also sehr offensichtlich, dass die Fischer in ihren Herkunftsländern nicht mehr überleben können. 

Mir war gar nicht so bewusst, dass so viele Leute von Afrika nach Teneriffa fliehen. 

Ja, das höre ich öfter. Auf der einen Seite sind die Kanaren ein sehr bekanntes Reiseziel. Es ist ein wunderschöner, paradiesischer Ort für uns, die Leute kommen zum Surfen oder einfach nur, um Urlaub zu machen. Aber Teneriffa hat ein doppeltes Gesicht. Denn auf der anderen Seite gibt es zwei große Lager für Migrant:innen in Zelten dort. Es ist nicht schwer, diese Lager zu finden, man kann sie sogar besuchen und mit den Leuten sprechen, und man wird dort viele Migrant:innen aus Westafrika finden. 

Ich lebe im Moment auch auf Teneriffa. Ich bin dorthin gekommen, wie viele, viele Leute, aus Gambia, aus dem Senegal. Ich habe einen fünf Stunden Flug auf mich genommen, und diese Menschen sind mit einem Holzboot gekommen, neun Tage übers Meer. Das ist irreguläre Migration auf die Kanarischen Inseln. Den Touristen ist oft gar nicht bewusst, dass Teneriffa für manche eine ganz andere Bedeutung hat, denn die Insel ist Ziel für Menschen, die ihr Zuhause verlassen müssen. Manchmal ist es gut, das im Kopf zu haben. 

Gambische Fischer

Wie bist du auf das Problem der Überfischung in Gambia aufmerksam geworden? 

Das geschah eigentlich wie so oft im Leben. Manchmal passieren Dinge zufällig oder aus Glück. Ich lebte in einer sehr multikulturellen Gegend von Madrid, mit vielen Migrant:innen aus Westafrika, dem Senegal und Gambia. Dort kam ich mit einem gambischen Aktivisten ins Gespräch, der mir von den chinesischen Fischmehlfabriken in seiner Heimat erzählte, und wie sie sich auf die lokale Wirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt auswirken. Als dann die NGO “Minority Rights Group International” eine Ausschreibung für Drehbücher veröffentlichte, in denen die unterbelichteten Gründe für die Migration von Afrika nach Europa aufgezeigt werden sollten, erinnerte ich mich an das Thema und begann zu recherchieren. Kurz darauf bin ich mit meiner Crew nach Gambia gereist. Wir waren fünf Filmemacher, ein Kameramann, ein Tontechniker, eine Produzentin und ich. Und wir haben vier Wochen dort verbracht.

Was ist die Lösung? 

Ich glaube, das sind die Veränderungen, die in kleinen Schritten vorgenommen werden. Das Wichtigste ist erstmal, dass die Leute davon wissen. Mit „Stolen Fish“ waren wir nun schon auf etwa 100 Festivals. Immer mehr Leute wissen davon und sind sich dessen bewusst. Das ist ein Anfang, um etwas verändern zu können.

Fischverkäuferin Gambia

Inwiefern können Regierungen oder NGOs Druck auf die chinesischen Fischmehlfabriken auswirken? 

Da geht es um eine politische Entscheidung. Die meisten afrikanischen Länder haben bilaterale Wirtschaftsabkommen mit China. Es ist schwer, aus dieser “weichen” Kolonisierung herauszukommen. Das ist die Neokolonisierung Afrikas. Aber es ist nicht nur China, denn es gibt auch EU-Schiffe, die in diesem Teil Afrikas fischen. Und es gibt neue Abkommen. Zum Beispiel hat Spanien jetzt ein Abkommen mit dem Senegal unterzeichnet, um spanische Schiffe zum Fischen in die senegalesischen Gewässer zu schicken.

Wir wissen, dass es ein Abkommen ist. Wir wissen, dass das legal ist. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Aber trotzdem werden wieder einmal die Ressourcen der armen „Dritten Welt“ genutzt, der Länder des globalen Südens, die ihre Ressourcen selber benötigen, um genau zu sein.

Natürlich kann es Druck von Nichtregierungsorganisationen geben. Greenpeace Africa und Compassion in World Farming sind zwei von ihnen. Sie versuchen, im Europäischen Parlament Lobbyarbeit zu leisten, um eine Kennzeichnung einzuführen, damit wir nachvollziehen können, welche Produkte mit diesem Fischmehl gefüttert wurden. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg, denn die Situation ist sehr intransparent. Man weiß noch nicht wirklich, woher das Fischmehl kommt. Vielleicht kommt es erst nach China und dann nach Europa. Man kann nicht sagen, wer es kauft. Die Situation ist sehr undurchsichtig.

Es ist wie mit den Eiern: Am Anfang haben die Leute alle möglichen Eier gekauft, und dann haben sie langsam gemerkt, dass es einen Unterschied gibt, und haben angefangen, die Eier zu kaufen, die aus Freilandhaltung stammen, dann Bio, und dann wurde über mehr Tierschutz gesprochen. Und jetzt sind sich die Leute irgendwie der Situation bewusst. Es ist also eine Entwicklung. Das ist alles Teil des kapitalistischen Systems der globalen Wirtschaft. Aber wir können unseren kleinen Teil dazu beitragen, die Situation zu verbessern.

Abou - gambischer Fischer

Kommen wir zu deiner Dokumentation an sich. Wie seid ihr das Filmen angegangen? 

Es war ein Prozess, und bei Dokumentarfilmen ist es sehr wichtig, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, besonders als weißer Europäer oder weiße Europäerin. Wenn man in Westafrika ist, ist es sogar noch wichtiger, die Dinge richtig zu machen und ein bisschen von der Umgebung zu verstehen. Ich behaupte nicht, dass ich Gambia in- und auswendig kenne, aber wir haben versucht, uns so gut wie möglich anzupassen.

In den ersten zwei Wochen haben wir weder die Kamera noch das Mikrofon in die Hand genommen. Wir verbrachten viel Zeit im Hafen, haben einfach nur Tee getrunken und dort gegessen, wo die Leute essen. Wir wollten nicht in Touristenrestaurants gehen. Am Anfang waren die Leute überrascht, weil die einzigen Weißen dort normalerweise Touristen sind. Sie fragten sich also, was wir hier am Strand machen, so viele Stunden. Dann haben wir ihnen erzählt, wer wir sind, was wir dort machen und die Leute haben es weitergesagt. Es entwickelte sich weiter, wir wurden eingegliedert.  Das war sehr schön.

Wie habt ihr eure Protagonist:innen gefunden? 

Ich habe einen Nachbarn in Madrid, der vor vielen Jahren von Gambia nach Spanien geflohen ist. Als ich mich entschied, nach Gambia zu reisen, bat er mich, seinem Bruder dort, Abou, ein paar Geschenke mitzubringen. In Gambia suchte ich diesen Bruder auf und es stellte sich heraus, dass er sehr wütend war, über die chinesische Ausbeutung der Meeresressourcen und die Fischmehlfabriken. Wütend und aktiv.

Als wir Abou das erste Mal am Strand trafen, wussten wir auf einmal, dass er zum Protagonisten werden würde. Er arbeitete als Fischer und fing sofort an, uns zu erklären, was es mit der Überfischung auf sich hat. Er zeichnete die Karte Gambias in den Sand und zeigte uns, wo die chinesischen Schiffe fischen. Das war so anschaulich, dass wir diese Szene für den Film wiederholen mussten.

“Ein guter Protagonist ist nicht nur jemand, der ein bestimmtes Thema lebt, sondern auch jemand, der die Geschichte erzählen will.“ – Gosia

Abou hat nicht studiert, aber er ist authentisch. Er spricht einfach sehr visuell, fast poetisch. Es war mir also sehr schnell klar, dass er einer der Hauptfiguren werden würde. Und dann hat sich die Geschichte weiterentwickelt. Bei einem Dokumentarfilm hat man ein Drehbuch im Kopf, aber dann sieht man, was funktioniert und was nicht, und wie sich die Teile Schritt für Schritt zusammenfügen.

Außerdem hatten wir einen lokalen Fixer im Team, Mustafa. Er ist auch ein Aktivist und war ein wichtiger Verbindungspunkt. Er hat die richtigen Leute auf uns aufmerksam gemacht. So haben wir die anderen beiden Protagonist:innen gefunden: Paul und Mariama.


Gambia

Hat Abou auch versucht zu fliehen? 

Nachdem der Film bereits auf vielen Festivals gezeigt wurde, hat Abou ebenfalls versucht, auszuwandern. Und er hat es geschafft! Er kam auch nach Teneriffa. Glücklicherweise überlebte er diese neuntägige Reise.

Was hat er genau für Aktivismus gemacht?

Er hat den Film gemacht. Er hat im gambischen Fernsehen gesprochen. Er organisierte die örtlichen Fischer und machte darauf aufmerksam, was hier passiert, denn auch sie haben die Wahl. Sie können ihren Fisch an die Fabrik oder an den lokalen Markt verkaufen. Es gibt viele gambische und senegalesische Boote. Sie verkaufen an die chinesischen Fischmehlfabriken, denn die zahlen besser, weißt du. Abou hat versucht, das Bewusstsein in der lokalen Gemeinschaft zu schärfen. Er hat versucht zu vermitteln, warum es auf lange Sicht nicht gut ist, an die chinesischen Fabriken zu verkaufen. Aber es ist eine Frage des Überlebens, mehr Geld ist mehr Essen.

Jetzt hat Abou es nach Spanien geschafft?

Ja. Sein Ziel ist es, in Europa zu bleiben, etwas Geld zu verdienen und es seiner Familie in Gambia zu schicken. Seit zwei Jahren ist er bereits in Spanien. Er ist Asylbewerber, aber die Regierung hat immer noch nicht entschieden, ob er Asyl bekommt oder nicht. Er befindet sich also in einer Art Schwebezustand und schickt seiner Familie, was immer er verdienen kann. Obwohl es für ihn nicht einfach ist, einen Job zu finden, arbeitet er von Zeit zu Zeit, meistens Saisonarbeit. Denn er hat auch eine kleine Tochter in Gambia. Wenn er Asyl bekommt, kann er sie vielleicht nach Europa holen.

Aber das Gute ist, dass Abou so an vielen Vorführungen von “Stolen Fish” teilnehmen kann. Nach Deutschland konnte er leider nicht kommen, weil er als Asylbewerber Spanien im Moment nicht verlassen darf. Aber innerhalb Spaniens wurde er zu vielen Vorführungen eingeladen.

Was sollen die Leute aus deinem Film mitnehmen?

Ich denke, jeder sollte sich seine eigene Meinung bilden. Aber die Hauptbotschaft von “Stolen Fish” ist, dass die Globalisierung ihr Gutes hat, aber auch dunkle Schattenseiten. Weil wir alle miteinander verbunden sind, müssen wir verantwortungsvoll damit umgehen, wie wir konsumieren, woher die Lebensmittel kommen, die wir kaufen, und versuchen, uns zu informieren.

Ich bin mit dem Flugzeug nach Teneriffa gekommen, weil ich etwas Sonne wollte. Ich musste nicht, ich wollte, aus reinem Vergnügen. Ich kam mit einem sechsstündigen Flug und die Leute aus Gambia haben neun Tage gebraucht und ihr Leben riskiert.

Es ist wirklich so absurd. Diese menschlichen Bewegungen, die Flucht. Das ist alles auf so ungerechte Weise geregelt. Es ist alles davon abhängig, wo du reingeboren wirst. Es ist nicht fair.​

Protagonist Stolen Fish

Vielen Dank für deine Arbeit und das Gespräch.

Danke, dass ihr darüber berichtet.

 

Wie es mit Abou weiterging:

Der Kinosaal applaudiert, und dann ist Abou über Zoom auf der großen Leinwand zu sehen. 

“Ich bin jetzt in Madrid, aber meinen Bruder habe ich immer noch nicht gesehen. Er hat außerhalb Spaniens Arbeit gefunden und ich darf Spanien nicht verlassen. Ich hoffe, dass ich ihn bald in meine Arme schließen kann”. – Abou. 

Den Film „Stolen Fish“ könnt ihr momentan nur auf der OCEAN Filmtour sehen. Alle Infos zu Tickets und Programm findet ihr hier. ​

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